Klippen auf steuerbord

Der Aufwind für die Piraten scheint nicht abzuflauen. Nach dem Einzug in die Landtage von Berlin mit 8,9% und des Saarlandes mit 7,4%, ist es sicher, dass sie auch bei den kommenden Landtagswahlen in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen mit Ergebnissen um die 10% rechnen können. Auf Bundesebene werden sie bereits als viert- bzw drittstärkste Partei mit Werten zwischen 10 und 14% gehandelt. In ihrer Anfangszeit bisweilen als monothematische Internetpartei einiger, vorzugsweise männlicher, Computerfreaks fehleingeschätzt, geben sie sich nach und nach auf ihren Parteitagen und in der täglichen politischen Arbeit innerhalb und ausserhalb der Parlamente aller Ebenen ein deutlicheres Profil. Sie erscheinen modern, offen, diskussionsbereit und aufgeschlossen für neue Wege der Demokratie und treffen damit den Nerv der Teile der Bevölkerung, die Politik längst aufgegeben hatten und für sich keine Einflussmöglichkeiten auf diese mehr gesehen haben. Es ist den Piraten zu verdanken, dass in der bundesdeutschen Politik die Schlagworte Transparenz, Partizipation, Demokratisierung wieder auf der Tagesordnung stehen und nun alle Parteien, mehr oder weniger erfolgreich, darüber nachdenken, wie Politik unter den veränderten gesellschaftlichen und technischen Rahmenbedingungen des 21. Jahrhunderts gestaltet werden muss.

Als junge und erfolgreiche Partei stehen die Piraten natürlich im Fokus der Medien und auch der politischen Konkurrenz. Suchen die Einen nach berichtenswerten „Skandalen“, vermissen die Anderen eine klare Selbstverortung der Piraten im klassischen Links-Mitte-Rechts Schema der bundesrepublikanischen Parteienlandschaft, gemeinsam ist ihnen das beständige Suchen nach detailierten politischen Inhalten und Aussagen, die die Piraten aufgrund ihrer neuen und durchaus revolutionären Art politischer Willensbildung noch nicht ad hoc liefern können. Wie jede neue politische Partei wird auch der Aufstieg der Piraten von mehr oder weniger ausgeprägten Geburtswehen begleitet, die meist mit einzelnen Protagonisten verbunden sind, aber nicht für die Gesamtverfasstheit der Partei als solche stehen. Von 2009 bis 2010 beispielsweise stand die öffentliche Diskussion über die Mitgliedschaft des Ex-SPD Politikers Tauss, der nach seiner Verurteilung im Mai 2010 bei den Piraten ausgetreten ist und dem ein Wiedereintritt im Oktober 2011 aus politischen Gründen verwehrt wurde, bei den Piraten im Fokus der Berichterstattung.

Aktueller Anlass für die Debatte über das politische Selbstverständnis der Piraten ist das gescheiterte Parteiausschlussverfahren gegen Bodo Thiessen aus dem Landesverband Rheinland-Pfalz. Dieser war bereits 2008 dadurch aufgefallen, dass er auf einer Mailingliste äusserte: „Wenn Polen Deutschland den Krieg erklärt hat (und das hat Polen indirekt durch die Generalmobilmachung), dann hatte Deutschland jede Legitimation, Polen anzugreifen.“ und: „Nun, bis vor einigen Monaten glaubte ich auch, daß diejenigen, die ‚Auschwitz leugnen‘ einfach nur pubertäre Spinner sind. Damals hatte ich aber auch noch nicht Germar Rudolf gelesen. Sorry, aber das Buch prägt einfach – zumindest wenn man objektiv ran geht.“ Eine bereits damals aufgrund dieser Vorgänge verhängte Ordnungsmassnahme hat nun aus formalen Gründen seinen endgültigen Ausschluss verhindert. Thiessen ist aber mit seinen rechten Ansichten und Ausfällen kein Einzelfall. In Niedersachsen musste unlängst der Hannoveraner Pirat Carsten Schulz seine Direktkandidatur für den Wahlkreis Hannover-Mitte wieder aufgeben, weil er Straffreiheit für das Leugnen des Holocaust und den freien Verkauf von Adolf Hitlers „Mein Kampf“ fordert. Eine Annullierung der Aufstellung war allerdings bislang die einzige Reaktion, ein Parteiausschluss ist nach Aussage des Landesvorstandes nicht geplant. Trotzdem stellte sich dieser in seinen Stellungnahmen klar gegen jede Form rechtsextremen Gedankengutes bei den Piraten.

Eine solch klare Positionierung gibt es im Fall Thiessen auch vom Bundesverstand und seinem eigenen Landesvorstand. Führende Piraten aus anderen Verbänden haben dagegen eine abweichende Sicht auf solche Vorgänge in ihrer Partei und stellen das Gut der Meinungsfreiheit über die Unvereinbarkeit zwischen Mitgliedschaft bei den Piraten und einer rechten Gesinnung. So hat sich der Berliner Landesvorsitzende Hartmut Semken in seinem Blog gegen den Ausschluss von Mitgliedern ausgesprochen, die rechtsradikale Thesen vertreten und ein solches Vorgehen mit der NSDAP verglichen. Nach heftigen Protesten bis hin zu Rücktrittsforderungen hat er sich mittlerweile für diesen öffentlichen Ausfall entschuldigt.

Natürlich sind solche singulären Vorfälle nicht überzubewerten und lassen die Piraten als Partei auch nicht nach Rechts rücken. Sie sind vielmehr Ausdruck des Prozesses der Selbstfindung und Selbstreinigung. Allerdings zeigen die Reaktionen sehr deutlich, dass die Piraten gehalten sind relativ schnell und deutlich eine politische und organisatorische Abgrenzung zu rechtsextremen Positionen und Mitgliedern zu vollziehen. Der Bundesvorsitzende Nerz liegt also richtig, wenn er feststellt: „Wir werden jedoch auch künftig gegen solche und ähnliche Äußerungen vorgehen. Rassismus hat in der Piratenpartei keinen Platz!“ und zieht damit eine deutliche Grenze der innerparteilichen Meinungsfreiheit. Unterstützung erfährt er dabei durch die scheidende Bundesgeschäftsführerin Marina Weisband, die auf ihrem Blog klar unterscheidet zwischen dem schützenswerten Gut der Meinungsfreiheit in der Gesellschaft und der Meinungsfreiheit, die in einer Partei, deren Mitglieder sich an ähnlichen Idealen orientieren, geduldet werden kann. Hierzu fordert sie:

Wir dürfen diese Menschen nicht ohne Kampf dem Hass überlassen. Aber gegen die Ansichten, die sie vertreten, müssen wir erbarmungslos sein. Denn wir sind besser als die Nazis, wenn wir bestimmte Ideen ausgrenzen.

Ich fordere dazu auf, dass jeder Pirat sich deutlich, ohne Relativierung, distanziert von
– Rassismus
– Nationalsozialismus
– Geschichtsrevisionismus
– Antisemitismus
– Islamophobie
– Homophobie
– Sexismus
– und jedem weiteren Weltbild, das Menschengruppen ausgrenzt oder verachtet, wegen Dingen, für die sie nichts können.

Sie schliesst damit, dass sie es es leid sei, diese Debatte zu führen, die eigentlich keine sein sollte. Eine Aufforderung an die Piraten, der man als politischer Beobachter nur zustimmen kann. Bei aller erfrischenden Andersartigkeit der Piraten und dem Reiz, der im Umgang miteinander und der Wertschätzung der Meinungen aller Mitglieder liegt, gehört es doch zum ungeschriebenen Grundkonsens jeder demokratischen Partei in der Bundesrepublik, die Grenze zwischen Meinungsfreiheit und Hetze so zu definieren, wie dies Marina Weisband nun in ihren Forderungen an ihre eigene Partei formuliert. Dass die Piraten sich in ihrer Gesamtheit ganz klar zu diesem Grundkonsens bekennen, dürfte unstrittig sein.
(mb)