Am Donnerstag dieser Woche trafen sich in Berlin Katja Kipping, Berufspolitikerin seit ihrem 21. Lebensjahr und im Juni frischgewählte Bundesvorsitzende der Linken, und Bernd Schlömer, Regierungsdirektor im Verteidigungsminsterium und seit April Bundesvorsitzender der Piraten, zu einem von Jakob Augstein moderierten Gespräch unter dem Titel „Update oder neues Betriebssystem?“, um vordergründig über Gemeinsamkeiten und Unterschiede in der Politik beider Parteien und ihre Ansätze zur Lösung der drängenden Fragen der Zukunft zu sprechen. Schnell wurde aber klar, dass es Augstein, Kipping und auch einem Grossteil der 200 Zuhörer und der Presse eher darum ging, das politische Erfolgsmodell der Piraten einer handhabbaren Verortung im klassische Links-Rechts-Mitte Schema des bundesdeutschen Politalltags zuzuführen.
Seit ihrer Gründung im Jahr 2006 erleben die Piraten einen Höhenflug, der in der bundesdeutschen Politik ohne Beispiel ist und schafften bei den letzten Wahlen immer mit beachtlichen Ergebnissen den Einzug in die Länderparlamente. Den aktuellen Umfragen nach dürften sie auch bei der Bundestagswahl 2013 mit einem Ergebnis rechnen, das sie noch vor der Linken und der FDP positioniert. Damit beerben sie, zumindest auf elektoraler Ebene, die Linke und laufen Gefahr von Politik und Medien ausschliesslich als neue Form der Protestpartei wahrgenommen zu werden. Wie falsch diese verkürzte Wahrnehmung ist, konnte man als aufmerksamer Beobachter der Veranstaltung zumindest erahnen.
Der von Kipping mit der Emanzipation des Bürgers erklärte Niedergang der klassischen Volksparteien, die so Augstein ein Garant dafür seien, politische Debatten parteiintern im vorpolitischen Raum zu vollziehen und nur die Ergebnisse der Öffentlichkeit mitzuteilen, lässt den Freiraum entstehen, den die Piraten nun, mit einer nicht von Ideologie belasteten vollkommen neuen Herangehensweise an Partizipation, politische Willensbildung und kollektive Suche nach der bestmöglichen Lösung, erfolgreich besetzen. Gerade bei der Linken als Partei und den Linken als gesellschaftliche und mediale Kraft sorgen Form und Darstellung eines solchen, durchaus revolutionären, Politikstils der Piraten für langanhaltende Kopfschmerzen.
Geradezu rührend waren daher auch die Versuche von Kipping, gut geleitet von Augstein, die Piraten entweder als „links“ zu verorten, was unweigerlich zu der Frage führen muss, was die Existenzberechtigung einer weiteren linken Partei neben der Linken begründet, oder aber durch blosses Aufzählen der programmatischen Standpunkte der Linken, die wohl schon aufgrund des Parteinamens die einzig anerkannten linken Positionen sein können, und das Gegenüberstellen nicht deckungsgleicher oder noch gar nicht absschliessend erarbeiteter Positionen der Piraten diese als „nicht links“ und damit, zumindest in linker Logik, als nicht zukunftstauglich und nicht wählbar zu enttarnen.
Schlömer mag, mit seinen Repliken darauf und seinen politischen Ausführungen, bei Teilen des Publikums durch seine Art und die, für den klassisch politisierten Bürger schwer verdaulichen neuen Methoden und Inhalte, durchaus angeeckt sein. Wer es aber vermochte sich auf eine völlig andere Art des politischen Wirkens, auch wenn die Piraten natürlich im organisatorischen Rahmen der Parteiengesetze und Wahlen agieren müssen, wenigstens mental einzulassen, dürfte durchaus verstanden haben, dass der Erfolg der Piraten auch gerade damit zu begründen ist, dass sie sich nicht in das vermeintlich bewährte, aber zumindest bequeme, Schema der Parteienlandschaft und ihres orchestrierten Politbetriebes pressen lassen.
Wo Kipping und Augstein, stellvertretend für links, nach konkreten kleinteiligen Konzepten für die, jedenfalls aus ihrer Sicht notwendige, Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums von Oben nach Unten anfragten, konnte Schlömer auf die von vielen Piraten und Menschen ausserhalb der Partei getragene Debatte und Erarbeitung eines „Universaltransfersystems“ verweisen, das eben nicht nur die Forderung und Ausgestaltung eines Grundeinkommens beinhalten wird, sondern das gesamte gesellschaftliche System an Geldflüssen, Steuern, Abgaben, Versicherungen und Transferleistungen umfasst. Für „Linke“, die bei Umverteilung an die Forderung nach einer an bis auf die zweite Stelle nach dem Komma definierten Erhöhung der Einkommenssteuer für Millionäre denken, wirft solch eine Antwort naturgemäss noch mehr Fragen auf , statt für Klarheit zu sorgen.
Geschuldet sein mag dieses Nichtverstehen zwischen Piraten und Linken auch der Tatsache, dass die Piraten sich parteiintern komplett gegensätzlich zu den üblichen Herrschaftmethoden anderer Parteien verhalten. Während Kipping als Beispiel der Partizipation des gewöhnlichen Linke-Mitglieds bei einer möglichen Koalitionsentscheidung und den dabei notwendigen Kompromissen ausführte, dass selbstverständlich erst die Vorsitzenden verhandeln und dann lediglich das Ergebnis dieser Verhandlung der Mitgliedschaft zur Abstimmung vorgelegt werde, verwies Schlömer darauf, dass für die Piraten schon der Weg, also die Verhandlung, für alle Interessierten offen ist und Vorsitzende dann lediglich das erarbeitete Ergebnis auszuführen haben.
Konsequent setzen die Piraten hier um, dass der mündige politische Bürger in der heutigen Zeit aktiv mitbestimmen und mitregieren will und eben gerade nicht mehr sein Schicksal delegiert, um gut regiert zu werden. Für eine etatistische Linke, die gerade auf Stellvertretung des Bürgers setzt, um über den Umweg des Staatsapparates und dessen Herrschaftsmittel Gutes zu bewirken, ein zumindest schwer verdaulicher Ansatz, der die mögliche politische Zusammenarbeit und gemeinsame Erarbeitung gesellschaftlich relevanter Themen nicht befördert. Zumal die Linke sich momentan durch die in den Medien dargestellte öffentliche Meinung und die Bestätigung ihrer staatsaffinen Lösungsansätze im Bezug auf die fortdauernde Krise auf der Seite der „Sieger“ der politischen Entwicklung sieht.
Wie schnell dies ein Trugschluss sein kann, wird sich zeigen, wenn in der nächsten Zeit diese „linken“ Lösungen von „rechten“ Akteuren umgesetzt werden, um eine Phase des Etatismus im ansonsten unveränderten Kapitalismus einzuläuten und eine Linke zurückbleibt, die zwar richtige Lösungen präsentieren, diese aber nicht in politischen Erfolg umwandeln konnte. Die Erkenntnis, dass Staatssozialismus und Kapitalismus nur die zwei Seiten der einen Medaille sind, hat sich in der organisierten Linken noch immer nicht durchsetzen können. Klassische linke Politik kann so lediglich immer nur als „Update“ angesehen werden, auch wenn linke Parteien diese Tatsache wortreich verschleiern. Die von Schlömer formulierte Vision einer liberalen Gesellschaft von Individuen, die sich frei entwickeln und selbstbestimmt entscheiden, ist hier der durchaus radikalere Ansatz eines wirklich „neuen Betriebssystems“ und kann – wenn es denn ein Etikett braucht und man „links“ als Synonym für zukunftsweisende, radikale und revolutionäre Umgestaltung nutzt – durchaus als der endlich notwendige Neustart linker Politik verstanden werden. Auch wenn die Piraten diese Einordnung vermeiden und sie in ihrer politischen Praxis keinen Sinn mehr ergibt. Ob es beiden Parteien gelingen wird, in einen fruchtbaren Dialog zu treten und Impulse für die zukünftige Entwicklung daraus zu generieren, wird sich zeigen müssen. Das Gespräch zwischen Kipping und Schlömer lässt vermuten, dass dafür erst eine gemeinsame Sprache erarbeitet werden muss.
Update:
Eine umfangreiche Übersicht der Berichterstattung zu der Veranstaltung findet sich auf dem Blog von Mathis Oberhof. Die Zeit liefert einen Text von Christopher Lauer, dem Fraktionsvorsitzenden der Piraten im Berliner Abgeordnetenhaus, der zum Thema des Abends und vor allem der durchaus unterschiedlichen Rezeption des Gesagten interessante Anstösse liefert.
(mb)
http://www.zeit.de/politik/deutschland/2012-08/linke-piraten-kipping-schloemer
Dazu auch Piraten küsst man nicht aus der Frankfurter Rundschau vom 4.8.12.
linda, du hast ganz offenbar einer anderen veranstaltung beigewohnt als ich.
schlömer kann ja gerne sympathisch und „redegewandt“ sein. wenn ich auf einer politischen dikussionsveranstaltung nicht bereit bin, über politische inhalte zu sprechen, dann sollte ich da nicht hingehen. ich kann dieses dauernde „da werde ich jetzt hier nicht der basis vorgreifen“, „das wird sicher nicht bei einer podiumsdiskussion beschlossen“, „dazu äußere ich mich nicht“ schwer auf die nerven. das ist nicht innovativ, sondern diskursverweigerung. und wenn die piraten es in dieser zeit nicht schaffen, sich eine meinung zur (um)verteilung gesellschaftlichen reichtums zu bilden, bzw. zur sozialen frage überhaupt, dann sind sie entbehrlich.
ich fand es bezeichnend, dass am ende die anwesenden piraten im publikum ihren bundesvorsitzenden und dessen unerträglich inhaltsloses lavieren dadurch konterkariert haben, dass sie mal eben per handzeichen („auch ne art liquid democracy“) gezeigt haben, dass sie im gegensatz zu ihm keine probleme damit haben, zu sagen, dass sie links sind. im übrigen hat schlömer sehr deutlich gemacht, dass er gerade nicht die selben positionen vertritt wie kipping. der scheut alles was ausgwiesen links ist, wie der teufel das weihwasser.
und ich gebe zu, dass es mich total frustriert, wenn selbst so eine schwache vorstellung noch als irgendwie „neue politik“ zu angepriesen wird. was ist denn neu daran, zu nichts etwas inhaltliches zu sagen? und vor allem, was ist beklatschenswert daran, mit einer solchen haltung zu einer diskussion zu gehen?
letztlich bin ich wahrscheinlich einfach falsch auf dieser seite hier …
Nicht Potemkin versucht hier die Piraten besser dastehen zu lassen, als sie sind, es wird vielmehr andersrum ein Schuh draus, meiner Meinung.
Katja Kipping hat das übliche Linkenblabla runtergeseiert und dann auch noch so getan, als wäre ihre Partei vill und ganz auf ihrer Seite, was ja so nun überhaupt nicht der Fall ist, auch war sie nichtmal ansatzweise in der Lage das zu verstehen, was Bernd Schlömer versucht hat zu vermitteln: Nämlich, dass es was NEUES ist und das er eben nicht, trotzdessen ,dass er die selbe Position inne hat wie K.K., der Mensch ist, der nicht Meinungen vorgibt, die seine Partei vertritt. Auch das er nicht ständig seine eigene preisgegeben hat ist eher positiv zu werten, denn sowas wird dann doch schnell der ganzen Partei zugeordnet.
Die Piraten sind, im Gegensatz zu den Linken etwas wirklich ganz neues (was ich eigentlich sehr schade finde, denn diese Rolle hätte die Linke auch übernehmen können, hat diese Chance aber vertan) und das zu verstehen erfordert mehr Geist, Wissen und Offenheit als vielen Menschen bisher innewohnt.
Ich fand Bernd Schlömer locker, großartig, redegewand und offen. Genau das, was Deutschland gerade braucht – in Kombination mit den Menschen (der Partei) die da hinter ihm stehen.
ich bin halt, aus dem im text genannten gründen, nicht der ansicht, dass genossin kipping einen besseren auftritt geliefert hat. wenn ich mir dazu ansehe, dass sie aktuell zur ankurbelung und unterstützung des heimischen kapitals die wiedereinführung der unternehmerfreundlichen erweiterten kurzarbeiterregelung fordert, für die indirekte subventionierung der deutschen solarindustrie plädiert und eine abwrackprämie für elektrogeräte eingeführt wissen will, kann man eine solch altertümliche und rückwärtsgewandte (linke?) politik gar nicht heftig genug von links kritisieren.
sorry für all die vertipper. war in rage.
was für ein quatsch. schlömet hatte zu nichts ne meinung. wenn das die große neue politik ist, dann vielen dank. warum sich potemkin auch noch daran versucht einen wirklich epinlichen auftritt des praten-chefs schönzureden ist mir unerklärllich. der mann behauptete von sich selbst liberal zu sein, war aber auf nachfrage aus dem publikum nicht mal bereit zu erklären, was er unter liberal versteht.
wieso potemkin selbst im falle eines deutlich besseren auftritts von kipping gegenüber schlömer versucht, den piraten zu hypen, bleibt wohl euer geheimnis. ich finds einfach saudämlich und irgendwie pathologisch.
„Das Gespräch zwischen Kipping und Schlömer lässt vermuten, dass dafür erst eine gemeinsame Sprache erarbeitet werden muss.“
Dösglaabia!