Zwischenruf von Michael Höntsch

So ändern sich die Zeiten! Wurde mann/frau noch 2004 als ausgetretener Sozialdemokrat/in in der WASG freudig begrüßt, ist es mittlerweile in der LINKEN ein Stigma der SPD angehört zu haben, jedenfalls dann, wenn mann/frau demokratischer Sozialist geblieben ist.

Wie konnte das geschehen? Die große Ausnahme bildet natürlich der heimliche große Vorsitzende aus dem Saarland. Er ist gradlinig, fortschrittlich und links. Niemand seiner heutigen lautstarken Fans auf Facebook und anderswo mag sich noch daran erinnern, welchen Anteil er am schändlichen Asylkompromiss, der seinerzeit faktisch das Asylrecht außer Kraft setzte, hatte. Vielleicht aber liegt es gar nicht am fehlenden Erinnerungsvermögen, vielleicht ist es einfach mangelndes Wissen. Nicht zu Unrecht forderte das Mitglied der historischen Kommission der Partei DIE LINKE, Dr. Manfred Lauermann, kürzlich die Selbstverständlichkeit ein, man möge in der Debatte doch bitte auch ein Mindestmaß an politischer Bildung und historische Kenntnisse einbringen. Allen ehemaligen Sozialdemokraten, die jetzt urplötzlich so fundamental daherkommen, sei die Frage gestellt, warum erst jetzt und warum so geschichtsvergessend?

Der Streit um eine zeitgemäße Programmatik der Linken wird weitergehen. Weder wird die Anbiederung an Sigmar Gabriel und seine Partei helfen, noch das Verkünden von roten Haltelinien. Die Probleme von heute erwarten eben auch Antworten aus dem Heute. Pragmatismus und Kompromissbereitschaft im politischen Diskurs sind gerade die Notwendigkeiten, die in den so genannten Mühen der Ebenen Konjunktur haben sollten. Dafür bedarf es aber Hartnäckigkeit und vor allen Dingen Kompetenz in den Sachfragen. Verbalradikalismus mag zwar immer irgendwo die Reihen schließen, führt aber grundsätzlich in die politische Bedeutungslosigkeit.

An dem Ort, an dem der Pragmatismus zum Opportunismus wird, da wird die Debatte erst fruchtbar und spannend. An diesem Punkt lohnt der Streit erst wirklich!

All den Aktivisten von Marx 21, SAV und anderen Netzwerken innerhalb der Partei sei darum ins Stammbuch geschrieben, solange das Eigeninteresse im Vordergrund steht und die Gesamtpartei auf Richtung getrimmt werden soll, da ist der Keim der Spaltung grundsätzlich angelegt. Ein Parteiverständnis ist gefordert. Die derzeitige Situation gleicht eher einem Kampf um die reine Lehre und die wandert bekanntlich immer auf den Müllhaufen der Geschichte.
(mh)

gastautor
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