Am Jahresende gibt es Rückblicke und Danksagungen allenthalben. Man blickt auf die Wohltaten der Freunde zurück und auf die Schandtaten der Feinde, dankt den einen offen und den anderen versteckt dafür. Jedes Jahr wiederholt sich dieses Ritual. Auch werden jedes Jahr Vorsätze, Hoffnungen und Vorhersagen auf das kommende Jahr formuliert. Katastrophen befürchtet, Triumphe herbeigesehnt, Abläufe vorhergesagt. Manchmal wird recht originell auf die Voraussagen der Vergangenheit und ihr Zutreffen oder Ausbleiben verwiesen. Und hin und wieder passieren Dinge einfach nochmal. Manchmal auch mit einem Jahr Pause dazwischen.
Nun tagen wieder kleinste Kreise ohne jegliche Legitimation und suchen neues Spitzenpersonal. Wieder finden viele dies nicht fair. Wieder wird auf notstandsartige Umstände zur Rechtfertigung verwiesen und wieder wird es in den Anfangswochen des Jahres zu einem großen öffentlichen Ritual kommen. Die üblichen Verdächtigen positionieren sich entlang von Gefolgschaftslinien, an denen sie gewohnt sind zu stehen und zumindest einen vorderen Platz sicher haben.
Doch diesmal kam etwas Unerwartetes – eine nicht beabsichtige Wendung, ein Twist. Ein Parteivorsitzender hatte sich bei den Kreisvorsitzenden einschmeicheln wollen, ihnen entsprechend den Bauch gepinselt und dabei allerlei nette Dinge gesagt, die gut klangen, aber nicht weiter ernst gemeint oder durchdacht waren. Er plapperte halt einfach. Und da fuhr ihm auch eine Äußerung über Direktwahlen der Parteispitze aus dem Mund. Das hat damals so ziemlich niemanden interessiert – die einen nicht, da sie es ihm eh nicht glaubten und die anderen nicht, weil sie ihn nicht ernst nahmen. Doch einige Monate später griff jemand diese Forderung auf. Wahrscheinlich aus strategischen Motiven heraus. Doch in diesen Monaten dazwischen war ja einiges passiert. Nichts einzelnes Konkretes, sondern viel Kleines, was zwar schon zuvor da, aber noch nicht derart angesammelt war: Es gab Unmut über die Struktur und die Verfahren in der Partei. Und plötzlich tauchte da der Vorschlag einer Art Urwahl auf. Und viele Unzufriedene fanden, dies sei zumindest mal was anderes als die bisherigen Praktiken und wollten dies haben. Der Vorsitzende versteckte sich, wollte er doch nicht sagen müssen, dass er damals doch nur Kokolores gesprochen hatte. Der Anwärter freute sich über diese Unterstützung auch ihm fernstehender Personen. Die Vorsitzende sah die Möglichkeit sich aus der Geiselnahme der Strömungen zu befreien und sprang auf den Zug auf. Der Herzog und der König, samt neuer Königin, waren irritiert und sahen ihre illegitime Legitimation in Frage gestellt, waren not amused. Die Strömungen rechneten eifrig und positionierten sich entsprechend ihrer Aussichten.
Es entbrannte Streit, ob die neue Technik legitim sei. Alle Seiten führten weise Männer und Zauberer ins Feld, die entsprechend sprachen wie ihre Freunde es erwarteten. Es war ja Winter geworden. Und draußen sah man gelegentlich Eichhörnchen ihre Winterruhe unterbrechend um an ihre Nussvorräte zu gehen. Wenig bekannt aber wirklich stattfindend, gab es eine der Partei ähnliche Situation unter den Eichhörnchen. Die alten europäischen Eichhörnchen hielten länger Winterruhe, sahen in ihrem Fell schön aus, waren niedlicher und gingen seltener zu ihren Vorräten. Die neuen Eichhörnchen aus Übersee, mit simpleren Fell und weniger Niedlichkeitm unterbrachen häufiger ihre Pausen und nutzen ihre Wachzeiten auch dazu die Vorräte der anderen zu plündern. So verdrängten die Neuen die Alten.
Und wie bei den Eichhörnchen die neuen, aktiveren, flexibleren, neugierigeren die Alten zur Seite drängten, so geschieht dies auch zwischen den Parteien. Und oben erwähnte Partei steht derzeit vor dem Scheideweg, ob sie etwas neues, aktiveres flexibleres, neugierigeres sein will oder das alte bleiben will unter der Führung alter Könige, ihrer Gemahlin und eines liebenswürdigen Herzogs oder ob sie etwas neues werden will, auch wenn dies bedeutet, eine Zeitlang ohne schönes Fell auszukommen.
von Michael (Mümmel) Treitinger