Nicht nur der Trend in den Umfragen bläst den Piraten kräftig ins Gesicht, auch die Mannschaft selber arbeitet daran, dass die Freibeuter im Herbst nächsten Jahres vielleicht doch nicht in den sicheren Hafen am Berliner Reichtagsufer werden einlaufen können. Noch im April lagen sie mit um die 12% mit den Grünen gleichauf und wurden schon als kommende dritte Kraft, ja gar als Kanzlermacher, gehandelt. Dieser Vertrauensvorschuss des Wählers ist, trotz oder gerade wegen der Wahlerfolge der letzten Monate, auf nun mehr bescheidene 7% zusammen geschmolzen. Und die Piraten müssen, wie auch Die Linke, fürchten, dass sie den nächsten Bundestag nur im Rahmen einer Besuchergruppe von Innen betrachten können. In dieses schwere Fahrwasser haben sich die Piraten vor allem durch das Handeln ihres politischen Führungspersonals selbst manövriert.
Dass im Programm immer noch Lücken klaffen, durch die ganze Wirtschaftskrisen fallen können, mag aus politisch-theoretischer Sicht bedauerlich sein. Dem mündigen Wahlbürger, der sich im Supermarkt der Politik auch gerne mal aus Protest an den buntverpackten Neuheiten versucht, ist dieses Manko (noch) leidlich egal. Egal ist ihm aber nicht, wenn es dem politischen Personal noch nicht einmal ansatzweise gelingen mag, diese programmatischen Leerstellen durch eigenes Handeln positiv zu ersetzen.
So steht der geneigte Wahlbürger meist nur noch kopfschüttelnd daneben, wenn die Freibeuter in Niedersachsen die Listenaufstellung zur Landtagswahl aufgrund organisatorischer Pannen mehrfach wiederholen müssen (und jetzt erst mit der Unterschriftensammlung zur Wahlzulassung starten) oder man auf und unter Deck munter über Gewinnerthemen wie Drogenfreigabe, Kinderpornografie, die Abgrenzung oder Nichtabgrenzung gegenüber Rechtsextremen oder ein durch Spenden finanziertes Grundeinkommen für den eigenen, von der Partei mittellos gelassenen, Bundesgeschäftsführer debattiert.
Hier schliesst sich dann auch der Bogen von offenkundigen politisch-inhaltlichen und organisatorischen Defiziten zur fragwürdigen Qualität eines Führungspersonals, das wohl zurecht im bundesdeutschen Politbetrieb der vergangenen Jahre nicht ans Ruder kam oder in etablierten Parteien bestenfalls zum Deck schrubben abkommandiert war. Im Berliner Verband und der Fraktion im Abgeordnetenhaus wechselt man die Spitzenpositionen in so rascher Folge aus – oder tritt wieder an, wie jüngst der alte neue Landesvorsitzende – dass Aussenstehende kaum noch Chancen haben ein politisches Profil zu entdecken. Gestolpert wird hier über die Beschäftigung von Angehörigen, Mobbingskandale, den Umgang mit rechten Positionen oder schlussendlich über das eigene zerrüttete Nervenkostüm. Welches sich aber spontan regeneriert, wenn der Reichstag noch erreichbar am Horizont schimmert.
Aus den sonstigen Landtagen, die die Piraten bereits entern konnten, ist auch wenig Politisches, stattdessen aber oftmals zuviel Menschliches zu vernehmen. In Nordrhein-Westfalen ist man sich in der Fraktion zumindest darüber einig, dass man von seinen monatlich 10.826 Euro, die man als Abgeordneter erhält, keine nennenswerte Spende an die Bundespartei abgeben kann. Auch wenn diese aufgrund der Zahlungsunlust der Parteimitglieder kein Geld für den notwendigen Apparat oder Wahlkämpfe hat. In die Schlagzeilen schaffen es die rheinischen Freibeuter aber erst durch die Twitterdiarrhoe ihrer Abgeordneten Birgit Rydlewski, die es sich nicht nehmen lassen möchte per Kurzmitteilung aller Welt mitzuteilen, wie ihre One-Night-Stands so verlaufen und ob sie sich bei der Körperrasur ins eigene Fleisch schneidet oder auch nicht. Politische oder personelle Konsequenzen? Fehlanzeige, denn, was Birgit Rydlewski schreibe, sei „ihre Privatsache und bleibt ihr unbenommen“, weil Piraten nun mal viel twittern. Aber wohl wenig Politik machen, mag man hier ergänzen.
Aktuelles Beispiel für die zweifelhafte Qualität auf der Kommandobrücke des schlingernden Kahns ist Julia Schramm. Schramm, die erst 2009 von der FDP zu den Piraten wechselte, ist Mitglied im Bundesvorstand der Partei und wollte im April eigentlich zur Bundesvorsitzenden gewählt werden. Politisch setzt sie seit ihrer Wahl keine bemerkbaren Akzente, da der Disput um ihre Unterstützung der Spackeria oder ihre Wandlung zur Feministin nur parteiinterne Kreise zogen. In die Schlagzeilen schafft es Schramm erst jetzt mit der Veröffentlichung ihres Buches „Klick mich“, einer mehr oder weniger gelungenen Ansammlung von Plattitüden aus dem Netzalltag einer bedeutungslosen Nachwuchspolitikerin, gespickt mit dem seit Charlotte Roch unvermeidlichen Sexgeplauder junger bis mittelalter Mädchen.
Es ist aber weniger der sinnfreie Inhalt des Buches, sondern vielmehr der Umgang Schramms mit den Begleitumständen der Veröffentlichung, der aus diesem „Meilenstein der Literatur“ einen Prüfstein für die politische Aufrichtigkeit des Führungspersonals der Piraten macht. Offensichtlich hat man nämlich die Aussagen Schramms zur Freiheit der Kunst, zur Kritik am bestehenden Urheberrecht und dem Schutz des geistigen Eigentums zu vorschnell für bare Münze genommen. Schramm geht jedenfalls mit aller Macht, die ihr und ihrem Verlag durch die bestehenden – und von ihr und den Piraten kritisierten – Urheberrechtsgesetzen zur Verfügung stehen, gegen die kostenlose Veröffentlichung ihre Buches im Internet vor. Menschlich nachvollziehbar, muss sie es doch sich und dem Verlag ermöglichen, zumindest die vorab gezahlten 100.000 Euro Vorschuss durch einen gesetzlich geschützten Verkauf wieder einzuspielen.
Politisch ist dieser Vorgang für die Piraten allerdings extrem schädlich. Zeigt er doch zum wiederholten Male, dass man nicht nur massiv unter inhaltlichen und personellen Defiziten leidet, sondern vor allem, dass auch Piraten nur Politiker wie alle anderen sind. Für das Volk und die eigene Basis wird das Wasser der Veränderung gepredigt, während man selber nur zu gerne den Wein des Establishments säuft. Umfragewerte von 7% und die schon sicher geglaubten Enteraktionen in Hannover und Berlin könnten da schnell zu Träumen der Vergangenheit werden. Es sei denn, der Bundesvorstand und vor allem der Parteivorsitzende Schlömer erkennen endlich die Lage der Piraten und stellen sich ihrer politischen Verantwortung, statt sich hinter wolkigem Beliebigkeitsgeplauder zu verstecken. Nachdem Schramm im Bezug auf die berechtigte Empörung über das Auseinanderfallen von politischem Wunsch und gelebter Realität in ihrem Fall in Richtung der Partei (und der Wähler) äusserte: „jetzt krakeelt eben wieder der Mob“, dürfte es an der Zeit sein zumindest diese Freibeuterin über die Planke laufen zu lassen. Möglicherweise hilft das Abwerfen personellen Ballastes auch dabei endlich zur Politik zurückzufinden, statt sich in einer Nebelbank des zwanghaften Andersseins zu verlieren.
Update
Als kleine Abrundung hier noch ein Bericht bei Telepolis über ein nichtgegebenes Interview des innen- und kulturpolitischen Sprechers der Berliner Piraten-Fraktion Christopher Lauer: Wie man ein Interview (nicht) erst zu- und dann absagen sollte.
(mb)
Möglich. Aber man wird sehen. Wenn Kramm im Bundestag sprechen sollte …(und er das nicht versemmelt … und …)
die werden in der BRD genauso „absaufen“ wie in Schweden. Der Reiz des „Neuen“ ist weg.
“ … dürfte es an der Zeit sein zumindest diese Freibeuterin über die Planke laufen zu lassen.“
Ganz gewiß!
Der Rest: das Übliche der Parteien, auch unter Linken, allerdings bei den Piraten SOFORT mit Bedeutungsverlust gestraft, wo andere Parteien auf „Stammpublikum“ zählen dürfen.
Eine zweite FDP braucht NIEMAND, – außer den verhinderten Karriereristen …