Mit den gestrigen Wahlen in Thüringen und Brandenburg ist zumindest vorerst das Wahljahr 2014 beendet. Ging es in Brandenburg darum, ob die derzeit einzige Regierungsbeteiligung der Linken fortgesetzt werden kann, standen die Wähler in Thüringen vor einer geradezu historischen Entscheidung. Es galt darüber abzustimmen, ob erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik ein Politiker der Linken reelle Chancen hat das Ministerpräsidentenamt zu erringen.
So wurde aus dem seit Jahrzehnten eher beschaulichen Urnengang im Freistaat, der seit einem Vierteljahrhundert von der CDU regiert wird, ein Ereignis von vermeintlich bundespolitischer Bedeutung mit möglichen Folgen bis ins Jahr 2017. Erstmals gilt es hier zu erproben, ob die Formel R2G – sprich Rot-Rot-Grün – auch tatsächlich für die Übernahme von Regierungsverantwortung und einen fundamentalen Politikwechsel hin zu einer Mehrheit links der Mitte taugt. Angesichts der Stärke der Linken im Erfurter Parlament gar unter Führung der Sozialisten.
Noch 2009 scheiterte der aus dem Westen importierte Frontmann der Thüringer Linken, Bodo Ramelow, an der Furcht der im Lande marginalisierten SPD vor solch einem Schritt. Lieber flüchteten sich die Sozialdemokraten als Juniorpartner in eine Grosse Koalition mit den Christdemokraten. Die Quittung dafür haben sie am gestrigen Sonntag mit einem historisch schlechten Wahlergebnis von lediglich 12,4% erhalten.
Auch wenn die CDU mit ihrer Spitzenkandidatin und Ministerpräsidentin Lieberknecht im Gegensatz zur Wahl 2009 noch einmal zulegen konnte und nun mit über 33% deutlich stärkste Kraft im Lande ist, ist Bodo Ramelow und mit ihm Die Linke davon überzeugt, dass man vom Wähler (zumindest jenen 52,7%, die noch zur Wahl gingen) den klaren Auftrag zur Bildung einer Regierungskoalition mit SPD und Grünen erhalten habe. Noch in der Wahlnacht kündigte man Sondierungsgespräche mit diesen zwei Wunschpartnern an.
Bei aller Freude angesichts dieser fast schon zum Greifen nahe scheinenden Zielfahne auf dem Wege zu R2G sollte der Wunsch nicht die Sicht auf die politische Realität vernebeln. Könnte man sich in solchen Gesprächen, die dann in Koalitionsverhandlungen münden würden, wirklich auf die Absicht einen Koalitionsvertrag zu unterzeichnen einigen, liegen vor Ramelows Einzug in die Staatskanzlei noch schier unüberwindliche Hürden und Stolperfallen verborgen. Zunächst dürfte es nämlich überhaupt nicht sicher sein, dass die Basis der thüringischen SPD in ihrer dann geplanten Mitgliederbefragung einem solchen Koalitionsvertrag überhaupt zustimmt; Die Mitglieder der Linken werden hierzu übrigens gar nicht erst gefragt.
Die Hürde, an der dann aber ein Scheitern dieser Regierungspläne fast schon gewiss sein dürfte, ist die denkbar knappe Mehrheit, die R2G im Landtag aufbieten kann. Lediglich eine einzige Stimme Mehrheit (46 zu 45) muss nicht nur Ramelow auf den Posten des Ministerpräsidenten heben, sondern diese Regierung über eine Legislatur von fünf Jahren tragen. Dass es bei solch einer hauchdünnen Mehrheit noch nicht einmal für die Wahl zum Ministerpräsidenten reichen könnte, haben Heide Simonis 2005 und Andrea Ypsilanti 2008 schmerzhaft lernen müssen.
Die SPD selber ist zwar nun Zünglein an der Waage, taugt aber angesichts ihrer Schwäche überhaupt nicht zum Königsmacher. Versucht sie, entgegen der Wahlaussagen, nun doch die Fortsetzung der Grossen Koalition, steht die dann designierte Ministerpräsidentin Lieberknecht vor dem gleichen Problem wie ihr Kontrahent Ramelow. Auch CDU und SPD haben zusammen nur 46 Abgeordnete im neuen Landtag.
Mögliche Neuwahlen könnten dieses Patt auflösen. Ob R2G dann immer noch als Option wahrgenommen wird und Ramelow eine zumindest ausreichende Mehrheit auf sich wird vereinen können, ist fraglich. Das zweistellige Ergebnis der populistischen AfD könnte bei Neuwahlen eher dazu führen, dass CDU und SPD in einem neuerlichen Wahlkampf auf eine Grosse Koalition orientieren. Die gefühlte „Rettung der Demokratie“ taugte bislang noch immer, um den Wähler hinter diesen beiden Parteien der Mitte zu versammeln. Gerade die Sozialdemokraten könnten sich hier den dringend nötigen Aufschwung erhoffen.
Gänzlich anders – wenn auch nicht weniger ungemütlich für Die Linke – stellt sich die Situation in Brandenburg dar. Nach nur fünf Jahren Rot-Roter Koalition haben die Sozialisten dort weit über die Hälfte ihrer Wähler verloren und sind nur noch drittstärkste Kraft hinter der CDU. Trotzdem könnte die Fortsetzung der Rot-Roten-Regierung unter Ministerpräsident Woidke immer noch auf eine durchaus sichere Mehrheit im Postdamer Parlament bauen.
Entscheidend für Die Linke dürfte hier sein, ob der Verband sich tatsächlich noch weitere fünf Jahre als Juniorpartner mit all den als Regierungspartei notwendigen Kompromissen und Zumutungen an die eigene Wählerschaft zutraut. Und damit Gefahr läuft bei zukünftigen Wahlen in Brandenburg Ergebnisse deutlich unterhalb der gestrigen knapp 19% einzufahren. Oder ob Teile des ohnehin in sich nicht homogenen Verbandes darauf setzen, dass man sich zunächst in der Opposition erholen und profilieren müsse.
Der SPD dürfte das eine oder das andere Ergebnis recht sein. Regiert Die Linke weiter mit, ist abzusehen, dass sie spätestens bei der nächsten Wahl 2019 nicht mehr regierungsfähig – und damit für die märkische SPD potentiell gefährlich – sein wird. Schon der Beitrag der Brandenburger Linken zur nächsten Bundestagswahl 2017 wird aller Voraussicht nach weiter unter 20% liegen. Als mögliche Alternative kann sich die SPD in Brandenburg immer noch für die CDU, die nun zweitstärkste Kraft ist, entscheiden. Mit 51 Mandaten könnte diese Grosse Koalition problemlos durchregieren. Zudem hat man bereits von 1999 bis 2009 in zwei Legislaturperioen zusammen Regierungserfahrung sammeln können.
Den Parteistrategen in den Berliner Zentralen könnten Grosse Koalitionen in Thüringen und Brandenburg möglicherweise ohnehin besser ins Konzept passen. Zusammen mit der wahrscheinlichen Grossen Koalition in Sachsen hätte die Regierung Merkel damit eine deutliche Mehrheit im Bundesrat. Von einer solchen Gestaltungsmehrheit auf Bundesebene könnte sich auch die SPD einen Schub für ihre Wahlergebnisse erhoffen. Dass Die Linke dabei auf Landes- und Bundesebene hinten runterfällt, ist zumindest für einen Grossteil der Sozialdemokraten sicherlich ein nicht ganz unerwünschter Nebeneffekt.
(mb)