Die Partei der 99 Prozent

So anmassend der Name der Partei ist, so anmassend ist oft auch ihr Anspruch. Die Partei Die Linke gibt vor, alle relevanten linken politischen Kräfte des Landes in Ost und West in sich vereinigt zu haben. Waren es vor 89 bei einer der Quellparteien noch selbst gefälschte Wahlergebnisse von über 90%, ist es jetzt die selbstgefällige Gewissheit, dass man die Interessen der 99% der Menschen vertritt, die nicht zu dem einen Prozent der herrschenden Klasse gehören. Beides war und ist eine gefährliche Selbsttäuschung. Die Wahlergebnisse, besser Wahlniederlagen, in den letzten Jahren legen diesen Schluss zumindest nahe.

Der Wunsch, dass man es 2007 endlich geschafft haben könnte, eine linke Einheitspartei neben der SPD zu etablieren, war dann eher auch ein Wunschtraum. Zu schnell wurde zumindest dem Wähler klar, dass sich hier keine neue politische Kraft bildet, die gekommen ist, um zu bleiben. Sondern die versucht eine Einheit vorzutäuschen, die es in der Linken in Deutschland nie gab. Und die es auch vermutlich gar nicht geben kann.

Zu unterschiedlich sind die Beweggründe in Ost und West, aber auch kreuz und quer im linken Parteikörper, die es dem Gebilde namens Die Linke unmöglich machen zu sich selbst zu finden. Wurde sie im Osten als Nachfolger der SED gebraucht, um der realsozialistischen Politikerkaste, ihrem Nachwuchs und vor allem vielen DDR-Bürgern den Weg in die Bundesrepublik zu ebnen, ist sie im Westen Projektionsfläche für Revolutionsphantasien und sozialdemokratische Gewerkschaftsromantik aus dem letzten Jahrhundert.

Einen tatsächlichen Gebrauchswert für die Lösung aktueller politischer Aufgaben vermag der Wähler in dieser Linken mittlerweile nicht mehr zu entdecken. Egal in welchem Teil des Landes. Die sinkenden Umfragewerte in Ost und West belegen dies. Im Westen liegt die Partei bei noch knapp 3%, im Osten sank sie innerhalb weniger Monate von 20 auf jetzt nur noch 15%. Nur noch wenige Wählerstimmen trennen Die Linke damit von der magischen 5 in den Umfragen. Wahrscheinlich, dass man diese Zahl schon in wenigen Wochen wird sehen können.

Die Gründe für diesen Niedergang sind allesamt hausgemacht. Und es ist nicht nur ihr Geburtsfehler der Lüge einer Einheitslinken. Es sind vor allem ihr fehlender Gebrauchswert und ihr zutiefst desolates Bild in der Aussenwirkung. Denn nichts kann diese Linke besser, als sich selbst immer wieder ein Bein zu stellen. Und damit hüpft sie dann nicht nur von Fettnäpfchen zu Fettnäpfchen, sondern vor allem auch von Niederlage zu Niederlage.

Den Gebrauchswert hat ihr der Wähler aberkannt. Sie taugt im Westen nicht mehr als Protestpartei gegen eine nach rechts gerückte SPD. Und damit auch nicht mehr als Sammelbecken für enttäuschte Sozialdemokraten, die sich einen neuen Aufbruch erhofft haben. Im Osten hat sie sich mittlerweile so staatstragend entwickelt, dass nun endlich – über 20 Jahre nach dem Untergang der DDR – die Politik mitsamt den Menschen komplett in die Hände der bundesweit etablierten Alt-Parteien übergeben werden kann.

Nicht von ungefähr wird Die Linke in Brandenburg jetzt von der SPD und der CDU abgehängt. Sie hat dort schlicht und einfach ihren Zweck erfüllt. Und weiss nicht zu vermitteln, welchem neuen Zweck sie denn dienen könnte. Wie auch in Berlin. Dort sind es SPD und CDU, die jetzt das umsetzen, was Die Linke richtigerweise in den zehn Jahren ihrer Mitregierung ins Rollen gebracht hat. Die Früchte dieser Arbeit ernten die anderen Parteien. Und das ist vermutlich auch ganz gut so.

Denn viel schwerwiegender sind die hausgemachten Probleme der Linken. Sie schafft es mit geradezu schlafwandlerischer Sicherheit in jede politische Falle zu tappen, die ihr von Aussen und vor allem von Innen gestellt wird. Dabei ist es leidlich egal, ob das Stöckchen über das man springt eine Antisemitismusdebatte, das Parteiprogramm, die Frage des Parteivorsitzes, das Verhältnis zu linken Medien, Spitzenkandidaturen, Eurokrisen, Kriegseinsätze, Mitgliederdemokratie, Transparenz oder Grillrezepte sind. Jede Sau wird bereitwillig von der einen oder anderen Seite durch die Partei und in die Öffentlichkeit getrieben. Ohne Rücksicht auf Verluste.

Und da sind es gar nicht so die betonköpfigen und vor allem im Westen beheimateten Retrolinken, denen man angesichts ihres Verhaltens einen Vorwurf machen kann. Sie haben nie damit hinter dem Berg gehalten, dass sie keine linke Einheit mit Mitregierungssozialisten und demokratischen Reformern wollen. Sie wollen für sich Hegemonie. Und das bedeutet in ihrer Denke nun zuerst einmal Friedhofsruhe in der Partei. Und später – nach der Revolution – eine ebensolche Ruhe im Staate.

Vor allem die Reformlinke muss sich den Vorwurf gefallen lassen, dass man um der unbedingten Einheit willen zwanghaft an der Organisationsteilhabe mit den Betonköpfen des Staatssozialismus und ihren gewerkschaftlichen Geistesbrüdern festgehalten hat. Und damit nicht nur immer den Kompromiss um jeden Preis, sondern auch die eigene Demontage in Kauf genommen hat. Die Quittung dafür wird und wurde schon serviert. Der Zeitpunkt für eine halbwegs saubere Lösung dürfte mithin schon längst überschritten sein.

So ist es nun also, wie immer, der einzige und letzte Souverän im Staate, der diese – wahrhaft historische – Aufgabe zu erledigen hat. Mit seinem Kreuz auf dem Wahlzettel bringt er zum Ausdruck, dass eine Linke in dieser Verfassung kein nachhaltiges politisches Projekt sein kann. Zumindest im Reformlager dürfte noch genug Realitätssinn vorhanden sein, um diesen allerletzten Warnschuss des Wählers ernstzunehmen. Falls man nicht zu beschäftigt damit ist, die eigene berufliche Zukunft auf einem bereits sinkenden Schiff zu sichern.

Es wäre nun an der Zeit zu diskutieren, auf welchem Weg und mit welchen politischen Ideen der erforderliche Neustart gelingen könnte. Alle bisherigen Ansätze waren nicht von Erfolg gekrönt: Egal ob Fundamentalopposition oder Mitgestaltung. Auf jedem dieser Wege konnte die in sich zerrissene Linke aufgrund ihrer Struktur immer nur verlieren. Zu einer solchen Diskussion kann es aber scheinbar erst dann kommen, wenn sich Die Linke selber personell und organisatorisch sortiert hat. Der Wähler ist auf dem besten Wege ihr dafür die nötige ausserparlamentarische Luft zu verschaffen.

Nutzt die Partei diese Auszeit, könnte sie organisatorisch geschrumpft, aber politisch renoviert, einen weiteren Anlauf wagen sich dauerhaft neben und vor allem auch mit der Sozialdemokratie einzurichten. Verfällt sie aber im Angesicht der Niederlagen in die alten Verhaltensmuster zwischen Grabenkampf und faulem Kompromiss, wird sich die Welt der Politik auch ohne diesen weiteren gescheiterten Versuch einer linken Partei weiterdrehen. Und dann wäre Die Linke tatsächlich einmal das, was sie jetzt schon von sich behauptet: Die Partei der 99%. Und zwar der 99% der Menschen, die sie nicht wählen, weil sie schlichtweg politisch nutzlos ist.
(mb)

2 Kommentare

  1. Unsere 99 Prozent! Ergänzung zu mb

    Wo eigentlich die Schimäre herkommt, dass wir (DIE LINKE) die Interessen der ‚99 Prozent’ vertreten, ist ein interessantes Thema, dem man sich im Potemkin gelegentlich etwas Raum geben sollte. Damit thematisiert man nämlich eingefahrene linke Wahrnehmungsmuster, die geeignet sind, sich mit gutem Gefühl von der Realität abzukoppeln.

    Zunächst und vor allem liegt es daran, dass wir es selbst sind, die die Interessen der „99 Prozent“ definieren. So was nennt man Tautologie. Und so kommt es, dass der ja für uns immer „im Mittelpunkt stehende Mensch“ „für sich“ kein (oder ein falsches) Bewusstsein von sich und seinen Interessen hat. Wenn man den aktuellen Umfragen Glauben schenken will, ‚checken’ gegenwärtig (abzüglich der 1 Prozent Klassenfeinde) ca. 91 bis 93 Prozent der deutschen „Menschheit“ nicht, dass wir – und nur wir – ihr Interessenvertreter sind.

    Deswegen müssen wir, also die wenigen ‚Erleuchteten’, diesen „für sich“ strunzdummen Menschen nahe bringen, dass wir ihre Interessenvertreter sind. Das tun wir, indem wir beispielsweise unser ‚Wissen’, das wir ja in der langen Tradition liebgewordener Denkgewohnheiten von 70 Jahren „marxistisch-leninistischer“ Klippschule erworben haben, nun einfach dem „im Mittelpunkt stehenden Menschen“ in populären Appetithäppchen andienen. Mit seiner einfühlsamen stillen Poesie ist Dr. Diether Dehm darin unschlagbar. Aber auch manch Andere(n/r) gelingen Pop-Stories über die bösen ‚Bangstern’ droben in ihren Hochhäusern gut von der Hand. Ich bin gerade am WE bei Blockupy einem Lautsprecherwagen der LINKEN hinterhergelaufen, der ununterbrochen die eigenen GenossInnen mit „Löhne rauf, Mieten runter“ beschallte. Unentwegte bewegten dazu das Vereinslogo im Takt jeweils noch oben und dann entsprechend nach unten. Wem es Spaß macht, so weit, so gut und gerne gegönnt. Und wer könnte was gegen höhere Löhne und niedrige Mieten haben? Außer den 1 Prozentlern.

    Einzig der ‚unbewusste Mensch’ am Straßenrand wird sich die unerhörte Frage erlauben: „Super Idee! Aber wie denn?“. Und zudem der Vorstellung mit einer gewissen Skepsis begegnen, sowie er die LINKE wähle, oder auch nur mitlaufe, werden die Löhne nach oben und die Mieten nach unten purzeln. Ich selbst hatte nicht den Eindruck, dass wir uns auf die Antworten auf einen „Fragenden Arbeiters“ sonderlich vorbereitet hätten.

    Nun haben sich nicht alle Genossinnen und Genossen die Denkmuster eines untergegangenen „Marxismus-Leninismus“ (Nichts gegen Marx!) bewahrt. Nicht einmal die Mehrheit. Insofern hat die LINKE tatsächlich eine einmalige historische Chance: Mit Ihrem pluralen Parteiverständnis könnten die Mitglieder ihrem jeweiligen theoretischen Wissen auch die diversen sozialen, historischen und geographischen (Ost-West) Erfahrungen hinzufügen und so zu einem politischen Erkenntnisprozess kommen, der eine gewisse gesellschaftliche Anschlussfähigkeit besitzt. Anschluss an das, was besagter Mensch der besagten 99 Prozent so denkt, fühlt und als sein Problem betrachtet.

    Das genau verlangt aber eine innerparteiliche Diskussionsfähigkeit, die es tatsächlich nicht gibt. Und die es nicht geben wird, solange wesentliche Teile der Linken unterschiedliche Positionen als prinzipielle „Abweichungen“ wahrnehmen. Und so gibt es denn die allseits bekannten Positionskämpfe, in dem sich manche Genossinnen und Genossen – zumindest gefühlt – auf unterschiedlichen Seiten der innerparteilichen Barrikade wieder finden. Dazu dann ein ‚Zentrum’ als Kompromissmaschinerie, das unterschiedliche Positionen zu bunten Puzzels namens „Bundestagswahlprogramm“ (oder so) zusammenfügt, indem jede Seite ‚gerecht’ (Kernkompetenz!) ihre Signalworte bekommt, mit denen sie dann „leben kann“.

    Nur, die Partei wird auf Dauer damit nicht leben können, weil der Vorteil der Pluralität unter den gegebenen Umständen in Handlungs- und Positionsunfähigkeit umschlägt. Das Thema Europa ist gerade ein aktuelles, das Thema Nah-Ost ein kontinuierliches Beispiel.
    Was tun? In Italien haben beispielsweise die Reformer mit der SEL die Rifondazione Comunista als sektiererischen Schrotthaufen (es ist ja ein Jammer) zurückgelassen. Das ist aber gleich aus mehreren Gründen nicht unsere Situation und deswegen auch nicht jetzt der Diskussion wert. Aber nachdenken muss man wohl.

  2. Die Linke ist eine große Illusion,sie war es bereits zu Zeiten ihrer Gründung. Bündnisse oder gar eine gemeinsame Partei von Kommunisten und nichtautoritären Linken unter demokratischen Bedingungen funktionieren bestenfalls für begrenzte Zeit. Sie scheitern erstens am Allmachtsanspruch der Kommunisten. Diesen haben sie trotz aller Süßholzraspelei nach dem Ende des Realsozialismus niemals aufgegeben. Zweitens an der eigentlich völlig unvereinbaren Zielstellung beider Teile. Dazwischen ist die große Mehrheit der Mitglieder welche mehr oder weniger indifferent in Fragen innerparteilicher Auseinandersetzungen Spielball der innerparteilichen Zusammenschlüsse ist.. Die Euphorie der Jahre 2008/2009 mit ihren Wahlerfolgen hat uns irgendwie besoffen gemacht. Wir haben tatsächlich geglaubt es könnte funktionieren.

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