Die KI-Revolution frisst ihre Kinder

Die chinesische KI-Firma Deepseek erschüttert das Geschäftsmodell der sich formierenden Branche.
Von Tomasz Konicz / 16. Februar 2025

Die Schockwellen, die das chinesische KI-Modell DeepSeek durch die amerikanische Hightech-Branche jagte, brachten auch ironische, regelrecht komische Momente hervor. Der ChatGPT-Entwickler OpenAI, hinter dem Microsoft steht, beschuldigte etwa das chinesische Startup des Datenklaus und der Spionage. Das Geschäftsmodell des amerikanischen KI-Pioniers sei auf dem „Datenklau des gesamten Internets“ aufgebaut, um nun darüber zu „heulen, dass DeepSeek an dem Output von OpenAI trainiert“ werde, zitierte der PC-Gamer den Techkritiker Ed Zitron.1 Das Team um den KI-Guru Sam Altman würde nun die „eigene Medizin“ verabreicht bekommen, polterte Zitron. OpenAI habe eine „Plagiatsmaschine“ entworfen, um sich nun darüber zu beschweren, dass deren Plagiate zum Generieren neuer Plagiatsmaschinen benutzt würden.

Wissensdestillation nennt die Branche diesen Prozess, bei dem ein Haufen Geld und Ressourcen gespart werden kann, indem der Output eines großen Sprachmodells eigens dazu benutzt wird, ein kleineres, günstigeres Modell zu trainieren. Es ist kein Zufall, dass gerade OpenAI sich lautstark über die chinesische Billigkonkurrenz beschwert, die angeblich ihr Modell für nur knapp sechs Millionen Dollar fertigstellte – dem Pionier der KI-Branche, die gerne ihr gesamtwirtschaftliches Rationalisierungspotenzial offensiv propagiert, scheint ironischerweise schlicht das Geschäftsmodell wegzubrechen. Die proprietären, geschlossenen KI-Systeme sollten eigentlich – aufgrund ihrer gigantischen Trainingskosten – von den Techgiganten des Silicon Valley monopolisiert und verkauft werden können, da bislang das maschinelle Lernen Milliarden von Dollar verschlingen konnte. OpenAI würde somit in seiner bisherigen Form obsolet, sobald die Innovationen des chinesischen Sprachmodells, dass weitgehend quelloffen ist, verallgemeinert werden.

DeepSeek triggerte einen disruptiven Schock, bei dem proprietäre Software vom Open-Source-Prinzip geschlagen wird, das weitaus schnellere, globale Kollaboration und Innovation ermöglicht (Einzig der Spätstarter Meta hat mit seinem großen Sprachmodell Llama ebenfalls einen Open-Source-Ansatz verfolgt – gerade weil Facebook & Co. nicht auf Einnahmen aus dem KI-Geschäft angewiesen sind).2 Die erträumten Softwareprofite der KI-Branchengiganten wären somit weitgehend zerplatzt, weil bald jeder Mittelständler seine Kunden mit ähnlich nervigen KI-Tools beglücken wird, wie es Microsoft unter Milliardeneinsatz mit seinem bereits innigst gehassten Copilot – sozusagen dem Clippy3 des KI-Zeitalters – vorexerzierte.4

Eine Analogie aus dem Markt für Betriebssysteme kann den sich nun entfaltenden Bruch illustrieren: Die KI-Branche wollte ein Modell verfolgen, wie es Microsoft mit seinem Betriebssystem Windows seit den 90ern praktizierte, indem die Software selbst das monopolisierte Produkt ist. Mit DeepSeek wird die Software frei und/oder verbilligt, während nun eher die Dienstleistungen und Anpassungen, der „Service“ sozusagen, monetarisiert werden muss – ähnlich, wie es etwa Red Hat mit seinem Enterprise Linux macht. Dies ist ein realistisches Geschäftsprinzip, doch ist dies potenzielle KI-Marktvolumen schon vor dessen breiter Realisierung sehr viel kleiner.

Doch auch die Hardwareproduzenten, deren Rechenkapazitäten den KI-Boom ermöglichten, mussten nach dem DeepSeek-Schock herbe Kursverluste an den Aktienmärkten hinnehmen. Der Grafikkartenhersteller Nvidia hat faktisch mit seinen auf KI-Abläufe getrimmten Rechenkarten eine Goldader nicht nur entdeckt, sondern weitgehend monopolisiert, um binnen von zwei Jahren seinen Börsenkurs nahezu zu verzehnfachen – nach DeepSeek ist er um 20 Prozent eingebrochen. Der gesamten KI-Hausse, die faktisch nur noch den US-Finanzmarkt in einem spekulativen Boom hält (Die EU ist bereits weitgehend entkoppelt), droht die Luft auszugehen. Was, wenn die Hoffnungen auf ein neues Akkumulationsregime, auf neue Märkte und beschäftigungsgenerierende Wirtschaftszweige ähnlich abrupt zerplatzen, wie während der Deflation der Dot-Com-Blase zur Jahrtausendwende? Einer der wichtigsten Pfeiler der US-Ökonomie, die eigentlich nur noch dank des US-Dollars ihre Ausnahmestellung halten kann, hat durch ein Kursmassaker von rund einer Billion Dollar5 im Februar deutliche Risse erhalten.

DeepSeek unterminiert nicht nur den Finanzmarktboom der USA, das KI-Tool stellt auch eine geopolitisch-militärische Herausforderung der Dominanz Washingtons dar, die inzwischen nur noch aufgrund der Machtmittel der US-Militärmaschinerie aufrechterhalten werden kann. Deswegen ist das Weiße Haus – abseits der Trumpschen Floskeln über die innovationsfördernde Wirkung von Konkurrenz – unverzüglich dazu übergegangen, die Reichweite der App zu minimieren und deren Gebrauch in Behörden schlicht zu verbieten.

Das Timing der Veröffentlichung von DeepSeek diente wohl auch der Demütigung der Terawatt-Gigantomanie Trumps und seiner Technooligarchen, die wenige Tage zuvor mit Stargate ein 500 Milliarden Dollar umfassendes KI-Investitionsprogramm ankündigten, das nun schlicht lächerlich wirkt.6 Das Signal, das der chinesische Staatskapitalismus aussendet, ist eindeutig: Chinesische Effizienz schlägt den amerikanischen Brute-Force-Ansatz. China hat dabei auch die Wirkungslosigkeit amerikanischer Sanktionen bei Hightech-Produkten demonstriert, die vor dem Hintergrund des Hegemonialkampfes zwischen Washington und Peking den Aufbau einer konkurrenzfähigen chinesischen KI verhindern sollten – dies gerade Aufgrund des erschreckenden Potenzials militärischer Anwendungen von KI-Systemen.

Im Gegenteil, DeepSeek behauptet, aus der Not eine Tugend gemacht zu haben, indem etliche Innovationen bei den Trainingsphasen der KI dazu führten, den Einsatz von Nvidia-Chips auf 2048 ältere Modelle vom Typ H800 beschränken zu können (DeepSeek hat die angebliche Wissensdestillation, die OpenAI skandalisiert, nicht bestätigt).7 Inzwischen werden aber gerade diese Kostenvorteile der chinesischen Konkurrenz von einer Studie der IT-Denkfabrik SemiAnalysis massiv in Zweifel gezogen.8 Der chinesische Hedgefund High-Flyer, der DeepSeek finanzierte, verfüge demnach über Rechenfarmen von rund 60 000 Nvidia-Karten, zudem seien auch die Aufwendungen für das hochqualifizierte Personal und die Entwicklung der neuartigen Trainingsmethoden nicht in der Kostenrechnung der DeepSeek-Macher enthalten, sodass die wahren Aufwendungen des Hedgefunds High-Flyer in der „Volksrepublik“ sich auf eine Milliarde Dollar belaufen sollen.

Selbst wenn weite Teile dieser westlichen Gegenkostenrechnung der Realität entsprechen sollten, ist deren implizite Logik falsch. DeepSeek ist Open Source, seine Entwicklungskosten spielen bei der weiteren Anwendung keine Rolle, die Prozessinnovationen, die in die Entwicklung eingeflossen sind, bleiben ja nicht unter Verschluss, sie wandelten sich in Allgemeingut – und sie senken den Preis der KI-basierten Dienstleistungen, die Amerikas IT-Industrie monopolisieren wollte, unweigerlich ab. Der KI-Kuchen schmilzt ab. Und diese Innovationen sind real, es handelt sich gerade nicht um eine bloße billige Kopie, wie etwa das MIT Technology Review anerkennend bestätigte9 – die US-Konkurrenz arbeitet nun mit Hochdruck daran, diese Neuerungen zu kopieren, die gerade durch die Sanktionen Washingtons befördert werden. Durch neuartige Komprimierungsmethoden wie das Multi-head Latent Attention konnte etwa der Speicherverbrauch verringert und Flaschenhälse, die sich etwa aus der unzulänglichen Speicherbandbreite ergeben,10 minimiert werden.

Ein weiterer entscheidender Innovationsschritt, den DeepSeek vollbrachte, besteht in der weitgehenden Automatisierung der mehrstufigen Trainingsphase der Automatisierungsmaschinen. Die „große Innovation“ von DeepSeek bestehe laut der Financial Times (FT),11 darin, den Einsatz von menschlichen Arbeitskräften bei dem korrekten „Etikettieren“ von Daten zu minimieren. Diese in der Trainingsendphase zu Anwendung kommenden Technik, die branchenintern als “reinforcement learning from human feedback” (RLHF) bezeichnet wird, sei teuer und zeitaufwendig, so die FT, da sie eine „kleine Armee von Datenetikettierern“ benötige.12 Die zumeist mit Stundenlöhnen von weniger als zwei US-Dollar abgespeisten, zumeist in Peripherieregionen wie Lateinamerika oder Afrika rekrutierten Tagelöhner des KI-Zeitalters verbringen ihren Arbeitstag damit, immer wieder digitale Daten mit entsprechenden Labels für die KI zu versehen – den Captchas von Ampeln, Fahrrädern oder Hunden nicht unähnlich, die früher bei Passworteingaben abgefragt werden.

Und diese in die Hunderttausende gehenden Elendsjobs, durch deren Ausbeutung im Rahmen des RLHF die Hightechbranche des 21. Jahrhunderts gewissermaßen noch mal das 18. Jahrhundert aufleben lässt, werden demnächst obsolet. DeepSeek vermochte es laut FT, das „reinforcement learning“ durch digitale Belohnungsmechanismen zu automatisieren, die bei richtigen Antworten des KI-Systems aktiviert werden. Sobald dieser Prozess oft genug wiederholt werde, fange das große Sprachmodell ab dem Überschreiten eines Kipppunkts an, „spontan Probleme ohne menschliche Aufsicht zu lösen“, hieß es weiter. Es sei ein „Aha-Moment“ eingetreten, ab dem DeepSeek anfing, Fragen abermals auszuwerten und seine Rechenzeit den unterschiedlichen Fragestellungen anzupassen, so das Finanzblatt in Anlehnung an Berichte chinesischer KI-Forschender. Um dies zu replizieren, braucht es keine KI-Tagelöhner mehr, sondern „sein sehr starkes, prätrainiertes Modell“ und eine sehr gute Infrastruktur, um „den Prozess des Reinforced Learning im großen Maßstab“ durchzuführen.

Die KI frisst auch ihre Elendskinder. Doch den Lohnabhängigen in der Peripherie des spätkapitalistischen Weltsystems, die nun Gefahr laufen, selbst ihre prekären Elendsjobs zu verliefen, werden bald Millionen Angestellte in den Zentren in die Obsoleszenz folgen. Die KI wird zwar die Gesellschaften der Zentren ähnlich radikal umwälzen wie das Internet und die erste Phase der Digitalisierung, doch wird dies ebenfalls keinen langfristigen Wirtschaftsboom im Sinne eines neuen Akkumulationsregimes hervorbringen, der massenhaft Arbeitskraft im Produktionsprozess des Kapitals verwerten würde.

Das Gegenteil wird der Fall sein. Die Entsubstanzialisierung des Kapitals, die Verdrängung der Lohnarbeit aus der Warenproduktion und dem Dienstleistungssektor wird weiter voranschreiten. Deswegen sind die Ängste vor einem Nachfrageeinbruch bei KI-Chips unbegründet, zumindest Nvidia wird sich weiterhin über gesunde Nachfrage freuen können. Überall dort, wo „heute noch routinierte Menschen um die Wette auf die immer selben Knöpfe drücken,“ (FAZ) werde sich der marktvermittelte Rationalisierungsdruck zuerst durchsetzen.13 Die Preissenkungen bei den Trainingseinheiten für Große Sprachmodelle werden nur zu einer beschleunigten Adaption dieser Technik im Verwertungsprozess des Kapitals führen, das ohnehin schon seit Dekaden seine Zombieexistenz nur dank der Produktion kreditgenerierter Nachfrage und fiktiven Kapitals auf den Weltfinanzmärkten aufrechterhalten konnte. Den letzten Nachklang dieser globalen Blasenökonomie des untergehenden neoliberalen Zeitalters bildet gerade die KI-Blase in den USA.

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1 https://www.pcgamer.com/gaming-industry/the-brass-balls-on-these-guys-openai-complains-that-deepseek-has-been-using-its-data-you-know-the-copyrighted-data-its-been-scraping-from-everywhere/#comment-jump

2 https://www.nytimes.com/2025/01/29/technology/meta-deepseek-ai-open-source.html?searchResultPosition=6

3https://9to5mac.com/2017/04/26/clippy-microsoft-office-mac/

4 https://www.zdnet.com/home-and-office/work-life/the-microsoft-365-copilot-launch-was-a-total-disaster/

5 https://www.dqindia.com/news/deepseek-sparks-1-trillion-tech-stock-meltdown-8662575

6 https://apnews.com/article/trump-ai-openai-oracle-softbank-son-altman-ellison-be261f8a8ee07a0623d4170397348c41

7 https://www.dw.com/de/deepseek-ki-aktie-b%C3%B6rse-nvidia-v3/a-71434687

8 https://winfuture.de/news,148575.html

9 https://www.technologyreview.com/2025/01/24/1110526/china-deepseek-top-ai-despite-sanctions/

10 https://towardsai.net/p/artificial-intelligence/a-visual-walkthrough-of-deepseeks-multi-head-latent-attention-mla-%EF%B8%8F

11 https://archive.ph/IeaPD#selection-2425.166-2453.178

12 https://www.cbsnews.com/news/labelers-training-ai-say-theyre-overworked-underpaid-and-exploited-60-minutes-transcript/

13 https://archive.ph/8itUg#selection-2523.37-2523.240

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Tomasz Konicz

Tomasz Konicz arbeitet als linker Journalist und Buchautor mit den Schwerpunkten Krisenanalyse, Antifa und Geopolitik.
Seine publizistische Tätigkeit baut auf der Wertkritik, wie sie vom Krisentheoretiker Robert Kurz maßgeblich geformt wurde, sowie der Weltsystemtheorie Immanuel Wallersteins auf. Jüngste Publikationen: Faschismus im 21. Jahrhundert, Skizzen der drohenden Barbarei, Klimakiller Kapital. Wie ein Wirtschaftssystem uns die Lebensgrundlagen entzieht.

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