Kurz vor Heiligabend haben sich führende Mitglieder der Linken zu den Ereignissen des ausklingenden Jahres und zur Debatte um einen Mitgliederentscheid über den Parteivorsitz geäussert. In der Frankfurter Rundschau zog Bodo Ramelow eine kritische Bilanz der Politik der Linken und fordert für den jetzt anstehenden Parteitag und die Wahl des neuen Vorstandes „einen Aufbruch, getragen von der Mitgliedschaft der Partei“. Das Personal für den Vorstand dürfe, so Ramelow weiter, nicht wieder ausgeklüngelt werden, weil man „noch eine Nacht der langen Messer“ nicht brauche. Die im jetzigen Vorstand überrepräsentierten Strömungen spiegelten nicht die breite Mitgliedschaft der Partei wieder, zudem sei das geografische Quotieren in West und Ost nicht mehr zeitgemäss. Auf den Stimmzettel für den aus der Sicht Ramelows notwendigen Mitgliederentscheid gehörten Bartsch ebenso wie Wagenknecht. Gysi und Lafontaine sollten hingegen die Partei in den Wahlkampf 2013 führen. Mit Blick auf das Wirken der Bundestagsfraktion (immerhin mit um die 300 hauptamtlich Angestellten ein Machtfaktor in der Partei), stellt Ramelow fest: „Die Bundestagsfraktion hat sich innerhalb der Partei leider einen viel zu großen Status freigeräumt. Die Führung der Partei, die Richtlinienkompetenz muss wieder ins politische Zentrum zurück, unter kraftvoller Beteiligung der Landesverbände. Wir sind doch nicht eine Partei, die an der Bundestagsfraktion hängt. Die Partei ist nicht der Schwanz und die Bundestagsfraktion nicht der Hund.“
Dass tatsächlich über die Rolle der Bundestagsfraktion nachgedacht werden sollte, bestätigt eine Mail des MdB Nešković, die dieser ohne Aufforderung als Lektüre für den „weihnachtlichen Gabentisch“ versandt hat. Anhängend einige von ihm erarbeitete „rechtliche Überlegungen„, die klarstellen sollen, dass ein Mitgliederentscheid über den Parteivorsitz gegen die Satzung der Partei und das Parteiengesetz verstösst. Bemerkenswert, dass ein parteiloser MdB, der der Bundestagsfraktion der Linken angehört und mittlerweile als Kritiker nicht nur des realpolitischen Brandenburger Landesverbandes gilt, hier ohne Auftrag – denn diesen hat richtigerweise der Parteivorstand vergeben – eine umfassende rechtliche Bewertung eines die Partei und ihre Mitgliedschaft, und eben gerade nicht die Fraktion, betreffenden Vorganges an nahezu alle Funktionsträger der Partei verschickt. Aus Fraktion und Parteivorstand liegt mittlerweile auch eine Replik vor, die in kurzen Sätzen treffend darlegt, warum die politische Frage des Parteivorsitzes mittels eines empfehlenden Mitgliederentscheides der Basis zur Abstimmung vorgelegt werden kann. Abschliessend wird aber wie angekündigt der Parteivorstand am 12. Januar auf der Grundlage eines neutralen Gutachtens entscheiden.
In der TAZ vom 23.12. äussert sich die amtierende Vorsitzende Gesine Lötzsch zu ihrer schon angekündigten Kandidatur und zur Diskussion um einen Mitgliederentscheid u.a. wie folgt: „Wir fordern in unserem Parteiprogramm Demokratie und Transparenz. Das müssen wir auch leben. Alle, die kandidieren wollen, müssen bis zu einem bestimmten Termin ihre Kandidatur öffentlich machen. Und es wird nicht in Hinterzimmergrüppchen oder Männerbierrunden etwas ausgekungelt. Jeder gibt sein Politikkonzept ab, und die Mitglieder entscheiden. Es gibt natürlich auch Argumente dagegen. Aber wir haben dieses Recht in der Satzung festgelegt. Im Moment sieht es so aus, als wäre das Quorum erreicht. Von daher geht es jetzt gar nicht mehr darum, sich dafür oder dagegen auszusprechen – er wird einfach stattfinden.“. Auch sieht sie weder eine Kandidatur von Sahra Wagenknecht noch von Oskar Lafontaine, obwohl dies von einigen Genossen immer wieder in die Debatte eingebracht wird.
Abgerundet wird das weihnachtliche Festtagsmenü der Linken mit einer langatmigen Erklärung der Kommunistischen Plattform unter dem Titel „Es gilt das Erfurter Programm von 2011 – Fünf Überlegungen des KPF-Bundessprecherrates zur Erklärung von Dietmar Bartsch vom 30.11.2011“. Unter dem Eindruck „schlimmster Hetze gegen unsere Partei“ wird eine deutlich einseitig gefärbte Bilanz des Jahres 2011 gezogen und gegen die Kandidatur von Bartsch bzw den gesamten Reformflügel angeschrieben, als ob es gilt, das gerade erarbeitete Programm gegen die in den eigenen Reihen vermutete Konterrevolution zu verteidigen. Die KPF, der immerhin auch als mittlerweile nichtaktives Mitglied Sahra Wagenknecht angehört, bestätigt hier durch Wortwahl, Form und Ziel der „Angriffe“, warum die Linke als breit aufgestellte, linke Partei zumindest in diesem Jahr an Attraktivität für Mitglieder und Wähler verloren hat. Man möchte sich nach der Lektüre des Textes der impliziten Forderung Ramelows anschliessen, dass die in der Partei vorhandenen (und gewollten) Strömungen auf ihr tatsächliches politisches Gewicht zurück gestutzt werden.
In diesem Sinne wünscht die Potemkin-Redaktion eine ruhige und besinnliche Weihnachtszeit, bevor das Politische uns alle früh genug wieder einholt.
Update
Nun hat sich auch Gregor Gysi wieder in die Diskussion eingeschaltet. Nach einem Bericht der Berliner Morgenpost vom 26.12. fordert er einen Vorentscheid über den nächsten Parteivorsitz noch zum Jahreswechsel. „Wir haben noch bis Mitte Januar Zeit, eine entsprechende Lösung zu finden“, wird aus einem Gespräch Gysis mit der dpa zitiert. Ein Mitgliederentscheid kann nach den Vorstellungen Gysis entfallen, denn „Man sollte sich in einem gewissen Kreis verständigen“ und noch vor der Entscheidung des Parteivorstandes „die Idee einer kooperativen Führung“ umsetzen, wie sie auch Lafontaine vorgeschlagen hat. Aus welchen Personen mit welcher Legitimierung dieser „gewisse Kreis“ besteht, bleibt offen. Nach der „Elgersburger Runde“ wurde zumindest spekuliert, dass Lafontaine, Gysi und Heinz Vietze, der Vorsitzende der parteinahen Rosa-Luxemburg-Stiftung, einen Vorschlag erarbeiten wollen.
(mb)
Führerkult bizarr. Kein Wunder, dass dieser Wunsch mit der Aufhebung rechtlicher Umgangsformen gekoppelt ist. Solche Stellungnahmen gab es dieser Tage ohne Ende. Und zwar in Nordkorea…
Die Linke und die Bundessatzung eine eigene seperate Geschichte.
Dashalbe eine Bitte : Oskar mach es. Wir brauchen keine Satzung sondern Zustimmung in der
Bevölkerung. Dietmar Bartsch ist für diese wichtige Aufgabe nicht geeignet, weil diese Person
zu stark polarisierent wirkt.
Nezkovic war 1993 in der SPD und damals gab es Urwahlen des Parteivorsitzenden. Der Vollzug dieser Urwahlen hat zwei Folgerungen: entweder hat Neskovic damals das ganze in seinen Augen laut Parteiengesetz widerrechtliche nicht gestoppt oder (undw ahrscheinlicher), das Parteiengesetz erlaubt derartige Mitgliederbefragungen. Wenn das PArteiengesetz aber es erlaubt, dann bricht die gesamt Argumentation von Neskovic insofern zusammen als dass alle von ihm als zwingend (und nicht interpretatorisch) genannten Gründe unzutreffend sind.