Transparenz und Demokratie in der Linken: Wie Flasche leer…

Transparenz und Mitbestimmung aller in Entscheidungsprozessen in Parteien und Gesellschaft entwickeln sich, unter dem Eindruck des Erfolges der Piraten, mehr und mehr zu den Faktoren, an denen sich die demokratische Qualität von Politik messen lassen muss. Die etablierten Parteien haben dies erkannt. So führte beispielsweise die SPD in Niedersachsen eine Urwahl durch, um den Spitzenkandidaten zur Landtagswahl zu bestimmen. Auch über eine Urwahl des Kanzlerkandidaten für 2013 wird bei den Sozialdemokraten nachgedacht. Die Grünen wollen ihr Spitzenduo für 2013 auch in einem Mitgliederentscheid von der gesamten Partei wählen lassen. In der, notorisch klammen, FDP konnte die Parteibasis in einer kostspieligen Mitgliederbefragung über die Zustimmung oder Ablehnung des Euro-Rettungsschirmes entscheiden. Die Piraten führen ohnehin jede interne Wahl oder politische Entscheidung so durch, dass sich alle Mitglieder schon im Vorfeld ohne Hürden einbringen können. Lediglich die Linke hat sich, bestätigt durch das vorgeblich satzungs- und parteienrechtliche Verbot einer Urwahl der Parteivorsitzenden, komplett von dieser Entwicklung abgekoppelt. Noch nicht einmal die Diskussion über mögliche Kandidaten und das Verhalten der Delegierten zu diesen darf in typischer Top-Down-Manier in der Parteibasis und der Öffentlichkeit stattfinden. Zwei aktuelle Beispiele zeigen auf, wie stark sich demokratischer Anspruch und gelebte Wirklichkeit im Bezug auf Entscheidungsfindung und Transparenz in der Linken auseinander bewegen. Und wie weit sich die Nachfolgerin der „Partei des demokratischen(!) Sozialismus“ damit von der Lebenswirklichkeit der Menschen und der Politik im Land abgekoppelt hat.

Nach jeder Wahl sind in den Parteien auch Entscheidungen zu treffen, um die steuerfinanzierten Stellen und Funktionen im Apparat der Fraktionen mit möglichst qualifiziertem Personal zu besetzen. Üblicherweise greift man hier zuerst auf interne Bewerber bzw aus der Vorperiode schon die Funktion ausfüllende Personen aus der eigenen Partei zurück. Selbstverständlich gehört dazu, dass es eine öffentliche Stellenausschreibung gibt und die Entscheidung für oder gegen einen Bewerber in einem diskriminierungsfreien und fairen Prozess erfolgt. Die Qualität des Personals ist nicht nur Garant für den Erfolg in der Umsetzung politischer Ziele in der laufenden Periode, sondern auch wichtigstes Fundament für eine mögliche Wiederwahl in der nächsten Periode. Da wirkt es auf Wähler, Parteibasis und Presse gleichermassen verstörend, wenn die neue Linksfraktion im saarländischen Landtag bekannt gibt, dass die ehemalige Tennisspielerin Claudia Kohde-Kilsch zur neuen Pressesprecherin „ernannt“ worden ist. Und zwar nicht in einem dem oben skizzierten Verfahren ähnlichen Prozess, sondern einfach auf Zuruf des starken Mannes der Partei, Oskar Lafontaine, mit dem sie zufälligerweise seit Jahrzehnten befreundet ist. Schon kann sie sich als Nichtmitglied der Linken vorstellen, dass sie auch weitere politische Funktionen übernimmt und sich stärker einbringt. Da sie sich kaum einen besseren Mentor als Lafontaine vorstellen kann, wird zumindest für Kohde-Kilsch die Ernennung zur Pressesprecherin zu einem wichtigen Meilenstein ihrer persönlichen Karriereplanung. Dass allerdings solch eine lafontainesche Personalpolitik nach Gutsherrenart Unfrieden in der Partei stiftet und die ständigen Forderungen der Linken nach Transparenz, Mitbestimmung, Demokratie und gegen Vetternwirtschaft als hohle Phrasen entlarvt, scheint den alten Herren des Sozialismus der Hinterzimmer leidlich egal. Oskar Lafontaine zumindest agiert bei der Auswahl der Pressesprecherin „seiner“ Fraktion auch nicht anders, als in der Frage seiner oder einer anderen Kandidatur zum Parteivorsitz. Er entscheidet, die Partei hat zu folgen oder zumindest zu schweigen. Lafontaine liefert damit natürlich auch anderen „Machtträgern“ in der Partei die Blaupause, um selber in einer ähnlichen Art zu agieren, wenn es um die Verteilung der Pfründe des bürgerlichen Parlamentarismus geht.

Vor der Stellenbesetzung im Parlament muss sich aber auch die Linke immer erst noch dem Wählervotum stellen. Eine klug von der Parteibasis aufgestellte und getragene Landesliste mit Kandidaten, die auf das Vertrauen der Parteimitglieder, ihre Mitarbeit im Wahlkampf und den Zuspruch der Wähler setzen können, ist neben einem guten Wahlprogramm, die wichtigste Voraussetzung für elektoralen Erfolg. Vor einigen Tagen verkündete der Landesvorstand der Linken in Niedersachsen, welche zwei Personen als Spitzenkandidaten auf die Landesliste zu setzen sind und dass „gewisse Kreise“ ein parteiloses, elektorales Zugpferd auf einem sicheren Listenplatz sehen wollen. Eine Diskussion über Kandidaturen und die politischen Ideen für die diese Personen dann stehen, hat vorher nicht stattgefunden. Selbst das Wahlprogramm, eigentlich die Grundlage einer Kandidatur, da man dieses ja zu vertreten hat, ist noch nicht fertig. Hauptsache für das niedersächsische „Politbüro“ ist, dass bereits amtierende Landtagsabgeordnete sicher ihre Mandate behalten und der Vorsitzende der Partei auch Spitzenkandidat wird. Die Basis wurde hier komplett übergangen und befindet sich seit dieser „Verkündung“ wieder einmal in fröhlichen Flügelkämpfen, um die zu den Listenwünschen des Vorstandes passenden Delegierten zu stellen. Denn nach dem niedersächsischen Verfahren hat sich zumindest das Wahlvolk in der Partei nach den Personalvorstellungen der Führung zu richten. Besonders pikant ist hier dann noch die Information, die die Parteibasis so noch nicht mal von ihrem Vorstand erfährt, dass in der betreffenden Sitzung nicht nur die beiden ersten Plätze, sondern alle 10 aussichtsreichen Listenplätze schon vorab verteilt und beschlossen worden sind. Nicht verwunderlich, dass der Landesvorsitzende und designierte Spitzenkandidat nun eine Tour durch die Kreisverbände unternehmen muss, um einen auf das fixierte Personaltableau passenden, handzahmen und kritiklosen Delegiertenkörper zu formen.

Diese Beispiele der letzten Tagen stehen nur exemplarisch für den alltäglichen Umgang in der Linken. Eine Partei, die in solch intransparenter Weise die innerparteiliche Demokratie mit Füssen tritt, kann verständlicherweise auch nach Aussen keine anziehende Wirkung mehr entfalten. Weder Wähler noch Mitglieder, ob aktiv oder potentiell, werden mit diesem überholten Politikverständnis für die Linke begeistert. Die Talfahrt auf der sich die Linke momentan befindet, erklärt sich sicher zu grossen Teilen auch aus diesem Bild des Umgangs miteinander, in einer Partei, die Demokratie und Transparenz zwar gerne plakatiert, aber selbst immer noch in Hinterzimmern und Politbüros denkt und lebt.
(mb)