Nachdem sich nun auch Petra Pau, Bodo Ramelow, Stefan Liebich und Matthias Höhn zum Beschluss der Bundestagsfraktion und den Vorwürfen dazu geäussert haben, ist es aufschlussreich, sich einen Antrag genau dieser Fraktion anzusehen, der kurz vor dem umstrittenen Beschluss erarbeitet worden ist. Unter der Überschrift „Den Staat Palästina anerkennen“ wird gefordert, dass die Bundesregierung sich dafür einsetzt, im Rahmen des UN-Sicherheitsrates und der UN-Vollversammlung die Proklamation des Staates Palästina zu unterstützen und diesen danach anzuerkennen. Dieser Vollzug der Zwei-Staaten-Lösung soll dazu dienen, den Konflikt unter Verzicht jeglicher Gewaltanwendung zur Durchsetzung politischer Ziele zu lösen und im Gaza-Streifen und der Westbank freie Wahlen unter Achtung rechtsstaatlicher Prinzipien durchzuführen. Mit Bezug auf die aktuellen demokratischen Prozesse in der arabischen Welt, soll so auch der israelisch-palästinensische Konflikt in emanzipatorischer Weise aufgelöst werden.
Bemerkenswert ist – neben dieser klaren Positionierung, die fortschrittliche und somit originär linke Positionen nachdrücklich vertritt – auch, dass dieser Antrag nicht nur namentlich von Gysi und Liebich, sondern auch von den MdB Buchholz, Höger, Hunko, Dagdalen, Groth und anderen unterzeichnet worden ist. Gerade letztere MdB haben im Zusammenhang mit dem Beschluss vom 8.Juni nicht nur öffentlich sein Zustandekommen kritisiert, dabei die Fraktionsführung beschädigt und damit dem Bild der Partei in der Öffentlichkeit geschadet, sondern auch Kritik am Inhalt des Beschlusses, der ein angebliches „Denkverbot“ im Bezug auf eine favorisierte (?) Ein-Staaten-Lösung beinhalten und Aktionen des notwendigen Widerstandes (Gaza-Flotille und Boykottaufrufe) verbieten würde, geäussert. Einerseits wird also vor der Fraktionssitzung des 8. Juni ein Antrag an den Bundestag formuliert, der explizit die Zwei-Staaten-Lösung zur Auflösung des Konfliktes fordert und andererseits wird ein Fraktionsbeschluss am selben Tag, der für die Umsetzung und politische Glaubwürdigkeit des Antrags notwendige Verhaltensregeln definiert, öffentlich als undemokratische Maulkorberlass gegeisselt.
Es wird so deutlich, dass die medial inszenierte Empörung über den Fraktionsbeschluss nicht mehr ist als das; eine Inszenierung. Sie dient eben gerade nicht, wie vorgeschoben, der Wahrung demokratischer Meinungsfreiheit in Fraktion und Partei oder der Solidarität linker Politiker mit der „gerechten Befreiungsbewegung“ des palästinensischen Widerstandes. Dieser öffentliche Aufschrei einflussreicher Vertreter der westdeutschen, traditionslinken Teile der Partei ist (nur) ein weiterer Meilenstein im schon lange schwellenden und angesichts sinkender Umfragewerte kulminierenden Machtkampf, der innerhalb der LINKEN seit ihrer Gründung nicht offen als Problem erkannt bzw benannt und so auch nie – in welcher Form auch immer – aufgelöst werden konnte.
Beide Seiten sind nun aufgefordert, diese Realität anzuerkennen und diesen Kampf nicht auf heuchlerische Weise auf Nebenschauplätzen zu führen. Die Beschäftigung mit Antisemitismus in der Gesellschaft und auch der Linken, die Lösung kriegerischer Konflikte in Nahost und der Welt und die Erarbeitung eines Programmes für die Partei dürfen nicht weiter für die Auseinandersetzung um den zukünftigen Kurs und die Entwicklung der LINKEN zwischen linker Fundamentalopposition und fortschrittlicher linksdemokratischer Politik missbraucht werden. Den beteiligten MdB und Funktionsträgern der Partei sei empfohlen dies zu beherzigen, da eine offene, hart aber fair geführte, Debatte über den innerparteilichen Kurs alle Mal unschädlicher für die Partei ist, als ein ständiges Überlagern der täglichen politischen Arbeit mit dem Kampf auf dem einen oder anderen Nebenschauplatz dieses Richtungsstreites.
(mb)
Sicherlich wäre ein offener Richtungsstreit in der LINKEN allemal angebrachter als teilweise verdeckt geführte Stellvertreter-Debatten. Es muss aber auch etwas positives dabei herauskommen. Solange der Streit zwischen
„linker Fundamentalopposition und fortschrittlicher linksdemokratischer Politik“ (mb) als Kampf um die Hegemonie missverstanden wird, wird nur der eigene Untergang organisiert. Die Kunst ist es, den offensichtlichen Widerspruch im dialektischen Sinne aufzuheben. DIE LINKE wäre in der Programmdebatte gut beraten, wenn sie ihre Systemkritik und ihre grundsätzlichen sozialistischen Ziele kompromißfähig formuliert und sich ansonsten auf die Erarbeitung eines strategischen Reformprogrammes konzentriert, daß reale Veränderungen bringen könnte. Darüber hinaus bedarf es aber auch einer Debatte über die Strategie zur Erreichung der Ziele. Alles andere führt m.E. nach nur zur Schwächung der Partei.