Die Auflösungserscheinungen bei den Piraten setzen sich, nur wenige Monate vor der Europawahl, ungehindert fort. Am Sonntagabend erklärten drei der sieben Mitglieder des Bundesvorstandes ihren Rücktritt vom Amt. Damit ist der erst Ende November gewählte Vorstand schon wieder handlungsunfähig und muss auf einem Sonderparteitag, der Ende Juni stattfinden soll, neu gewählt werden. Bis dahin führen die vier verbliebenen Vorstandsmitglieder kommissarisch die Geschäfte der Partei weiter.
Hintergrund der Rücktritte dürfte der seit Wochen offen ausgetragene Richtungsstreit zwischen dem eher linken Flügel und dem liberalen Flügel der Freibeuter sein. Nach einer Aktion im Februar, bei der zwei Parteimitglieder den Alliierten für die Bombardierung Deutschlands im Zweiten Weltkrieg dankten, eskalierte dieser Konflikt. In der Folge traten nicht nur zahlreiche Mitglieder aus, auch die IT-Verantwortlichen der Partei streikten und legten für Tage die komplette technische Infrastruktur lahm.
Auch dem Sonderparteitag dürfte es nicht gelingen, den Streit zu befrieden oder wenigstens zwischen den verfeindeten Flügel zu vermitteln. Dazu fehlt es an einer klaren Mehrheit einer der Seiten und an prominenten Fürsprechern für die eine oder andere Position. Diese kehren der Partei lieber den Rücken, statt sich in einem vermutlich sinnlosen Kampf um die künftige Ausrichtung der sterbenden Partei aufzureiben.
So erklärte der bekannte Blogger und Anwalt Udo Vetter, der noch zur Bundestagswahl auf dem zweiten Platz der NRW-Landesliste kandidiert hat, zu seinem Austritt aus der Partei vor wenigen Tagen: „Ein lautstarker, der Antifa nahestehender Flügel versucht, die Partei zu okkupieren.“ Dabei werde mit „brutalem Mobbing“ und „einem stalinistischen Ansatz“ gearbeitet. Es sei, so Vetter, ein Fehler gewesen, dass die Piraten sich nicht auf ihre Kernthemen „Freiheit, Bürgerrechte und Netzpolitik“ beschränkt hätten.
Auch die Berliner Spitzenkandidatin zur Bundestagswahl, Cornelia Otto, erklärte zu ihrem Austritt, dass sie sich „mit der Art und Weise des Umgangs in der Partei nicht mehr identifizieren“ könne. „Bei den Piraten war es zuletzt so, dass sie vor allem durch Skandale aufgefallen sind.“ Mit konkreten Themen könne man nicht mehr durchdringen. Da ihr persönlich das Thema Arbeit und Soziales am Herzen liegt, arbeitet sie nun im Abgeordnetenbüro des Linken Klaus Ernst.
Bereits Ende Februar war der ehemalige Bundesvorsitzende der Piraten Sebastian Nerz aus der Partei ausgetreten. „Ich habe den Eindruck, dass wir in der politischen Entwicklung unterschiedliche Wege gegangen sind“, so Nerz in einem kurzen Kommentar zu diesem Schritt. In Folge des Linksrucks der Partei sieht Nerz eine „unkonstruktive Radikalisierung“, ein „starkes Dagegen“ und eine „Verteufelung von Personen“. Ihm selber gehe es aber „in der Politik um konstruktive Lösungen und Sachlichkeit“, die er jetzt ausserhalb der Partei suchen will.
Direkte Auswirkungen hat der monatelange Streit auch auf die Mitgliederentwicklung der Piraten. Konnte man im September 2012 noch knapp 35.000 Mitglieder zählen, ist diese Zahl mittlerweile auf nur noch etwas mehr als 28.000 gesunken. Allein im Dezember 2013 kehrten über 1000 Mitglieder der Partei den Rücken. Von den rund 28.000 Mitgliedern sind allerdings nur 7.441 auch tatsächlich stimmberechtigt und zahlen ihren Beitrag. Diese in einigen Bundesländern kaum noch vorhandene Basis, so sind im Saarland nur 25 von 447 Mitgliedern aktiv und stimmberechtigt, dürfte es angesichts der Zerstrittenheit der Partei grösstenteils unmöglich machen einen zumindest halbwegs erfolgreichen Europawahlkampf zu führen.
(mb)