Schwarz-Brauner Durchbruch in der heißen Wahlkampfphase?

Bemerkungen zur Abwicklung spätkapitalistischer Demokratie im autoritär geprägten Deutschland.
Ein Kommentar / Von Tomasz Konicz / 28. Januar 2025

Es ist eine primitive, offensichtliche Masche, die jeder, der es will, auch umgehend durchschauen kann: Jedes Mal, wenn ein Mensch mit Migrationshintergrund, ein Flüchtling oder Ausländer ein Verbrechen begeht, setzt eine neue Runde der Faschisierung der Bundesrepublik sein – selbst wenn der geistig umnachtete Täter, wie etwa in Magdeburg, von Splittern rechter Ideologie angetrieben wurde. Auch wenn 2024 ein neuer Rekord bei rechtsmotivierten Straftaten registriert wurde. Die lange Opferreihe rechten Terrorn seit den 90ern, die Umtriebe des NSU, die rechten Putschvorbereitungen und Massenmordplanungen – alles wird genauso verdrängt, wie simple historische Tatsachen und Parallelen zum 20. Jahrhundert. Es ist egal, zur Not werden Fakten und Zusammenhänge umgelogen, bis sie passen. Nahezu alle wollen es glauben, dass die Krise von Außen kommt, dass der Flüchtling, dass der Ausländer „unser Unglück“ sei. Denn ansonsten müsste mensch die krisengeplagte Gesellschaft radikal infrage stellen, in deren bürgerlicher Mitte der Faschismus heranreift.

Hier taucht ein totalitäres Moment auf, wie es schon Hannah Arendt in Reflexion des Faschismus des 20. Jahrhunderts beschrieben hat: Die Unterscheidung zwischen Wahrheit und Lüge verliert jede Relevanz. Die gnadenlos verzerrte Realität fungiert nur noch als Steinbruch, um Ideologie und Wahn zu produzieren. Es ist eine regelrechte Hysterie, die sich in der heißen Wahlkampfphase in der deutschen Öffentlichkeit breitmacht – immer weiter angefacht von CDU, FDP und AfD (Da gibt es kaum noch Unterschiede). Und diese Masche kann theoretisch so lange wiederholt werden, bis der Faschismus an der Macht ist. Die Grenzen zwischen Amoklauf und Terrorakt verschwimmen in der manifesten Krise zunehmend. Von den Millionen Menschen mit Migrationserfahrung oder -Hintergrund, die in Deutschland leben, wird immer mal wieder irgendwer ausrasten, sich in mörderischer Krisenideologie (ob nun in nationalistischer oder islamistischer Ausformung) verlieren, an den sich zuspitzenden Widersprüchen psychisch zerbrechen. Genauso, wie es – öffentlich kaum beachtet – Menschen ohne Migrationshintergrund ergeht.

Es ist so einfach, alles fliegt dem Faschismus förmlich zu, nachdem die rechte Hegemonie vermittels der Personifizierung der Krisenursachen weitgehend etabliert wurde. Die Opfer der Weltkrise des Kapitals werden in Deutschland seit gut zwei Dekaden zu deren Verursachern gestempelt – nun, da die Krise auch das deutsche Zentrum trifft, sind es eingeübte autoritäre Reflexe, die nahezu automatisch abgerufen werden. Die CDU muss einfach nur weiter hetzen, den faschistischen Dreck der AfD nachplappern, um die nächste Regierung zu stellen. Doch das ist dem deutschen Mr. Burns, der dimitroffschen Realsatire eines faschismusfördernden Finanzkapitalisten, nicht genug. Friedrich Merz riskiert so richtig was in der heißen Wahlkampfphase, er setzt vieles auf eine Karte, um alles zu gewinnen. Und solch ein Vabanque ist charakteristisch für den deutschen Faschismus.

Die Messerattacke von Aschaffenburg instrumentalisierend,1 hat die CDU in der heißen Wahlkampfphase weitgehende „Gesetzesverschärfungen“ eingebracht, die auf weitere Grenzabschottung, Befugniserweiterungen der Bundespolizei und auf Masseninternierung von Flüchtlingen und „illegalen“ Nichtdeutschen abzielt. Merz kann dieses Gesetzespaket – das auf der legislativen Vorarbeit der Ampel-Koalition aufbaut – auch vor der Wahl durchbringen, selbst wenn SPD und Grüne dagegen stimmen sollten, da er sich der Stimmen der FDP und AfD sicher sein kann. Und der Kanzlerkandidat der CDU machte auch klar, dass ihn diese Konstellation, bei der die Konservativen zusammen mit einer weitgehend rechtsextremen Partei weitere „Verschärfungen“ durchbringen, nicht von seinem Tun abhalten wird.2

Der Weg ist hier das Ziel, Merz will nicht solange warten, bis die CDU an der Macht ist, weil dies schon so gut wie sicher ist, weil es ihm noch auf etwas anderes ankommt. Was der ehemalige Blackrock-Mann vor seiner Kanzlerschaft erreichen will, ist gerade eine gemeinsame Abstimmung aller Parteien für einen weiteren Schritt zur Faschisierung der BRD – gemeinsam mit der AfD, um hierdurch das bröcklige Tabu einer Zusammenarbeit mit der AfD auf Bundesebene schon vor der nächsten Legislaturperiode zu schleifen. Nicht nur die CDU, alle sollen gemeinsam mit der AfD für die Grenzabschottung und weitere Entrechtung Flüchtlingen stimmen, wie sie die AfD seit Jahren fordert. Dadurch würde der Tabubruch, mit Faschisten für eine faschistoide Politik zu stimmen, demokratisch auf alle Bundestagsparteien verteilt. Diese Abstimmung in der heißen Wahlkampfphase soll als Abrissbirne fungieren, um die Mauer nach Rechtsaußen einzureißen.

Merz will also den von einem psychisch kranken Flüchtling begangenen Doppelmord in Aschaffenburg nutzen, um die Kooperation mit der AfD – einer in weiten Teilen faschistischen Partei – zu normalisieren. Es ist eigentlich ein unnötiges Risiko, da der Wahlsieg der CDU sicher scheint. Doch Deutschlands millionenschwerer Kanzlerkandidat mit bestem Draht zum Finanzkapital, der gerne Wagenknecht nationalsoziale Rhetorik von der durch Migranten verursachen Wohnungs- und Gesundheitsmisere übernimmt, will noch mehr: Merz will die strategische Option einer Zusammenarbeit zwischen der CDU und AfD voranbringen, und die Abstimmung, die unbedingt vor der Wahl stattfinden soll, wäre der erste Schritt in diese Richtung. Riskant ist dieses Vorgehen, da es auch nach hinten losgehen könnte, da die in die enge getrieben SPD und die Grünen zu einem Lagerwahlkampf Zuflucht suchen könnten. Was, wenn SPD und Grüne nicht einknicken vor dieser Erpressungstaktik – dann stimmen CDU, FDP und AfD für ein neues „Ausländergesetz“. Die schwarz-braune Einheitsfront wäre dann mitten im Wahlkampf Realität.

Denn zugleich kann Merz bei seinem Vorstoß Richtung Faschismus auf der rechten Hegemonie aufbauen, die in den letzten Jahren insbesondere beim Thema Flucht und Vertreibung hergestellt wurde. Der öffentliche Diskurs ist dementsprechend geprägt, und es war nicht zuletzt der sozialdemokratische Bundespräsident Steinmeier, der anlässlich des islamistischen Terrorakts von Solingen die „illegale Migration“ zur zentralen Bedrohung Deutschlands erklärte – seitdem kooperiert Berlin verstärkt mit Islamisten beim Vorgehen gegen Flüchtlinge. Die Nazi-Parole „Ausländer Raus“, vorerst eingeengt auf Flüchtlinge, ist bereits zur deutschen Staatsräson geworden. Folglich wird der Vorstoß von März in der veröffentlichten Meinung schon brav normalisiert, nicht nur in rechten Zeitungen wie der Frankfurter Allgemeinen3 (dort, wo AfD-Führer Gauland schon mal Hitler-Reden paraphrasieren konnte),4 sondern auch in liberalen Blättern wie der Zeit5 (dort, wo unverkrampft über das Absaufenlassen von Flüchtlingen debattiert wird).6

Wenn AfD-Führerin Weidel bei ihrem Jubel über die bröckelnde Brandmauer gegen Rechtsaußen die Migrationsfrage zur Schicksalsfrage Deutschlands erklärt,7 dann kann sie auf jahrelanger ideologischer Vorarbeit gerade in der Mitte der deutschen Gesellschaft aufbauen. Kaum ein Krisenschub der letzten Jahre (von der Immobilienblase, über Sarrazin, die Eurokrise, die Flüchtlingskrise, die Pandemie, bis zur gegenwärtigen Exportmisere), der nicht auf Bösewichte jenseits der deutschen Leistungsgemeinschaft projiziert worden wäre. Das ist inzwischen Normalität.

Entscheidend ist aber auch beim Faschismus des 21. Jahrhunderts das autoritäre Moment. Die Wahl von Trump, die irre Promotionstour von Musk für europäische Rechtspopulisten und Rechtsextremisten, sie lassen in Deutschland alle zivilisatorischen Sicherungen durchbrennen. Die faschistische autoritäre Pseudorevolte giert gerade nach der Gunst der Mächtigen – wenn ein Milliardär Werbung für die AfD macht, dann wirkt das auf den autoritären Charakter gerade anziehend, er sieht sich bestätigt und ermuntert. Trump wirkt, Musk beflügelt die AfD – gerade weil er der reichste Mann der Welt ist. Zudem ist der äußere Druck, den Faschismus in Deutschland kleinzuhalten, nun weitgehend verschwunden. Wozu noch die Mühe? Die Exportkonjunktur in dahin, in den USA, deren Suchmaschinen plötzlich einen „Golf von Amerika“ entdeckt haben wollen,8 werden Massenverhaftungen von Migranten durchgeführt. Die Opposition einstmals einflussreicher Kapitalfraktionen gegenüber der AfD erlahmt folglich. Inzwischen ist es keinen ein Skandal aus, wenn Unternehmer öffentlich – etwa beim demokratischen Sturmgeschütz Spiegel9 – sich relativ ungeschminkt zum Faschismus bekennen.

Die zweite Wahl Trumps ist eine Katastrophe, deren Fallout wirklich global sein wird. Es war schon immer eine naive, illusorische Vorstellung, die insbesondere in der Altlinken gepflegt wurde, wonach man einfach nur die reichen und/oder mächtigen Profiteure hinter faschistischen Bewegungen demaskieren müsste, um diesen den Wind aus den Segeln zu nehmen. Diese Herangehensweise – die zumeist mit dem grenzdebilen Klassen- und Interessen-Gerede einhergeht, das selbst in der manifesten Systemkrise unausrottbar scheint – verkennt schlicht die Tatsache, dass der Faschismus eine genuine Massenbewegung ist, die den angstschwitzenden Mittelschichten ein klares sozialpolitisches Angebot macht: Ausländer, Minderheiten, unnütze Esser raus, dann geht es uns besser. Das gilt gerade für Deutschland mit seiner furchtbaren autoritären Tradition. Und daran trägt gerade Amerika historische Schuld: Indem es die Entnazifizierung aufgrund des aufkommenden Kalten Krieges abbrach, unzählige Nazis in Spitzenpositionen des „Frontstaates“ BRD tolerierte, die diesen entsprechend prägten.

Dieser nachwirkende Postfaschismus legte das Fundament für den gegenwärtigen Präfaschismus. Dabei gibt es gerade keine Zwangsläufigkeit zwischen Krise und dem Abdriften in rechtsextreme Ideologie und Autoritarismus. Wie schwach Deutschland in dieser Hinsicht ist, zeigte gerade das Beispiel Griechenlands, das vom ehemaligen deutschen Finanzminister Schäuble in einen regelrechten sozioökonomischen Kollaps getrieben wurde – die Faschistenpartei „Goldene Morgenröte“ kam nie über 10 Prozent. Es gibt keinen Automatismus, der von der Systemkrise zum Faschismus führt. Die Geschichte, auch der Krisenverlauf sind offen. Die AfD, sie kann erfolgreich bekämpft werden – selbst im autoritär geprägten Deutschland.

Doch dazu müsste den Menschen die ungeschminkte Wahrheit vermittelt werden. Die simple, inzwischen wirklich offen zutage liegende Wahrheit, die nur noch mittels faschistischer Dauerhetze übertüncht werden kann, besteht darin, dass die Krise, in der sich die spätkapitalistischen Gesellschaften befinden, nicht innerhalb der kapitalistischen Wirtschaftsweise überwunden werden kann. Die geschlossenen Grenzen werden weder Fluten, noch Stürme, oder Dürren abhalten. Die Hitze, die Feuer, der steigende Meeresspiegel – sie werden vor den panisch abgesicherten Grenzen nicht haltmachen. Die nächste Wirtschaftskrise, der nächste Inflationsschub, der nächste Ressourcenengpass werden durch Deportationen nicht hinweggezaubert werden.

Anstatt gegen die Krisenopfer zu hetzen, müsste folglich eine Transformationsdebatte initiiert werden, um nach Wegen aus der kapitalistischen Dauerkrise zu suchen. Der Verwertungszwang des Kapitals ist auf einem Planeten mit endlichen Ressourcen schlicht selbstzerstörerisch. Was der Faschismus folglich predigt, ist faktisch der zivilisatorische Tod.

Es gibt aber keine relevanten gesellschaftlichen Kräfte, die – aufbauend auf einem radikalen Krisenbewusstsein – den Kampf um einen progressiven Transformationsverlauf führen würden. Deshalb erhält die faschistische Krisenverwaltung Auftrieb und setzt sich durch – nahezu zwangsläufig, nahezu mühelos. Das, was von der Linken übrig geblieben ist, bleibt faktisch, abseits flacher Phrasen, krisenblind, es ist entweder gnadenlos staatstragend, oder es ist in heilloser Regression begriffen. Dabei ist die Transformation zwangsläufig, alternativlos, da das Kapital am Ende seiner inneren und äußeren Entfaltungsmöglichkeiten angelangt ist und an sich selbst zerbricht. Und es ist der Faschismus, der derzeit diesen prinzipiell offenen Transformationsprozess nahezu unwidersprochen in eine barbarische Richtung lenkt.

(tk)

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1 https://www.tagesspiegel.de/gesellschaft/messerattacke-in-aschaffenburg-familie-von-opfer-wehrt-sich-gegen-vereinnahmung-durch-rechte-parteien-13096006.html

2  https://www.nytimes.com/2025/01/27/world/europe/germany-afd-merz-cdu-migration.html

3  https://www.faz.net/aktuell/politik/bundestagswahl/cdu-vorschlaege-zur-migration-friedrich-merz-ist-nicht-hindenburg-110256240.html

4  https://www.konicz.info/2018/10/12/tanz-den-adolf-gauland/

5  https://www.zeit.de/politik/deutschland/2025-01/migrationspolitik-union-friedrich-merz-verschaerfung-afd

6  https://www.konicz.info/2018/07/18/absaufen-pro-und-contra/

7  https://www.deutschlandfunk.de/die-brandmauer-ist-gefallen-afd-chefin-weidel-begruesst-merz-ankuendigungen-zur-verschaerfung-der-mi-100.html

8  https://www.br.de/nachrichten/netzwelt/nach-trump-dekret-golf-von-amerika-kuenftig-in-google-karten,UbABQFW

9  https://www.spiegel.de/wirtschaft/unternehmen/galeria-miteigner-bernd-beetz-haette-wohl-donald-trump-gewaehlt-a-583d56e4-db37-4892-8b14-7a8b5653f19c

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Tomasz Konicz

Tomasz Konicz arbeitet als linker Journalist und Buchautor mit den Schwerpunkten Krisenanalyse, Antifa und Geopolitik.
Seine publizistische Tätigkeit baut auf der Wertkritik, wie sie vom Krisentheoretiker Robert Kurz maßgeblich geformt wurde, sowie der Weltsystemtheorie Immanuel Wallersteins auf. Jüngste Publikationen: Faschismus im 21. Jahrhundert, Skizzen der drohenden Barbarei, Klimakiller Kapital. Wie ein Wirtschaftssystem uns die Lebensgrundlagen entzieht.

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