Anmerkung des Autors: Dieser Text entstand angesichts der desaströsen Lage der Linken in 2013 und wurde zunächst auf „Eis“ gelegt. Jetzt nach über zehn Jahren konnte er ohne Veränderungen aus dem Gefrierschrank geholt werden. Die Linke in der Bundesrepublik siecht augenscheinlich schon eine sehr lange Zeit.
Nun hat er also wieder hingeschmissen und geht. Nicht zum ersten, aber vermutlich zum letzten Mal. War es 1999 noch der SPD-Vorsitz und das Finanzministerium, die er aufgeben konnte, ist es diesmal nur noch der Fraktionsvorsitz und sein Mandat im Landtag des Saarlandes. Lafontaine beendet sein politisches Leben also dort, wo er es vor fast einem halben Jahrhundert begonnen hat.
Lafontaines Rückzüge werden in Erinnerung bleiben. Immer wenn er bei der Durchsetzung seiner Ziele auf Widerstand gestossen ist, zog er es vor nicht über Gebühr zu kämpfen, sondern das Feld lieber den Anderen zu überlassen. Nicht ohne ihre Entscheidungen dann von Aussen zu kritisieren. Sein Wort wurde immer gehört, auch ohne politische Funktion oder Mandat.
Das demokratische Ringen, der Kompromiss und die Mühen der politischen Ebene waren nie sein Ding. Lafontaine betrieb Politik aus der Position des Stärkeren. Er musste – und konnte nur – derjenige sein, dessen Wort man folgt. Und der sich die demokratische Bestätigung nur noch nachfolgend einholen muss. Demokratische Spielregeln dienen in seiner Welt nur dem Schutz des Schwachen. Und schwach wollte er nie sein.
So hatte er immer nur die Wahl zwischen zwei Extremen. Entweder setzte er sich durch und dominierte. Oder er entschied sich zu gehen. Denn der möglicherweise verlustreiche Kampf um fragile und scheue Mehrheiten hätte Kompromisse verlangt. Oder noch fataler: Er hätte gezeigt, dass ein Lafontaine eben nicht nur stark, sondern auch schwach ist. Und diese menschliche Seite des politischen Alphatieres Lafontaine konnte und wollte er nicht zeigen. Nicht vor den Anderen. Und schon gar nicht vor sich selbst.
So fehlten für ihn nur noch wenige Tropfen, um das Fass der – gefühlten oder tatsächlichen – Niederlagen zum Überlaufen zu bringen: Die Kritik, auch von den eigenen politischen Weggefährten, an der von ihm losgetretenen Euro-Debatte, die Niederlage seiner Favoritin für die Bundestagswahl und nun auch noch massive Verluste in der Wählergunst im eigenen Land. Ein anderer als Lafontaine wäre vielleicht zur Tagesordnung übergegangen. Er kann und konnte dies nie. Er hat aber auch nie wahrhaben wollen, dass seine Zeit tatsächlich einmal gekommen sein könnte.
Schon seine Kandidatur für den Parteivorsitz und sein Rückzug, um nicht gegen Bartsch kämpfen zu müssen, waren deutliche Zeichen dafür, dass auch ein Lafontaine sich zumindest als Politiker überlebt haben kann. Möglicherweise konnte er aber auch nicht verstehen, warum die Genossen, denen er 2007 Die Linke geschmiedet hatte, sich nun darauf besinnen, dass es eben auch eine Linke vor Lafontaine gegeben hat. Und es auch eine Linke nach ihm geben muss.
Dass es Lafontaine war, der nach 2005 mit allen Mitteln dafür gekämpft hat, dass es Die Linke als etablierte Kraft links der SPD gibt, wird untrennbar mit seinem Namen verbunden bleiben. Dies wird innerhalb und ausserhalb der Linken aber auch nicht ernsthaft in Frage gestellt. Im Gegenteil, selbst seine innerparteilichen Gegenspieler waren ihm vermutlich gar zu lange zu dankbar, dass er es war, der die PDS aus ihrem jahrelangen Dornröschenschlaf erweckt hat.
Lafontaine wird in der politischen Geschichte dieses Landes seinen Platz haben. Nicht wegen seiner Rücktritte, sondern wegen seiner oft klugen Machtpolitik. Die Linke als gesamtdeutsche Partei wird in ihrer Existenz beständig auch an ihn erinnern. Sie wird sich aber auch von ihrem Gründungsvater emanzipieren. Und die noch frischen Wunden auf allen Seiten werden verheilen.
Ob Lafontaine noch weiter Impulse in die linke politische Debatte wird geben können, bleibt fraglich. Die Linke selber hat mit Modrow, Bisky und bald auch Gysi ausreichend altgediente Genossen, die als Stichwortgeber und wenn nötig Tabubrecher fungieren. Ein überparteiliches Format im Sinne eines „Elder Statesman“ besitzt Lafontaine ohnehin nicht.
Was hätte sein können, wenn Lafontaine schon früher den Weg frei gemacht hätte, bleibt Spekulation. Der Zeitpunkt Platz zu machen war, für ihn selbst zumindest, noch nicht gekommen. Nun hat er sich entschieden und so reagiert, wie nur ein Lafontaine es kann. Er geht und lässt Freund, Feind, Partei und Politik zurück. Ein halbes Jahrhundert des politischen Lebens ist damit abgeschlossen. Und diesmal wird es kein Comeback geben.
Verfasst am 8. Juli 2013
(mb)