Niedersachsen hat gewählt

Am Sonntag waren in Niedersachsen 6,1 Millionen Wahlberechtigte dazu aufgerufen, den Landtag im Leineschloss für die nächsten fünf Jahre zu wählen. Noch in den letzten Umfragen zeichnete sich ein Patt zwischen der Regierungskoalition aus CDU und FDP und Rot-Grün ab. Auch schien fraglich, ob es der FDP überhaupt gelingen könnte, wieder in den Landtag einzuziehen. Nach dem vorläufigen amtlichen Endergebnis steht nun aber fest, dass es der SPD unter Stephan Weil und den Grünen gelungen ist, eine knappe Mehrheit für einen Regierungswechsel zu erreichen.

Die CDU unter Ministerpräsident McAllister konnte, trotz deutlicher Verluste von über 6 Prozentpunkten, ihren Status als stärkste Partei verteidigen. Zusammen mit der FDP, die überraschend 9,9% erreichte und damit ihr Ergebnis von 2008 deutlich steigern konnte, fehlt Schwarz-Gelb trotzdem genau 1 Mandat gegenüber SPD und Grünen. Mit zusammen 69 Abgeordneten dürfte mit Stephan Weil erstmals seit 2003 wieder ein SPD-Ministerpräsident in Hannover amtieren. Beide Parteien konnten ihr Ergebnis gegenüber 2008 steigern. Die SPD hat über 2 Prozentpunkte gewinnen können, die Grünen sogar knapp 6 Prozentpunkte. Die Wahlbeteiligung ist erfreulicherweise leicht auf 59,4% gestiegen. Sie bleibt damit aber immer noch auf einem bedauerlich niedrigen Niveau.

Für die CDU bedeutet der Verlust der Regierungsverantwortung in Niedersachsen auch, dass sich Kanzlerin Merkel, trotz historisch hoher Werte für die CDU auf Bundesebene, jetzt mit einer Rot-Grünen Mehrheit im Bundesrat auseinander setzen muss. Bis zur Bundestagswahl im Herbst dürfte damit der Vermittlungsausschuss zum wichtigsten Instrument der Bundespolitik aufsteigen. In der SPD dürfte mit dem Wahlsieg die Debatte über die Zukunft von Peer Steinbrück als Kanzlerkandidaten vorerst beendet sein. Ob der Regierungswechsel in Hannover die bundesweiten Umfragewerte der Sozialdemokraten nachhaltig verbessern kann, wird sich in den nächsten Wochen und Monaten aber erst zeigen müssen. In der FDP wurde die Wahl in Niedersachsen vor allem auch als Abstimmung über ihren Parteichef Rösler gehandelt. Das selbst für die Liberalen überraschend gute Abschneiden konnte es ihm trotzdem nicht ermöglichen, seine innerparteilichen Gegner zumindest noch für eine Weile davon abzuhalten, ihn als Parteivorsitzenden abzulösen. Bereits am heutigen Montag hat Rösler erklärt, dass er seinen Posten für Rainer Brüderle zur Verfügung stellt, wenn dieser nicht nur Parteichef sondern auch Spitzenkandidat zur Bundestagswahl werde. Die Grünen haben sich auch in Niedersachsen als drittstärkste politische Kraft dauerhaft etabliert und können mit Blick auf die kommende Bundestagswahl im Herbst nur darauf setzen, das es der SPD gelingt sich aus ihrem bundesweiten Umfragetief zu befreien. Für die Piraten hat, wie es schon an den abstürzenden Umfragewerten absehbar war, in Niedersachsen ihr Höhenflug sein vorläufiges Ende gefunden. Mit nur knapp über 2% starten die Freibeuter denkbar schlecht in das Wahljahr 2013. Auf Bundesebene werden sie damit, aller Voraussicht nach, keine Rolle mehr spielen.

Für die Partei Die Linke bedeutet das Ergebnis des Wahlsonntags die dritte grosse Niederlage in Westdeutschland in Folge. Nachdem sie bereits in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen aus den Landesparlamenten abgewählt worden ist, verliert sie jetzt nach nur einer Legislatur auch ihre Fraktion im zweitgrössten Flächenland. Die Niederlage in Niedersachsen dürfte nicht nur Auswirkungen auf den Landesverband haben, der im Februar seinen Landesvorstand wählt und kurz danach die Landesliste für den Bundestag aufstellen will, sondern auch auf die Bundesebene der Partei. Schon am heutigen Montag will der Parteivorstand öffentlich darüber informieren, wer die Sozialisten als Spitzenkandidat in die Bundestagswahl führen wird. Nach ihrem kurzfristigen, aber erfolglosen, Einsatz als Zugpferd im niedersächsischen Wahlkampf wird es Sahra Wagenknecht als Vertreterin der westdeutschen Linken wohl unmöglich werden, einen alleinigen Spitzenkandidaten Gysi noch zu verhindern. Sie könnte wohl höchstens noch als Teil eines vielköpfigen Wahlkampfteams zur Unterstützung Gysis in den Wahlkampf eingreifen.

In der Partei selber muss nun analysiert werden, welche Gründe für die dauerhaften Wahlniederlagen in Westdeutschland ausschlaggebend sind. Scheinbar ist es für den Niedergang der Westlinken unerheblich, ob auf Fundamentalopposition, Tolerierung oder, wie in den letzten Wochen in Niedersachsen unter der Führung von Wagenknecht, auf Mitregierung orientiert wird. Zumindest in den westdeutschen Verbänden scheinen für die Sozialisten alle diese Wege aus den Parlamenten zu führen. Dass auf längere Sicht vermutlich nur die Option der politischen Mitgestaltung zusammen mit SPD und Grünen für Die Linke eine tragfähige Zukunft wird bieten können, muss sich innerhalb der Partei erst noch als Konsens entwickeln. Das gegen diese Ausrichtung der Partei von den westdeutschen Spitzen, vor allem auch von Wagenknecht, Sohn, Dehm und Lafontaine, vorgebrachte Argument, dass auch die Mitregierung zu massiven Verlusten der Linken führt, hält einem ersten Blick auf die Zahlen zumindest nicht stand. So verlor Die Linke bei den letzten Landtagswahlen in Schleswig-Holstein über 55% ihrer Wähler, in Nordrhein-Westfalen über 68% und nun in Niedersachsen knapp 54%. Dem gegenüber steht der auf Mitgestaltung orientierte Berliner Landesverband, der gerade auch aus Niedersachsen immer wieder scharf kritisiert wurde, mit einem Verlust von nur knapp 8% der Wähler in einer Regierung. In Berlin konnte Die Linke damit trotz Verlusten weiterhin als starke Opposition im Abgeordnetenhaus verbleiben und, als Regierungspartei im Wartestand, seit der Wahl 2011 wieder an Zustimmung gewinnen. Welchen Weg die Sozialisten mit Blick auf die Bundestagswahl im Herbst, aber auch die Landtagswahl in Hessen, bei der der nächste Verlust der parlamentarischen Vertretung drohen könnte, nun einschlagen werden, müssen sie in den nächsten Wochen entscheiden. Die realpolitisch orientierten Ostverbände dürften hier ein gewichtiges Wort mitzureden haben.

 2013
Wahlbeteiligung: 59,4%
2008
Wahlbeteiligung: 57,1%
Partei%-StimmenAbsolut-StimmenSitze%-StimmenAbsolut-StimmenSitze
CDU36,0%1.287.7305442,5%1.456.74268
SPD32,6%1.165.5384930,3%1.036.72748
Grüne13,7%489.572208,0%274.22112
FDP9,9%354.971148,2%279.82613
Linke3,1%112.21507,1%243.36111
Piraten2,1%75.53900%00