Zeichen des Aufbruchs in Zeiten des Umbruchs – Ein Bericht von der Bundesmitgliederversammlung der Emanzipatorischen Linken

von Matthias Zwack

Konzeptlosigkeit, Aufarbeiten in Gremien, andauernde persönliche Quereleien – Parteiarbeit in der Linken ist derzeit nicht gerade besonders sexy. Aber wer sich aus Neugier letzten Samstag ganz arglos in die Kulturkantine ins verregnete Berlin begeben hat, konnte sich einer gewissen Überraschung sicher sein: große, aus endlosen Durchhalteparolen bestehende Bühnenreden prominenter Parteimitglieder vor ehrfürchtig verstummendem Publikum, endlose Abnick-Orgien treuer Gefolgsleute bei Wahlen und Abstimmungen, deren Ergebnis schon im Voraus feststeht, verschworene Mauschelgrüppchen auf den Gängen, missgünstige Blicke und hämische Kommentare, kurz: das andauernde lähmende Gefühl der Angst, vielleicht etwas „Falsches“ zu tun oder zu sagen, welches Parteiveranstaltungen für gewöhnlich dominiert, fehlten dort vollkommen. Statt dessen hatte man den Eindruck, hier in gemütlich-familiärer Atmosphäre miteinander offen und gleichberechtigt diskutieren und streiten zu können. Allein aus diesem Grund könnte man schon sagen, dass die Bundesmitgliederversammlung der Emanzipatorischen Linken (Ema.Li) ein voller Erfolg gewesen ist.

Denn in Zeiten der ewigen Selbstbeschäftigung, der Dominanz der Alten Männer, der Kungelrunden „gewisser Kreise“ und des Krieges der Strömungen geht genau diese Atmosphäre bisweilen ab. Parteipolitik, das sollte ja eigentlich auch etwas sein, das Spaß macht. Eben weil man mitmachen kann und sich einbringen, neue Anregungen aufnehmen und neue Konzepte erproben. Genau diese Freude an der Politik, die erst entstehen kann, wenn die Meinung des Einzelnen wichtig ist, wenn man sich respektvoll begegnet und einander zuhört, kann auch von den eigenen Mitgliedern heute kaum mehr mit dieser Partei verbunden werden. Zu sehr hat sich die Anfangseuphorie in der Linken, die eigentlich auch einmal gegründet wurde, um aus den Erfahrungen in Ost und West, sowie den Fehlern der Vergangenheit zu lernen und mit alten Traditionen wie eben dem Dogmatismus und Autoritarismus früherer sozialistischer Bewegungen zu brechen, wieder gelegt. Zurück geblieben ist eine Partei, die sich inhaltlich wenig erfrischend , ja, geradezu konzeptlos gibt und in der sich Altleninisten, Gewerkschaftsfunktionäre und zu biederen Sozialdemokraten mutierte ostdeutsche Provinzfürsten – sprich: die gesamte Bandbreite des Sozialismus „von Oben“ der alten Arbeiterbewegung – um Posten und Positionen bekämpfen.

Angesichts dieser Umstände verwundert die Schwerpunktsetzung kaum, welche sich die kleinste der wichtigen Strömungen in der Linken für ihre Versammlung gegeben hat: die parteiinterne Demokratie. So fing der Morgen mit einem Inputreferat der Rosa Luxemburg Stiftung über Organisationskritik an, und wenn dort etwa das satzungsgemäße Recht der Parteimitglieder „an der Meinungs- und Willensbildung mitzuwirken, sich über alle Parteiangelegenheiten zu informieren und zu diesen ungehindert Stellung zu nehmen“ auf die Leinwand projeziert wurde, konnte man sich ein leichtes, sarkastisches Schmunzeln nicht verkneifen. Quintessenz der Analyse verschiedener linker Parteien in Europa anhand von Mitgliederrechten, Entscheidungsmöglichkeiten oder Gleichberechtigung der Geschlechterrollen war die Feststellung, dass die Linke von ihren Strukturen her eigentlich alle Voraussetzungen für ein sehr offenes und demokratisches Arbeiten habe und sich diesbezüglich keinesfalls verstecken müsse. Allein – in der Praxis kämen die libertären Ansätze oft genug im Spiel um die Macht unter die Räder.

Eine ähnliche Richtung schlug dann auch die sich darauf hin entwickelnde Diskussion ein. Hier wurde vor allem die Frage um eine neue demokratische Kultur gestellt und ein verstärkter Fokus auf organisationspolitische Fragen gerichtet. Dies betraf unter anderem die Frage, wie sich die Ema.Li innerhalb der Partei zukünftig verorten wollte: Neben einer Debatte über den Sinn und Unsinn von Mandaten durch Strömungen und AGs als eigenständige Machtfaktoren wurde hier vor allem die Verortung der Ema.Li im Strömungsgefüge diskutiert. So herrschte etwa ein gewisser Konsens darüber, dass die pauschale Einteilung der Strömungen in ein links-rechts-Schema kaum der politischen Realität entspreche: Gerade in Fragen parteiinterner Demokratie stünden sich etwa große Teile der AKL und Ema.Li näher, während fds und SL eher autokratischere Führungsmodelle favorisierten. Katja Kipping sprach in diesem Zusammenhang von einem Unterschied zwischen „Veränderungs-“ und „Verwaltungslinker“. In ihrer Tendenz zu autoritären Strukturen seien sich etwa das Erbe der SED als auch des DGB sehr ähnlich. Dies zeige sich nicht nur in demokratietheoretischen Fragen, sondern auch im Bereich des Feminismus, etwa, wenn auf der einen Seite Alt-SEDler die Quotierung nach Geschlechterrolle ablehnten und auf der anderen Seite „Gewerkschaftsmacker“ die Sommerakademie mit dem Reißen sexistischer Witze verbrachten. Die Kritik an derartigen Strukturen machte allerdings auch an der eigenen internen Verbandspraxis nicht halt: So wurde etwa einem Konflikt um die Wahlen zum Ko-Kreis der Strömung vom letzten Jahr ein eigener Tagesordnungspunkt für eine offene Aussprache eingeräumt – eine für die Gesamtpartei derzeit nahezu unvorstellbare Geste des aufeinander Zugehens.

Die Themen Demokratie und neue inhaltliche Impulse bestimmten auch weiterhin die Themenfelder der Versammlung. In gemeinsamer, bisweilen etwas chaotisch verlaufender, Redaktion wurde etwa ein Positionspapier zum Bundesparteitag in Göttingen verfasst, der die monthematische Fokussierung der Partei auf eine Reform der Lohnarbeit kritisierte und auch in Hinblick auf die Wahlerfolge der Piraten zum Ausbau der Partizipationsmöglichkeiten in Partei und Gesellschaft aufrief, eine Debatte zum traditionellem Arbeitsbegriff forderte und generell „Perspektiven der Geschlechtergerechtigkeit, Arbeitskritik, Radikaldemokratie und Ökologie“ aufzeigen wollte. Des weiteren wurde an einer Veranstaltung zum Thema „Anarchismus“ gearbeitet, mit dem Ziel, auch das libertärsozialistische und radikaldemokratische historische Erbe der Linkspartei stärker zu beleuchten.

Grundsätzlich lässt sich sagen, dass in der Ema.Li, um die es lange Zeit sehr ruhig geworden war, alle Zeichen auf Aufbruch stehen. So war das Treffen mit ca. 20 Leuten im Gegensatz zum vorherigen, auf welchem mehr oder minder allein der Ko-Kreis anwesend war, wieder einigermaßen gut besucht. Und für diejenigen, die nicht nach Berlin kommen konnten, lief die ganze Sitzung per Internet-Livestream mit. Dies könne aber erst, so die einhellige Meinung, der Anfang sein. Angedacht wurde der Ausbau der digitalen Partizipation durch weitere Konzepte, etwa der verstärkten Nutzung von Pads oder Online-Massen-Telefonkonferenzen.

Damit reagiert die Ema.Li auch ein wenig auf einen gewissen Druck von außen: Nicht nur, dass das Interesse der linken Online-Community an dem Livestream sehr groß war – bereits im Vorfeld der Konferenz gründeten sich neue LAGs der Ema.Li, zuletzt etwa in Sachsen-Anhalt, welche seit Samstag auch im Ko-Kreis vertreten ist. Weitere Gründungen, etwa in Niedersachsen, Bayern und Baden-Württemberg – letztere wurde während der Konferenz über Facebook angekündigt – werden dieses Jahr wohl noch folgen. Das Bedürfnis nach mehr Demokratie in der Partei, nach offenen Debatten über neue und innovative Ideen, ist in der Linken also durchaus vorhanden.

Allein wurde in Berlin auch deutlich sichtbar, dass dieses gesteigerte Interesse die kleine Strömung vor einige Herausforderungen stellt. Bisher ist es ja eher ruhig um den überschaubaren sympathischen Haufen geworden, der kaum Prominenz aufweisen kann und dessen Änderungsanträge für das Parteiprogramm etwa letztes Jahr durchgehend abgelehnt wurden. Und auch wenn jetzt wieder ein wenig Bewegung in den emanzipatorischen Flügel gekommen ist – es hapert noch an allen Ecken und Enden. Mitgliedsanträge werden erst ein halbes Jahr später registriert oder gehen verloren, Strukturen sind kaum vorhanden, Kommentare zu den wichtigen Themen der Partei bleiben meist aus und über die auf der Bundesmitgliederversammlung besprochenen Themen wird zum Teil erst auf der selbigen informiert. Immerhin läuft seit Anfang des Jahres wieder eine ordentliche Website.

Die Mitgliederversammlung hat aber deutlich die Möglichkeit aufgezeigt, dass der Ema.Li der Sprung in ein professionelleres Arbeiten und – auch wenn dieses Konzept intern aus guten Gründen abgelehnt wird – avantgardistischeres Auftreten, auch gelingen könnte. Denn die Ema.Li als Strömung, die eigentlich gar keine sein will, sondern eher eine Interessengruppe mit dem Ziel, emanzipatorische Inhalte in der Partei voran zu bringen, hat durchaus das Potential, gewissermaßen als erste „Post-Strömung“ eine Vorreiterrolle für den Wiederaufbau dieser Partei nach den sich weiterhin abzeichnenden Wahlniederlagen dieses, letzten und nächsten Jahres einzunehmen. Und eine zeitgemäße, pluralistische und demokratische linke Partei, die sich nicht permanent mit sich selbst beschäftigt und in Machtspielchen zerfleischt, in der Freiheit und Gleichheit keine hohlen Phrasen oder gegeneinander auszuspielende Gegensätze sind, sondern sich einander bedingen, hat eine organisierte emanzipatorische Perspektive bitter nötig – heute mehr denn je.
(mz)

6 Kommentare

  1. Nochmal Hallo,

    ich möchte Euch ja wirklich nicht diese positiven Ansätze ausreden. Ich finde vieles was hier geschildert wird sehr gut. Wird mich aber nicht mehr in die Partei bewegen. Denn es ist nicht das, was von dieser Partei ausstrahlt ganz im Gegenteil.

    @ jw: Ich sehe den Widerspruch nicht, enn nicht jede/r Ganztagspolitiker/in ist Prominent. ich meinte damit einfach, dass solche Töne wie von Euch angeschlagen einfach zu wenig Resonanz in der Linkspartei finden, auf allen ebenen. Ich habe das in Frankfurt auch erlebt. einige haben uns diffamiert und bekämpft, andere den Schwanz eingezogen oder einfach „wichtiges zu tun“ gehabt.

    In diesem Zusammenhang kritisiere ich auch, dass Leuten wie Lafontaine etc. jeglicher Respekt und Demut vor Mitgliedern und auch Wählern fehlt. Hätte Lafontaine ein Interesse an einer emanzipatorischen Partei, würde er nicht alles wegbeißen was nicht seiner Meinung ist. Oder er würde jetzt verkünden, dass er der Partei für Bundestagswahlen und/ oder Parteivorstand zur Verfügung steht und so noch einige Prozentchen zusammenkratzen. Tut er aber nicht.

    Was geschieht statt dessen: Abwarten und dann nächste Woche die „Lösung“ für die Personalfragen durch „gewisse Greise“. Das macht leider diese Linkspartei aus. da ist Euer bemühen genauso richtig wie rührend und hoffnungslos wie das von z.B. den Restlionken in der SPD oder den Grünen.

    Ich drücke Euch trotzdem aus vollem Herzen beide Daumen.

  2. @Mario, nein eine Abnickveranstaltung war es nicht, das hat wenigstens die durchaus anstrengende Änderungsdebatte zur Stellungnahme bez. des Parteitages gezeigt. Dann hast du dich aber in einen Widerspruch verhaspelt. Wenn einerseits die Ema.Li keine prominenten UnterstützerInnen habe, dann kann doch auch die Versammlung nicht von Hauptamtlichen und MandatsträgerInnen dominiert gewesen sein. (?) Die Wahrheit liegt wohl irgendwo dazwischen und das macht es wohl auch spannender als die öden Klatschveranstaltungen der selbsternannten Parteilinken oder die Funktionärstreffen ostdeutscher Verwaltungsbeamter mit Parteibuch. Es gibt kein Podium, auf dem ein sehnsüchtig erwarteter Heiland der Gemeinde das vorbetet, was sie schon immer wusste und sie in ihrer Gewissheit, auf der richtigen Seite zu stehen, bestätigt. Und es gibt auch keinen hermetisch abgeriegelten Kreis, in dem man nur eintreten darf, wenn man sich mindestens zehn Jahre in der Kommunalpolitik eines entvölkerten ostdeutschen Landkreises bewährt hat und am besten noch eine FDJ-Gruppe geleitet hat. Hier liegt sicher ein Potential der Ema.Li, nämlich offene Räume zu erhalten, in denen man verschiedener Meinung sein darf, ohne sich bis aufs Messer zu bekriegen, wie es derzeit leider in guter alter sozialdemokratischer Tradition Usus geworden ist.
    Die immer noch, mittlerweile auch gemessen an der Größe der gesamten Ema.Li, geringe TeilnehmerInnenzahl erklärt sich wohl auch daraus, dass es derzeit nicht möglich ist, Fahrtkosten zu erstatten. Das ist durchaus ein Problem, da dadurch soziale Kriterien über Mitbestimmungsmöglichkeiten entscheiden. Der Livestream war ein Versuch, dieses Dilemma zumindest ein wenig abzumildern und den Zugriffszahlen zufolge war durchaus reges Interesse vorhanden.
    Dein Vorschlag, mehr Angebote vor Ort zu schaffen, ist mehr als berechtigt. Sehr viele wünschen sich diese und einige hat es durchaus überrascht, dass die vorhandenen und sich im Aufbau befindlichen Landesverbände für die kurzwegige Kommunikation und Arbeit vor Ort eine so große Rolle spielen. Auch in Hessen ist ein solcher Landesverband übrigens in Arbeit. Wie ich finde, eine gute Möglichkeit, die Heterogenität und verschiedene Schwerpunktsetzungen in der Ema.Li produktiv unter einen Hut zu bringen.

  3. moin mario,
    Die Ema.Li versteht sich als Struktur in und BEI der Partei die Linke. Uns ist also jede gerne willkommen der/die lust auf emanzipatorische Politik hat. Wir aus niedersachsen/ hannover treffen uns zum Beispiel jeden letzten Dienstag im Monat

  4. Hallo Mario,
    ich glaube auch, die Partei ist nicht reformierbar und die „paar Schwalben von ema.li machen noch keinen Frühling“.
    Die Mitglieder bekommen noch nicht einmal die auf dem Papier (Satzung etc.) verbrieften Rechte zugestanden. Es ist m.E. nur eine Frage der Zeit, wann „das Totenschiff LINKE“ ganz untergeht. Seit Anfang des Jahres haben bereits mehr als 20 Mandatsträger_innen den Wahlverein verlassen, davon 6 in NRW.
    Das Top-Down-Projekt ist gescheitert.

  5. Ein schöner Bericht. Wäre ich noch Mitglied, die Ema-Li hätte meine Unterstützung.

    Aber genau da ist das Problem: Ich bin u.a. auch deshalb nicht mehr Mitglied, weil es eben so ist, dass solches emanzipatorische Denken in der Linkspartei nur auf eine kleine Gruppe beschränkt und weitgehend ohne prominente Unterstützung bleibt. Das Recht z.B. an der Meinungs- und Willensbildung mit zu arbeiten, verlange ich von dieser Gesellschaft. Und ist im Übrigen Verfassungsauftrag für deutsche Parteien, wenn ich recht erinnere. Warum brauche ich dann eine Partei (in meinen Augen nur noch ein Wahlverein), in dem ich das erst durchsetzen und erkämpfen muss bevor ich damit auf die gesellschaftliche Bühne gehe?

    Mit viel ehrlicher Sympathie lese ich, dass dies keine Abnick- und Mauschelveranstaltung war. Doch wer war dort im fernen Berlin versammelt? Ich wette einmal, auch hier waren es Mandatsträger und hauptamtliche Parteiarbeiter/innen. Das mag schön sein, ist aber zu wenig.
    Merkt ihr worauf ich hinaus will? Es fehlt das Angebot vor Ort um Gleichgesinnte zu aktivieren. 30 Hanzels in Berlin sind keine Kraft.

    Entschuldigt diese kritischen Zwischenbemerkungen. Ich wünsche Euch von Herzen viel Erfolg bei der weiteren Arbeit. Vielleicht bekommen wir irgendwann doch noch mal eine linke Alternative in diesem Land die die von Euch gesetzten Maßstäbe halbwegs erfüllt. Das Land hätte sie bitter nötig.

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