von Matthias Zwack
Im Jahre 1891 trafen sich die Deligierten der größten und bedeutendsten sozialistischen Partei Europas mit internationalem Vorbildcharakter in Erfurt, um das wohl radikalste Parteiprogramm zu beschließen, das die SPD sich in ihrer Geschichte jemals geben hatte. Die erste zentrale Forderung, die für die Verfassenden Vorrang vor allen anderen Forderungen hatte, war die einer umfassenden Demokratisierung der Gesellschaft, deren kapitalistische Produktionsweise für die Mehrheit der Menschen „wachsende Zunahme der Unsicherheit ihrer Existenz, des Elends, des Drucks, der Knechtung, der Erniedrigung, der Ausbeutung“ bedeutete. Die Demokratisierung des bürgerlichen Staates wurde dabei im Erfurter Programm als notwendige Voraussetzung zur Umwälzung der ökonomischen Verhältnisse begriffen:
„Der Kampf der Arbeiterklasse gegen die kapitalistische Ausbeutung ist notwendigerweise ein politischer Kampf. Die Arbeiterklasse kann ihre ökonomischen Kämpfe nicht führen und ihre ökonomische Organisation nicht entwickeln ohne politische Rechte. Sie kann den Übergang der Produktionsmittel in den Besitz der Gesamtheit nicht bewirken, ohne in den Besitz der politischen Macht gekommen zu sein.“
Heute, ziemlich genau 120 Jahre später, scheinen diese Forderungen eigentlich aktueller den je. Die SPD ist schon lange nicht mehr links und der Kapitalismus immer noch nicht überwunden. Im Gegenteil ist er auch 2011 weiterhin quickfidel. wie die Menschen um den Globus gerade, in Zeiten der Wirtschaftskrise, bitter zu spüren bekommen: Weltweit strengen sich Staaten und transnationale Vereinigungen an, paternalistische Abhängigkeiten und soziale Sicherungsnetze aufzubrechen, deligieren ehemals staatliche Aufgaben an die Wirtschaft, verteilen den gesellschaftlichen Reichtum von Unten nach Oben um. Zur Durchsetzung dieser Katharsis, dieser Reinigung des Kapitalismus von uneffizient gewordenen Altlasten, kündigt der Staat den gesellschaftlichen Grundkonsens partizipativer Teilhabe aller Bevölkerungsschichten auf und greift zum ältesten Mittel staatlicher Kontrolle zurück: Zur Repression durch Disziplinierung, Überwachung oder die nackte, unmittelbare Gewalt von Richterspruch und Polizeiknüppel. Die derzeitige Krise des Kapitalismus ist auch eine Krise der Demokratie.
Doch das Jahr 2011 ist nicht nur das Jahr der Krise und des unbarmherzigen Durchsetzens der Macht des Kapitals, dieses Jahr ist auch ein Jahr des Protestes. Ob im Nahen Osten oder der EU, in den USA oder China, überall auf der Welt schließen sich die Menschen zu spontanen Aktionen zusammen, organisieren Proteste und Streiks, besetzen Plätze und Gebäude, um ihrer Unzufriedenheit Luft zu machen. Die Verlierer_innen dieses Systems, die die letzten Jahrzehnte lethargisch und vereinzelt zwischen Arbeit, Amt, Konsum und Wohnung hin und her dümpelten, sind als Machtfaktor auf der politischen Bühne zurück gekehrt. Losgelöst von den Zwängen ihrer jeweiligen Gesellschaften erproben sie neue Formen der Kommunikation, der Organisation und des Zusammenlebens, die auf Offenheit, Transparenz und Mitbestimmung beruhen. Und auf den Bannern und in den Parolen von Lissabon bis Teheran, von New York bis Shanghai steht gleichberechtigt, nicht daneben, sondern als untrennbarer und unlösbarer Teil von sozialer Gerechtigkeit die alte linke Forderung nach Demokratie.
Auch in der BRD, wo die sozialen Verhältnisse noch nicht so unerträglich geworden sind, dass die Menschen keine andere Möglichkeit mehr sehen, als auf die Straße zu gehen, machen sich diese Forderungen bemerkbar: Vor allem der Wahlerfolg der Piraten in Berlin, die sich vor allem als Vertreter der Demokratie profilierten, zeigt dies sehr deutlich. Mensch möchte eigentlich meinen, dass auch die LINKE, deren Vorgängerpartei PDS ja 1989 „unwiderruflich mit dem Stalinismus als System“ brach, sich zum Ziel setzte, sich all ihrer autoritären Strukturen ein für alle mal zu entledigen und erkannte, dass Freiheit und Sozialismus nicht zwei Gegensätze, nicht zwei unterschiedliche Dinge sind, sondern einander als untrennbare Einheit bedingen, dass das eine nicht ohne das andere existieren konnte, die Zeichen der Zeit erkennen und als Möglichkeit begreifen würde, die alte sozialistische Vision einer Gesellschaft der Freien und Gleichen voran zu treiben. Diese Chance wurde in den letzten drei Tagen in Erfurt gründlich vertan. Sicherlich, das Ziel war gut gemeint: Durch die Anknüpfung an das historische Programm von 1891 wollte der Vorstand die Partei einen und demonstrieren, dass diese Partei es schaffen würde, gemeinsam und vereint ein zukunftsweisendes Programm auf die Beine zu stellen. Doch wie heißt es so schön? Das Gegenteil von Gut ist gut gemeint.
Ich will mich gar nicht an den angeblichen „historischen Kompromiss“ dieses Programms aufhalten, das wegen seiner perspektivischen Uninspiriertheit, inhaltlicher Dissonanz und dem Bedienen plumper Allgemeinplätze bereits im Voraus ausgiebig kritisiert wurde. Viel denkwürdiger ist die Art und Weise, wie er zu Stande kam. Zu hinterfragen ist, ob es wirklich der Anspruch einer demokratischen Partei sein kann, wenn sich die Oberhäupter der verschiedenen Klüngelgruppen vor dem Parteitag zu Absprachen treffen, um danach ihre Gefolgsleute auf Linie zu bringen, anzuzweifeln, ob den Wünschen der Änderungsantragsteller_innen wirklich Genüge getan wird, indem beschlossen wird, die meisten Anträge immer nur en bloque abzustimmen, andere, dem Parteivorstand genehme Anträge aber gesondert eingebracht oder einfach ohne Abstimmung übernommen werden. Bezweifelt werden darf, ob es wirklich der Würde und dem Selbstanspruch dieser Partei Genüge tut, wenn ein scheidender Parteichef angesichts eines von der Basis eingereichten und durchgesetzten Antrages mit progressivem Inhalt schnaubt und tobt und der Antrag deshalb zur Abstimmung zurück geholt wird, indem der einzige wirkliche Sympathieträger dieser Partei – (Kader-)Sozialismus mit menschlichem Antlitz – für eine Revision der entsprechenden Stelle wirbt. Ist der Platz, den der Parteivorstand für den Souverän Parteitag vorsieht, wirklich der eines Abnickgremiums, einer demokratischen Kulisse für die Medienwelt, während die wirklichen Entscheidungen von anderen getroffen werden? Das Motto dieses Parteitages, welches mit großen Lettern an der roten Leinwand stand, war „Freiheit. Würde. Solidarität“. Was ist von diesen Worten zu halten, wenn sie auf der unter ihnen statt findenden Versammlung mit den Füßen getreten werden?
Vielleicht geben die im Anschluss durch gestimmte Satzungsänderungsvorschläge des Vorstandes eine Antwort. Während die Piraten kollektiv im Internet ihr Parteiprogramm bearbeiten und die Arbeit ihrer Abgeordneten mit verfolgen und sogar die SPD über demokratische Reformen, etwa der Öffnung von Wahlen für Nichtmitglieder, nachdenkt, wird in der LINKEN die Abkehr vom „Stalinismus als System“, welche identitätsstiftend und zentral für die PDS war, wurde in Erfurt in einem schleichenden Prozess verstümmelt und erodiert. Aus einer Partei mit dem Selbstanspruch, eine „Mitmach-Partei“ zu sein, wird in langsamen Schritten eine sich nach außen hermetisch abschließende Kaderpartei, die nicht mehr durch das Engagement an der Basis und die aktive Verankerung in der Bevölkerung vor Ort getragen werden soll, sondern durch die Weisungsbefugnis und Kontrolle von übergeordneten Gremien in einer hierarchisierten Parteistruktur.
Wie zynisch war vor diesem Hintergrund die wie von ihm gewohnt kämpferische und machistisch-schmetternde Abschlussrede des neuen Vorsitzenden in spe, Oskar Lafontaine, der wieder und wieder – als wäre dieser Nullbegriff nicht schon einmal vorgetragen inhaltsleer genug – die „Diktatur der Finanzmärkte“ als Drohkulisse herauf beschwor. Welches politische Konzept, so die unwillkürliche Frage kritischer Geister, gedenkt der Saar-Napoleon dieser Tyrannei entgegen zu setzen? Eine demokratische Gesellschaft im Sinne einer „freien Assotiation der Individuen“ oder einen neobonapartistischen Klientelismus, in dem das Wort der örtlichen Parteigranden Recht und Gesetz ist, während der Pöbel durch markige Phrasen und der Illusion von Mitbestimmung an der Stange gehalten wird? Die Tendenz ist nach Erfurt offensichtlich und der Saarländer – ganz im Sinne eines anderen Saarländers, der auch mal an der Spitze dieser Partei stand – machte am Vortag auch keinen Hehl daraus, als er dem Publikum selbstherrlich seine Garantie zu einem strittigen Punkt aussprach: „Ihr könnt euch da auf mich völlig verlassen.“ Verlassen – nicht auf das Votum der Deligierten, schon gar nicht auf das eigene Urteilsvermögen, nicht einmal auf den gewählten Vorstand, sondern auf das Wort eines saarländischen Provinzfürsten als neuer alter big man und Hoffnungsträger der ewig Gestrigen.
Statt einer offenen und fortschrittlichen LINKEN hat sich in Erfurt eine geschlossene und rückwärtsgewandte LINKE vereint, die ihre historischen Wurzeln nicht verbergen kann: Die Melange aus dem autoritären Charakter der DGB-Funktionär_innen mit dem Kadergehorsam der SED-Traditionen. Und wozu das Ganze? War es die Angst vor Uneinigkeit und Konflikten oder der Berichterstattung der Medien größer, als der Mut, durch neue Perspektiven gesellschaftliche Debatten anzuregen? War es die Panik, die Daligierten könnten durch ihr Votum den fragilen Kompromiss, den die Strömungen hinter verschlossenen Türen ausgearbeitet haben, größer als das Bedürfnis, durch eine offene und partizipative Streitkultur neue Wege aus zu gehen? Was für eine demokratische Legitimation kann eine Parteispitze unabhängig von ihrer Wähler_innenmehrheit haben, die zu solchen Methoden greifen muss, weil sie Angst vor ihrer eigenen Basis hat?
Damit komme ich zum letzten Akteur dieses unwürdigen Schauspiels: Den Parteitagsdeligierten selbst, die in der Regel in bravem Kadavergehorsam ihre Stimmzettelchen in die Höhe schnellen lassen, wie es vom Podium aus dirigiert wird. Der frenetische Jubel bei Ausbleiben jegliches gesunden Misstrauens, wenn wieder einmal ein_e prominente_r Vertreter_in einer bestimmten Strömung erklärte, dass der „Kompromiss“ vor allem und in erster Linie alle Forderungen der jeweiligen Gruppierung enthalte – auch wenn diese sich von Redner_in zu Redner_in eklatant widersprachen, spricht für sich. Statt emanzipierten und selbstbewussten demokratischen Sozialist_innen präsentierte sich ein Volk treuer Untertanen, die sich oft genug nicht einmal der Konsequenzen dessen bewusst waren, was sie da gerade abstimmten. In seiner breiten Zustimmung, in der Einnahme seiner Rolle als Versammlungsort willfährigem Stimmviehs hat der Parteitag sich im Grunde genommen selbst entmachtet.
Der Parteitag ist vorbei und das Ziel, Einheit und Geschlossenheit zu demonstrieren, wurde allerdings erreicht. Für einen Moment scheint Frieden, Frieden vor der andauernden Selbstbeschäftigung mit den internen Reibereien, Klüngelgruppen und Flügelkämpfen. Die Frage ist jedoch, zu welchen Preis? Der Parteitag ist vorbei und fast alles lief reibungslos und planmäßig ab. Zu reibungslos und zu planmäßig, möchte mensch hinzu fügen. Und aus der Ferne der Vergangheit hallt das Wehklagens des Phyrrus von Epirus als stille Mahnung: „Noch so ein Sieg und wir sind verloren.
Und noch ein Klassiker: Hippokrates wird der Sinnspruch zugeschrieben: „Wo Eiter ist, dort entleere ihn.“ Die LINKE täte gut daran, endlich dieser simplen Weisheit zu folgen. Am besten noch, bevor die Partei in gesellschaftlicher Bedeutungslosigkeit versinkt und auch das letzte Mitglied resigniert, weil diese Partei ihre historische Chance verpasst hat, die Verhältnisse zum Tanzen zu bringen.
(mz)
Zu dem Konjunktiv: Setzt man voraus, dass es einen Unterschied zwischen Forderung/Anspruch, Struktur und Grundhaltung geben kann, erledigt sich deine erste Frage eigentlich von selbst. Das mit der Grundhaltung habe ich dir übrigens hier an anderer Stelle schon einmal versucht zu erklären, dass die Piraten eine gesellschaftliche Demokratisierung einfordern und ihrem Anspruch nach auch versuchen, hier sich selbst treu zu bleiben, wollte ich damit nie in Abrede stellen.
Diese hehren Ziele kranken allerdings von Anfang an daran, dass diese Partei sich eben keine Gedanken darüber macht, was Demokratie eigentlich ist, genauso wie sie sich ohnehin sehr wenig Gedanken um die Natur ihrer zentralen Axiome macht. Dies haben LINKE und Piraten übrigens gemeinsam, nur begründen sie ihre Ignoranz aus einer anderen Perspektive: Die Piraten lehnen eine Debatte ihrer Axiome als „ideologisch“ ab, die LINKE als „unpolitisch“.
Und dein Vorschlag, einen Demokratie-Wettbewerb zwischen beiden Programmen zu führen, erscheint mir, der ich ja nie einen Hehl um meine Abneigung gegen das Programm der LINKEN gemacht habe, irgendwie sinnleer. Bei einer Wahl zwischen zwei Übeln muss sich nicht für das kleinere entschieden werden, wenn die Perspektive auf eine dritte Wahl fortbesteht. Ob das Piratenprogramm geeignet sein wird, eine solche dritte Perspektive zu eröffnen, wird sich noch zeigen. Ich bin da im Moment eher skeptisch, werde mich aber gerne ausgiebig dieser Frage widmen, wenn das Piraten-Programm mal da ist.
@mz,
die PP wäre in deinem Konjunktiv „keine demokratische Partei mehr“, weiter oben unterstellst du aber bereits eine „antidemokratische Grundhaltung“. Wie denn nun?
Abgesehen davon meine ich schon, aus den Namen der bisher bearbeiteten Anträge eine Tendenz herleiten zu können. Was der BPT als höchstes Gremium daraus macht, ist eine andere Sache. Mehrheiten müssen schließlich auch noch gefunden werden. Allerdings gilt: Ein Mitglied, eine Stimme. Da es keine Delegierten und keine fixen Strömungen gibt, kann auch nichts vorher ausgekartelt werden.
Warten wir es einfach, legen dann beide Grundsatzprogramme nebeneinander und vergleichen. Insbesondere mit der Wahrscheinlichkeit, die niedergelegten Ziele auch im real life zu erreichen.
Abgesehen davon, dass unter dem von dir geposteten Link definitiv nicht ersichtlich wird, in welche Richtung es bei den Piraten tendiert – deswegen heißt es ja auch „Antragsfabrik“ und nicht „sichere Beschlussfabrik“ (es sei dem, die Piraten hätten diesen Empfehlungsmodus der DGB, dann wären sie aber in meinen Augen keine demokratische Partei mehr), beruhigen mich deine Kommentare, die unweigerlich auftauchen, sobald irgendwer das Wort „Piraten“ gesagt hat, ungemein: Sie zeigen nämlich ganz gut, dass das Problem kritiklos alles 100% super findenden Parteisoldaten auch in anderen Parteien virulent ist. Bei den Piraten, die in ihrer Arbeitsweise „Kritik“ durch „konstruktive Mitarbeit“ ersetzt haben und als einzige Partei noch mehr an die Medienverschwörung der bbp glaubt, als die LINKE, vielleicht noch virulenter.
Die Fragen:
„Wo ist der Bezug der Piratenpartei zur sozialen Frage und zur öffentlichen Daseinsvorsorge? Zu HARTZ IV und zum Gesundheitssystem?“
lassen sich jetzt schon aus dem bisherigen (schmalen) Programm teilweise herleiten:
„Die Würde des Menschen zu achten und zu schützen ist das wichtigste Gebot des Grundgesetzes. Ein Mensch kann nur in Würde leben, wenn für seine Grundbedürfnisse gesorgt und ihm gesellschaftliche Teilhabe möglich ist. In unserer Geldwirtschaft ist dazu ein Einkommen notwendig.
… Die Piratenpartei setzt sich daher für Lösungen ein, die eine sichere Existenz und gesellschaftliche Teilhabe individuell und bedingungslos garantieren und dabei auch wirtschaftliche Freiheit erhalten und ermöglichen.“
Am 3/4 Dezember findet der BPT der Piratenpartei in Offenbach statt, an den momentan gemeinsam erarbeiteten Anträgen sieht man, in welche Richtung es tendiert:
http://wiki.piratenpartei.de/Bundesparteitag_2011.2/Antragsfabrik
Wenn sich aber die Lage der abhängig Beschäftigten und Transferleistungsempfänger schon verbessert, in dem sie mehr Teilhabe an politischen Entscheidungsprozessen (z.B. wie direkte Demokratie, Bürgerhaushalte etc.) bekommen, ist mir das sehr recht. Freiheit und Sozialismus halte ich für den sinnvolleren Weg. M.E. ist eine gerechtere Gesellschaft nur über größere Partizipation zu erreichen.
Was die Beurteilung des Zustandes DER LINKEN anbelangt, brauchen wir doch nur etwa 4 Monate abzuwarten, denn
1.Eigentich sollte der jetzige Zustand des Kapitalismus es DER LINKEN einfach machen, Menschen zu motivieren, in der Partei aktiv zu werden, auch wieder in den Wahlumfragen zuzulegen. Warum profitiert die Partei eigentlich nicht jetzt schon von der Kapitalismus-Krise?
2.Die Dynamik derselben wird sicherlich in den nächsten 4 Monaten noch stark zunehmen.
Wenn die Partei innerhalb dieser Zeit es nicht geschafft hat, mehr Menschen auf sich zu vereinigen und auch in der Gesellschaft eine politische Debatte über das System anzuschieben auf eine Art und Weise, dass spürbar wird, dass sie daran einen nicht unerheblichen Anteil hat, dann liegt leider nahe, dass der obenstehende Artikel zumindest in seiner Tendenz stimmt.
Die Zeit arbeitet also auf jeden Fall für die kritische Analyse.
Liebe Redaktion,
für meinen Irrtum, die Redaktion mit dem Autor gleichgesetzt zu haben entschuldige ich mich selbstverständlich, da ich fälschlicherweise den Artikel für einen Leitartikel gehalten habe.
Ein weiter so in der Partei DIE LINKE kann es tatsächlich nicht geben. Sie muss sich entscheiden, ob sie eine linke PArtei des 21. Jahrhunderts werden will und dann gehören eine fruchtbare Debatte z.B. über Grundeinkommen und dem Bürgerhaushalt dazu oder sie wird als noch linke PArtei des 20. Jahrhunderts untergehen – das ist die Lage der Partei.
Die Entwicklung bei den Piraten werde ich mit Interesse verfolgen, man wird sehen, was herauskommt und auch welche Kompromisse gemacht werden, wir hatten in der WASG zu anfang durchaus auch basisdemokratische Ansätze; davon müssen wir heute einiges wieder für uns einfordern, ich hoffe aufrichtig, dass die Piraten von ihren basisdemokratischen Strukturen in 2 oder 4 Jahren möglichst viel behalten haben werden. Leicht wird das sicherlich nicht werden.
Solidarische Grüße
DIE LINKE hat die gleiche Software für Ihre Programmdiskussion verwendet. Im Gegensatz zu den Piraten jedoch nur, um Ideen und Meinungen der Basis zu messen. Mit diesen „Meßergebnissen“ haben dann die Strömungen in den Gremien einen mehrheitsfähigen Antrag erstellt. Potemkin hat mit dieser Kritik recht. Offensichtlich können DIE LINKEn diese Möglichkeiten der basisdemokratischen Erarbeitung einer Programmatik nicht nutzen oder wollen es nicht.
Zunächst einmal: die Redaktion hat mit dem Kommentar nur insofern was zu tun, als dass sie mir den Raum gab, ihn zu veröffentlichen. Und was mich angeht, kann ich deinen Vorwurf, mit zweierlei Maß zu messen, nicht nach vollziehen. Denn abgesehen davon, dass ich
a) mich in der Vergangenheit – auch auf diesem Blog – ausgiebig mit der Piratenpartei auseinander gesetzt und sie für ihre antidemokratische Grundhaltung und ihre Versuche, den Kapitalismus zu reformieren, kritisiert habe (was bei genauerem Hinsehen nicht im Widerspruch zu meinen Aussagen bezüglich der Piraten im Text oben steht),
b) nicht verstehe, was die von dir genannten Punkte Hartz IV und Gesundheitssystem (also ohne gleichzeitiger Demokratisierung der Sozialsysteme nur das Ersetzen einer schlechten Armutsverwaltung durch eine gute Armutsverwaltung bedeuten, statt Abschaffung eines Systems, das eine Armutsverwaltung erst nötig macht), unbedingt mit Demokratie zu tun haben sollen, sowie
c) den Verweis auf die Antisemitismusdebatte in der Linken und die NPD-Debatte bei den Piraten – zu beiden Themen habe ich mich nämlich gar nicht geäußert – doch für hoch konstruiert und maßlos übertrieben halte:
Was wolltest du mir eigentlich sagen? Schließlich habe ich mich hier mit dem Parteitag der LINKEN und nicht dem Parteitag der Piraten auseinander gesetzt, die meines Wissens nach dieses Wochenende gar keinen Parteitag hatten und zu dem ich, selbst wenn, sicher nicht hin gefahren wäre. Und der Tipp, doch lieber Äpfel und Birnen zu vergleichen, bringt demjenigen, der gerade einen Apfel nach faulen Stellen prüft, weil er Äpfel nun mal lieber mag als Birnen, relativ wenig.
Aber nehmen wir mal die Piraten – deren Satzung (spätestens seit gestern) tatsächlich demokratischere Elemente erhält als die Satzung der LINKEN – aus dem Spiel und vergleichen die LINKE mit einem definitiv undemokratischeren Club, etwa der DKP oder einer DGB-Gewerkschaft: Ist dann der Hinweis, dass diese undemokratischer sind, Grund genug, das mangelnde Demokratieverständnis des eigenen Clubs zu ignorieren und munter zu sagen: Weiter so! Ich hoffe, es ist nachvollziehbar, dass ich genau diese Denkweise in meinem Text kritisiert und angegriffen habe und mich an dieser Stelle jetzt nicht wiederholen werde.
An der Stelle möchte ich nur auf zwei Punkte eingehen. Erstens, ist es korrekt, dass die Piraten noch keine Antwort auf alle Fragen im politischen Raum haben. Allerdings muss man erkennen, dass die Diskussion und Entwicklung politischer Ideen dort auf neue Art basisdemokratisch organisiert ist. Im Gegensatz zu den fein austarierten Kompromissen der Strömungen in der Linken, die von ihren „Prominenten“ ausgehandelt und von den Delegierten nur noch ausgeführt werden. Von der Beteiligung Aussenstehender, also den Subjekten der proklamierten Politik, spricht man in diesem Zusammenhang besser nicht. Zweitens, haben nicht nur die Piraten ehemalige Mitglieder der NPD in ihren Reihen. Wenn man als Partei und als davon betroffenes Mitglied offen mit der – glücklichen – Änderung der politischen Gesinnung umgeht, sehe ich hier kein wie auch immer geartetes „Problem“.
Liebe Redaktion,
Ihr messt schon sehr mit zweierlei Maß, wenn Ihr auf der einen Seite feststellt, dass sich mit der Piratenpartei in Berlin eine Sachwalterin der Demokratie profiliert habe und auf der anderen Seite ein Programm der Partei DIE LINKE, welches sicherlich unter schwierigen Bedingungen zustande gekommen ist, die die Partei sich zum großen Teil selbst geschaffen hat, als faulen Kompromiss abtut.
Ich selbst habe mich übrigens mit Kritik an Partei und Bundesvorstand, auch im Hinblick auf K-Debatte und Mauerdiskussion nicht zurückgehalten – beides hat der Partei schwer geschadet, auch ihre politische Passivität zum Krisenjahr 2008 – ich rede dem Bundesvorstand also sicherlich nicht nach dem Maul.
Wo will sich jetzt aber die Piratenpartei jetzt schon für die Demokratie profiliert haben?? Sie ist mit dem mehr als berechtigten Willen nach mehr Demokratie angetreten und hat in Berlin ein sehr respektables Ergebnis hingelegt, nicht weniger, aber eben auch nicht mehr. Strukturen aufzubrechen und in Frage zu stellen zum Zweck der Demokratisierung ist richtig und wichtig. Nur danach muss man das mit politischen Inhalten füllen und wenn das gelingt, wird sich die Piratenpartei für die Demokratisierung der Demokratie profiliert haben, aber doch nicht vorher!
Denn es bleiben viele Fragen offen: Wo ist der Bezug der Piratenpartei zur sozialen Frage und zur öffentlichen Daseinsvorsorge? Zu HARTZ IV und zum Gesundheitssystem? Lasst doch die erst einmal ihre Programmatik entwickeln und schaut Euch dann an was für Kompromisse und Debatten zustande kommen und wie demokratisch die sind.
Währenddessen: Das Problem bei der Piratenpartei mit ehemaligen NPD’lern fällt auch nicht vom Himmel: Wer das Aufbrechen von Strukturen zu einem guten und auch berechtigtem Zwecke fordert, aber politische Koordinaten vermissen lässt, hat natürlich den Nutzen, dass die Partei attraktiv und offen für viele Menschen dasteht. Nur zieht diese Offenheit und politische Unbedarftheit eben auch Wirrköpfe und Rechte an.
Ich kann mir durchaus vorstellen, dass die Piraten eine interessante Programmatik entwickeln werden. Wenn es aber soweit ist, werden wir sehen, wie demokratisch die Partei dann noch ist und wieviel mehr oder weniger fragwürdige Kompromisse dann evtl. eingegangen wurden. Die Hühner werden nämlich erst gezählt, wenn sie im Stall sind!!!
Nein, zweierlei Maßstäbe führen direkt zur Bigotterie. Wenns passt noch DER LINKEN Antisemitismus vorwerfen und über die Probleme der Piratern mit ex-NPD’lern hinwegsehen, so wird das nicht funktionieren, das endet in Selbstbetrug.