Hannovers Linke hat es mal wieder geschafft. Nachdem mit großer Mühe die Spaltung der Linkskräfte im Stadtrat überwunden werden konnte und auch die zahlreichen Austritte – insbesondere führender Mandatsträger – aus dem öffentlichen Gedächtnis gestrichen schienen, hat nun die Erklärung des Kreisvorsitzenden Detlev Voigt über seine Rücktrittsabsichten aufgezeigt, dass die Partei in der Region Hannover auch weiterhin nur ein organisationspolitisches Stückwerk ist. Voigt hatte aus Respekt vor den Wahlkämpfern seinen Rücktritt lediglich intern für einen Zeitpunkt nach der Wahl angekündigt. Da seine Mail jedoch den Weg auf den Kreisverbändeverteiler der Landespartei gefunden hat, nahmen HAZ und NP diese Erklärung zum Anlass, die Hintergründe für Voigts Rücktritt zu recherchieren. Mit anderen Worten: Die Leser der bürgerlichen Madsack-Presse sind mal wieder besser über die Vorgänge im Ortsverband informiert als die normalen Mitglieder der Partei.
Und genau solche Transparenzdefizite sind der Grund für den Rücktritt von Voigt. Er zieht sich erkennbar aus dem Vorstand zurück, weil er mit dem Vorhaben gescheitert ist, in die Strukturen der örtlichen Parteiverhältnisse etwas mehr Transparenz zu bringen. Da war die Offenlegung der Honorarvergabepraxis der Fraktionen erst der Anfang. Umso schwerer wiegt, dass Vorstandsmitglieder wie Gunda Pollok-Jabbi und Markus Hintze, die Eilbedürftigkeit des entsprechenden Antrages des Kreisvorsitzenden auf der Vorstandssitzung am 5.7.2011 abgelehnt hatten und damit die Behandlung des Antrages verhinderten. Auf der Folgesitzung am 19.7.2011 waren genannte Personen gar nicht erst erschienen und hatten damit zur Beschlussunfähigkeit des Kreisvorstandes beigetragen. Hintze hatte dann am Abend des letztgenannten Vorstandstreffens erklärt, dass er nicht an der Sitzung teilnehmen könne, weil er Wahlkampfplakate aufhängen müsse. Diese Verhöhnung des Anliegen des Vorsitzenden muss dann wohl das Fass zum überlaufen gebracht und zur Rücktrittsankündigung Voigts geführt haben. Eine solche Entscheidung ist nachvollziehbar, ist doch Hintze Mitarbeiter der Ratsfraktion und damit in der Frage der Vergabepraxis unter keinen Umständen unbefangen. Und Pollok-Jabbi soll selber mindestens einen Vertrag der Stadtratsfraktion erhalten haben. Dass sie zu den Kräften gehört, die Voigt bei seinem Versuch behindern, allen Mitglieder mehr Wissen und Kenntnis über die Partei- und Fraktionsstrukturen zu verschaffen, hat somit ein gewisses „Geschmäckle“. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang auch, dass Pollok-Jabbi, wie auch Helga Nowak und die Geschäftsführerin der Ratsfraktion Heidrun Tannenberg, Mitglied der Landesfinanzrevisionskommission ist. Somit alle drei Genossinnen in Ausübung dieser Funktion die ordnungsgemässe Verwendung und Buchführung über die Parteifinanzen sicherstellen sollen.
Die strukturellen Probleme liegen jedoch tiefer. Bereits 2006 wurde in Hannover ein unausgesprochener Waffenstillstand zwischen Teilen der Reformkräfte und Mitgliedern von Marx 21 und traditionslinken Netzwerken aus der Basisorganisation Linden-Limmer geschlossen, der den kommerziellen Teil der Partei (Arbeitsplätze und Honorarverträge) in verschiedene Einflusssphären aufteilt. Seit dieser Zeit wurden die Machtkämpfe in der Partei von diesen Kräften organisiert, wobei alle Beteiligten peinlich genau darauf achteten Schwächen des jeweilig anderen Lagers auszunutzen. Auf der Strecke blieben die normalen Mitglieder, die sich keinem dieser Blöcke zuordnen wollten. In Hannover ist somit ein Parteiumfeld entstanden, das es Neumitgliedern praktisch unmöglich macht sich in die Organisationsstrukturen einzubinden. Das politische Ergebnis ist eine Verelendung der Kompetenzbildung der Linken in Hannover. Neumitglieder mit gesellschaftlichen Fähigkeiten oder entsprechende Berufsträger haben in der Regel kein Interesse sich mit einem Milieu von Studienabbrechern und zweifelhaften Exbankrotteuren einzulassen. Ergebnis dieses Raubbaus: In keiner Partei in Hannover kann mit dem Fehlen von Berufsqualifikation und gesellschaftlichem Engagement so leicht ein politisches Mandant, ein Arbeitsplatz oder ein Honorarvertrag erlangt werden (jedenfalls wenn man/frau die „richtigen“ Leute kennt).
Wer diese Zustandsbeschreibung öffentlich macht wird schnell als Nestbeschmutzer oder Verfassungsschutzagent denunziert. Dabei schwingt die Hoffnung mit, dass der Großteil des politischen Aktivs der Partei (rund 150 Mitglieder) selber kein Interesse an Aufklärung hat, weil die flügelübergreifenden Strippenzieher des Verbandes noch so ziemlich jedem Mitglied Hoffnung auf ein Stückchen des Kuchen im Pöstchenpoker machen. Eine neutrale Mitte besitzt der Verband damit schon lange nicht mehr. Es war daher ohnehin fraglich, ob Voigt mit seinem Vorhaben der Öffnung der Partei in das Umfeld linker Wissen- und Funktionsträger von Stadt und Region, auf breiter Front Erfolg gehabt hätte. Mag aber auch sein, dass Voigts Rückzieher nun auch ein Signal für einen Aufbruch der Mitte ist, sich von den Organisatoren karrieristischer Netzwerke aus Linden und dem Hauptquartier der jungen Karriere, mit dem Schwerpunkt in einer Wohnung in der Nordstadt, endlich zu befreien. Apropos Wohnung in der Nordstadt. Fraglich bleibt nach wie vor, wer die in der HAZ erwähnten Verträge über 400 € und 260 € nun tatsächlich erhalten hat. Da nun aber Voigt und ein weiterer Genosse die Aufklärung der Mittelvergabe der Fraktionen im Kreisausschuss vorantreiben wollen, ist es gegebenenfalls doch noch möglich in dieser und in anderen Fragen eine Antwort zu erhalten.
Gleichzeitig wird der Verband die Möglichkeit erhalten auf der nächsten Sitzung des Kreisausschusses am 20.9.2011 darüber zu entscheiden, dass Mitglieder des Parteivorstandes zukünftig direkt in der Fraktion stimmberechtigt sind und somit der Einfluss der Partei auf die Arbeit der Fraktionen auch einen formalen Rahmen erhält. Eine erste logische Konsequenz aus der katastrophalen Wahlperiode 2006 bis 2011, in der es der Partei nie gelungen war, die streitenden Kommunalpolitiker an die Parteikette zu legen. Dem Verband wird also derzeit gar nichts anderes übrig bleiben, als in den nächsten zwei Monaten neben der Kommunalwahl auch Vorbereitungen dafür zu treffen, dass in der nächsten Wahlperiode die Partei die Fraktionen führt und nicht die Fraktionen die Partei in einen neuen Strudel aus Streitereien und Inkompetenz hineinreißen. Für die Zukunft muss darüber hinaus sichergestellt werden, dass die Partei Kenntnis über die Verwendung der öffentlichen Mittel hat, die den Fraktionen aufgrund des Engagements der Partei im Wahlkampf zur Verfügung stehen. Mitarbeiter oder gar Geschäftsführer der Fraktionen, die abgehoben agieren und weder Vorstandssitzungen besuchen noch zur kommunalen Programmentwicklung etwas beitragen wollen (oder können), werden dann der Vergangenheit angehören. Entscheidend ist also, dass die Personalfindung des hauptamtlichen Apparats in die Partei gezogen wird. Die undurchsichtigen Verhältnisse des Jahre 2006 dürfen sich nicht wiederholen.
Vielleicht kann gerade der Rückzug Voigts, der mit seinem Schritt eine Mauer des Schweigens aufgebrochen hat, dafür sorgen, dass die richtigen Zukunftsthemen in der Linken in Hannover debattiert werden. Dies würde auch einen weitreichenden Neuanfang im Kreisvorstand bedeuten müssen. Nur ein gut funktionierender Vorstand kann im September und Oktober 2011 die Konstituierungsphase der Fraktion so begleiten, dass es in Hannover einen echten kommunalpolitischen Neustart gibt.
(mb)
Verstehe die Kritik am Text von mb nicht. Der auslösende Sachverhalt ist klar umschrieben (Rückzug des Vorsitzenden). Die schweren Bedingungen der örltichen Szene (jahrelange Spaltung der Partei im Stadtrat, Verlust von Mitgliedern und Mandatsträgern, organisatorische Inkompetenz des Verbandes) sind allen Beteiligten bekannt. Der fds ist in Hannover nicht das Problem, sondern konkret handelnde Mitglieder, die bei weitem nicht alle im fds organisiert sind. Wer meint das es in Hannover eine Mehrfrontenauseinandersetzung gibt, der sollte diese Fronten benennnen und nicht Autoren mit realer „Ortskenntnis“ aus dem „Off“ belehren. Manche Kritik an Texten mag man(n) nicht mehr lesen, vor allen wenn „Leser“ Sachverhalte beurteilen die sie gar nicht kennen und belehrend mit Allgemeinplätzen daherkommen. Da hat sich eine echte „Forumsritterkultur“ eingeschlichen. Es gilt nicht den Autoren zu kritisieren, sondern die Verhältnisse die er beschreibt.
Naja, um mal von lafontaines-linke fortzusetzen:
Mißverständlich an dem Artikel ist natürlich, daß das fds nirgendwo klar benannt wird (dafür aber in anderen Artikeln). Der sogenannte Waffenstillstand umfaßt also drei „Fraktionen“… Aber so ist das in Parteien nunmal häufig beim Vorhandensein mehrerer Flügel: Den Entscheidungskampf zu suchen, ist da nicht immer ratsam und selten wirklich demokratisch. Am Schluß käme die übliche Spalteritis heraus. Daß Neumitglieder von sowas abgeschreckt werden können, ist dann der tatsächlich berechtigte Kern der Kritik. Die „Verelendung der Kompetenzbildung“ aber eine eher gewagte und elitistische Vorstellung: Repräsentanz in einer Demokratie funktioniert nicht erst nach Vorlage eines Meinungsführerscheins beim zuständigen Wächterrat. Und: Um die Einbindung von Neu-Mitglieder wird bekanntlich in Parteien manche Krokodilsträne vergossen, auch dann, wenn es eigentlich nur darum geht, die Kontrolle über sie zu gewinnen.
Die Fragen sind also: Sind die Fronten in Hannover für einen unbefangenen Beobachter tatsächlich so verhärtet? Gibt es auch konkrete Vorfälle zu berichten (das hattet Ihr in anderem Zusammenhang nämlich auf dieser Seite durchaus schon), die das Problem plastischer vor den Augen der Leser entstehen lassen? Und letztlich noch: Es mag ja sein, daß die Parteil unter einem Strömungsabriß leidet und am Trudeln ist, aber ist das ein ganz außerordentlicher Zustand für eine Partei? Müssen wir nicht vielleicht einfach mit viel Diplomatie innerhalb der Partei ermöglichen, daß an einstige Erfolge angeknüpft werden kann und wieder Begeisterung entsteht? Schuldzuweisungen machen nämlich in aller Regel nur Stabsoberlinken auf Dauer Freude und mancher innerlinke Endlosstreit wird sich den Wählern ohnehin nie erschließen…
Recht gebe ich Euch, daß es tatsächlich viele Leute gibt, deren Hauptziel ist, sich auf die Ressourcen der Partei zu setzen: Aber sowas muß man erstens in einer Organisation ab einer gewissen Größenordnung immer erwarten. Und zweitens taugt das nicht zum ungeprüften, inflationär und jederzeit verwendbaren Vorwurf.