Die Leerstelle der Vorsitzenden im Nachruf auf den Dichter Semprún
von Manfred Lauermann

Teil III
Dass er Mitglied des Politbüros der Kommunistischen Partei Spaniens war, darauf käme niemand, der den Nachruf der Parteivorsitzenden Lötzsch & Ernst liest: Semprún – ein Leben für Menschenrechte und Demokratie – des großen Europäers, Literaten, – ist das Wort Dichter political incorrect? – des Demokraten und Humanisten. (9.Juni) Und Bodo Ramelow erwähnt in seiner Kondolenz, seiner Eintragung bei der Stiftung Buchenwald, wenigstens ein Buch des Schriftstellers, den [ersten] Buchenwald-Roman Die große Reise von 1963. Seine kluge Biographin Franziska Augstein konturiert die Erinnerung, aus der der politische Buchenwaldhäftling das Lager beschreibt: „Im Kampf gegen den Nationalsozialismus würde es Tote geben. Jeder Angehörige der Résistance hatte das von Anfang an wissen können. Für die Widerstandskämpfer war es eine Sache des Glücks und der Umsicht, ob sie mit den Leben davonkommen würden“.(23) Doch es genügt bereits Wikipedia für die zentrale Information, die m.E. die Vorsitzenden einer Partei des Demokratischen Sozialismus kennen sollte, die sich nach ihrem Programm auch auf die Traditionen auch der Kommunistischen Bewegung produktiv beziehen will: Semprún war unter Franco einer der führenden Genossen bei der Organisation des Untergrundkampfes gegen Franco, von 1954 im Zentralkomitee der KP-Spaniens (PCE), ab 1958 in ihrem Politbüro.

Doch seien wir gerecht. Können wir von Gewerkschaftsfunktionären wie Ernst & Ramelow die Bekanntschaft mit Dichtung und Dichter erwarten? Die Zeiten, dass die ‚Büchergilde Gutenberg‘ Romane wie die Große Reise gedruckt hat, und sie sogar gelesen wurden, sind längst vorbei. (Mein Onkel, ein stolzer Metall-Facharbeiter und Sozialdemokrat schenkte mir 1962 aus der Büchergilde Faulkners Die Unbesiegten zu Weihnachten). Und für in der DDR Sozialisierte gehörte Semprún nicht gerade zum gängigen Kanon. Aber: Wäre 1 Blick in Wikipedia nicht auch Parteifunktionären zuzumuten gewesen? Nehmen wir also an, sie haben sich auf ihre Mitarbeiter verlassen. Wie wenig Zeit Politiker für eigene Lektüre haben, können wir von einer altersmilden Wagenknecht in einem ZEIT- Interview erfahren.(24) Mitarbeiterinnen sind mir aus Hannover recht vertraut, Studienabbrecherinnen sind bevorzugt, weil die Abgeordneten ungern Köpfe einstellen, die ihren Horizont drohen übersteigen zu können.(25) Ich weiß – welch horrende Verallgemeinerung! Gut, ich kennen einen Mitarbeiter, der mit seinem Abgeordneten gleichberechtigt Bücher publiziert; eine andere, die ihrem Abgeordneten weit überlegen ist, nur darf sie daher auch keine Inhalte oder Referenten mitbestimmen. Beliebt sind welche aus befreundeten Organisationen wie der VVN; unterstellen wir, die Autorin des Semprùn-Nachrufes in der anfifa BdA (7-8 2011) wäre ein solcher Zuarbeiter: „trennte er sich 1964 von der KP Spaniens, weil er zu früh für sich entschied, was die Partei später selbst vollzog – die Trennung von der Sowjetunion. Und immer Buchenwald….“ So so, er trennte sich? Semprún wurde als kleinbürgerliches Element, als Revisionist, als Kapitulant etc. von Spaniens Mini-Stalin, von Carillo unter Zustimmung der legendären Dolores Ibárruri – die ihren Kampfesnamen La Pasionaria, [die stumm Leidende] erneut alle Ehre machte – ausgeschlossen (zusammen mit Fernando Claudin). Claudins zweibändige Analyse des Stalinismus als außenpolitisches parallel antisozialistisches Unternehmung der ruhmreichen Sowjetunion vermag de die Kritik am innersowjetischen Stalinismus erschreckend ergänzen, wie Semprún in seinem Vorwort unterstreicht. Die sog. Trennungen von der Sowjetunion, von Jugoslawien beginnend über Ungarn 1956 bis zu CSSR 1968 waren um den Preis eines scheinbar überholten Nationalismus zu haben: „einen Preis, der für all die Jahre barbarischer Unterwerfung der nationalen revolutionären unter die exklusiven Interessen der russischen Staatsräson zu bezahlen war“.(26)

Was bedeutet jedoch in diesem Zusammenhang die seltsame gedankliche Schlussfolgerung der VVN: „Und immer wieder Buchenwald“? Kaum, dass Semprun das Thema noch oft verarbeiten wird; eher als Zuruf, „reden wir von „was wichtigerem“ als den Fehlern der Kommunisten“, vom Faschismus. Doch Verdrängtes lebt länger, ja: ,Die Vergangenheit ist niemals tot. Sie ist nicht einmal vergangen‘ (Faulkner(27)). Warum nicht das ewiggrüne Lieblingszitat von VVN & KPF mal auf sie anwenden? Denn während des Drucks von der Großen Reise erschien unwahrscheinlicherweise Solschenizyns Ein Tag im Leben des Iwan Denissowitsch, der ersten literarisch bedeutsamen innersowjetischen Auseinandersetzung mit dem GULAG: da “ ‚wusste ich schon, daß ich das Buch nochmal schreiben musste‘ (Semprún) Diesmal unter dem Eindruck seiner kommunistischen Verblendung. Unter dem Eindruck von Solschenizyn […] forderte er die Aufarbeitung der Verbrechen in der spanischen KPD. Von da an war die weitere Zusammenarbeit mit Carillo nicht mehr möglich, weder für ihn noch für den Generalsekretär.“(28) Carillos prinzipientreuer Kommentar zur Vergangenheitsbewältigung: „In dieser Vergangenheit zu wühlen ist kleinbürgerlicher Intellektuellenmasochismus!“(29)

Es gehört zu den Volten von Geschichte, dass zur selben Zeit Georg Lukács, dessen Geschichte und Klassenbewusstein Semprún den Weg in das marxistische Denken begleitet hat, sowohl seinen Roman wie den des Russens für italienische Öffentlichkeit als die wichtigsten Prosatexte der sozialistischen Nachkriegsliteratur einschätzte. Lukács war ja nach seiner Verbannung in Rumänien wegen seiner führenden Rolle im Ungarnaufstand aus der Partei ausgeschlossen worden und lebte unter strengen Auflagen (u.a. Publikationsverbot für politische Äußerungen) in einer inneren Emigration in Budapest.

Wir sehen: die Leerstelle PCE scheint nicht zufällig, denn nicht ein harmloser Menschenrechtler wie der Chinese Liu oder eine zumindest praktische wie Mutter Theresa noch ein gewöhnlicher Demokrat wie der andere Friedensnobelpreisträger Obama waren beerdigt worden, sondern ein radikaler Kämpfer gegen den Stalinismus. ‚Für den Aufbau einer Welt des Friedens und der Freiheit zu kämpfen‘, wie Ramelow aus dem Buchenwaldschwur zitiert, versteht sich für alle Demokraten und Menschenrechtler von selbst, sollte man meinen, dazu muss man nicht Sozialist oder Kommunist sein. Die Buchenwaldhäftlinge Eugen Kogon (Der SS-Staat) und Stéphane Hessel (Empört Euch) wären verwundert, dass man ihnen Sozialismusambitionen zuschreiben würde, weil sie „mutige Antifaschisten und konsequente und wahrhafte Demokraten“ (Ramelow) waren (und sind – Hessel), freilich: zur geschichtlichen Wahrheit gehört die Differenz. Für Menschenrechte und Demokratie kämpften die kommunistischen Buchenwald – und Auschwitzhäftlinge Emil Carlebach und Kurt Goldstein selbstredend auch, aber vor allem: „die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung“ (Buchenwald-Schwur(30)). Als organisierte Kommunisten glaubten sie die Vernichtung des Faschismus müsse mit der Überwindung des Kapitalismus einhergehen, ordneten ihren Kampf für Demokratie und Menschenrechte diesem kategorischen Imperativ unter. Goldstein wurde von der Bundesrepublik Deutschland – dafür? / trotzdem (?) – zweimal mit dem Bundesverdienstorden ausgezeichnet….

Richard Faber, der sich durch die unauslöschlichen Gräuel Buchenwalds und Auschwitz‘ durchgedacht hat, gemäß dem anderen VVN-Lieblingssprichwort: ‚Wer sich nicht an seine Vergangenheit erinnert, ist verurteilt, sie zu wiederholen‘, zeichnet nach, wie Semprún die Terrorwelten des GULAGs und des NS ineinander verschränkt: ‚Faschistischer und sowjetischer Antisemitismus‘ sowie: ‚verlorenen Unschuld des sowjetkommunistischen Antifaschismus‘.

Es entsteht für mich die Frage, nicht zuletzt als Mitglied der Historischen Kommission beim Parteivorstand der Partei DIE LINKE, wo ist die Grenze, nicht der wissenschaftlichen Forschung, sondern der Gebrauchswert für die Politik, danach, wie heute eine politische Partei, die ein Zukunftsprojekt gestalten will, damit umgeht. Im Deutschlandradio wird am 11.08. Dietmar Bartsch gefragt: „Macht es Sie misstrauisch, wenn Politiker historische Zusammenhänge erklären? Mir, offen gesagt, sind Interpretationen von Historikern lieber, Ihnen auch? Bartsch: Ja, selbstverständlich, … wir haben eine sehr kompetente historische Kommission…“ Trotz dieses Lobs frage ich mich, ob unsere Erklärung(31) nicht Lötzsch verführt hat, bei ihrer Äußerung zum Mauerbau die Geschichte historistisch anzugehen statt politisch zu formulieren. Der Vorsitzende der Historischen Kommission hatte schon 2001 geahnt: “ Allerdings stimmt eine gewisse ‚Blauäugigkeit’ von Funktionären und Mandatsträgern im Umgang mit Geschichte in der Tat bedenklich.“ Und 1993 warnt Lothar Bisky: “ Geschichte läßt sich ausschlachten. Sie ist wehrlos und als Steinbruch zu mißbrauchen, in dem man die Munition findet, um letztlich den politischen Gegner zu treffen.“(32)

Mein Vorschlag für die „Mauer“- Erklärung lautete: ‚Sozialismus ist mit Mauerbau unvereinbar. Daher schließt ein künftiger Demokratischer Sozialismus Mauern nicht allein aus, sondern Sozialisten würden eher auf ihn verzichten, ja , sich gegen einen solchen Sozialismus Widerstand leisten.‘ Ich gestehe, ich hatte in der Diskussion in der Kommission eine ähnlich elementare Formulierung vorgeschlagen, sie wurde – vermutlich – aus Kompromisserwägungen nicht übernommen. Wie es der ungarische Schriftsteller und Dissident Konrad in Antipolitik (1990) klassisch sagte: Wenn Demokratie und Sozialismus in Widerspruch geraten, dann muss der Sozialist halt für eine Zeit, bis der Widerspruch von der multitudo gelöst ist, den Sozialismus aufgeben, oder einklammern.
Das 20. Jahrhundert war ein Zeitalter der Extreme, wie der große marxistische Historiker Hobsbawm es auf einen Nenner gebracht hat; ein Zeitalter, das gewöhnliche Menschen, auch und gerade wenn ihre Gesinnung links war, überfordern musste. Wie ich es sehe, hat Brecht, dem Beschönigung des Faschismus wohl noch niemand vorgeworfen hat, mit größter Bewusstheit sein ‚Lob des Vergesslichkeit‘ in seinem Exil gedichtet: „Gut ist Vergeßlichkeit! In das alte Haus / ziehen die neuen Bewohner ein./ Wenn die es gebaut haben noch da wären/ Wäre das Haus zu klein. / Wie erhöbe sich ohne das Vergessen / der Spuren verwischenden Nacht der Mensch am Morgen? / Die Schwäche des Gedächtnisses verleiht / Den Menschen Stärke“.(33)

Würde man im Werk Semprúns ein durchgehendes Leitmotiv suchen, so wäre es Brechts ‚Wehe dem Land das Helden braucht‘ , wörtlich: „In einem guten Land brauchts keine Tugenden, alle könnten ganz gewöhnlich sein, mittelgescheit und meinetwegen Feiglinge.“ (Mutter Courage); klar, dass dem Politbüro der SED das Stück auch deshalb missfallen hat, diesen Helden des antifaschistischen Widerstands. Würde man weiterfragen, wie Semprún sein Leitmotiv theoretisch reflektiert, dann würde die Geistesverwandtschaft zu Benjamins scharfer Kritik am Historismus auffallen – aber hier ist nicht der rechte Platz dafür. Semprún selbst hat ein Jahr vor seinem Tod eine großartige Lösung gefunden: In seiner Buchenwaldrede(34) stellt er zwei Nichthelden in den Mittelpunkt. “ Am 11. April 1945 fuhr ein Jeep der amerikanischen Armee vor das Eingangstor des Konzentrationslagers Buchenwald. Zwei Männer sprangen herunter. […] Wir wissen nicht, was die beiden Amerikaner in jenem historischen Augenblick dachten. Aber wir wissen sehr wohl, dass sie mit Jubel und Applaus von den bewaffneten Deportierten begrüßt wurden, die damals am Eingangstor von Buchenwald Wache hielten. [Das KZ hatte sich selbst befreit] Wir wissen, dass sie wie Befreier gefeiert wurden. Und das waren sie, in der tat. […] Wir kennen ihre Namen. Die Zivilist hieß Egon W. Fleck und der Oberstleutnant Edward A. Tenenbaum. Laßt uns hier, auf dem Appellplatz von Buchenwald, fünfundsechzig Jahre später, auf diesem dramatischen Platz, diese beiden vergessenen und großartigen Namen wiederholen: Fleck und Tenenbaum.“ Und beim Lesen dieses Absatzes fiel mir plötzlich ein, was ich jahrzehntelang vergessen hatte, was m. W. zumindest bei der VVN nie erwähnt wird: Im Buchenwald-Schwur wird einzig der Name eines Politikers genannt. “ Wir gedenken an dieser Stelle des grossen Freundes der Antifaschisten aller Länder, eines Organisatoren und Initiatoren des Kampfes um eine neue demokratische, friedliche Welt. F. D. Roosevelt.“

Die Biographien Sempruns loben die Energie des Politikers und Dichters zu einer permanenten Selbstkritik, die niemals ins protestantisch-selbstverquälte umschlägt. Oder ins Selbstmitleid und zugleich Marktschreierische, wie bei Biermann, dessen Leistung bleibt, den Georg-Büchner-Preis, den ein genialer Jahrhundertlyriker wie Gottfried Benn als Erster erhielt, diesen Preis für lange, für sehr lange Zeit entehrt zu haben, dabei war jedem Menschen von Geschmack und Bildung – also genau nicht den käuflichen Tuis der Jury – der potentielle Preisträger wohlbekannt: Peter Hacks. Aber eigentlich wollte ich was anderes ausführen, da bellt im Radio der „Klassenfeind“, wie er früher tremolierte, dazwischen: Biermann mit tränenerstickte brüllender, alkoholisierter (?) Stimme im Deutschlandfunk (12.08) zur Mauer zu hören, führte in die vergangene kleinbürgerliche Welt von Schmierenkomödien zurück, und wie immer seine unanständige Vergewaltigung des Vaters : KZ! Arbeiter! Kommunist !! Jude !!!. Und was will er damit uns sagen: dass er die Gene seines Vaters hat – Seine „Rassenqualität“, an die er zu glauben scheint? Was hat sein Vater mit ihm zu tun? Biermanns Auslassungen müssen, so er im Millschen Sinne ein freies Individuum sein sollte, von ihm allein verantwortet werden, ohne seinen sentimentalisierten Familienclan (Oma Meume?). Was in Zukunft zählt, ist, dass wenn in einer anderen Kultur wie der beispielweise der chinesischen deutsche Gedichte auswendig gelernt werden, dann sind neben denen von Goethe, von Heine, – traue ich dem Urteil von Reich-Ranicki -, welche von Brecht darunter, nie auch nur eine Zeile von Biermanns Gestottere.

Wir Nachgeborenen haben unser eigenes Leben, wir lernen von unseren Vorfahren, ihre Schwächen zu vermeiden: „Auch der Haß gegen die Niedrigkeit / Verzerrt die Züge / Auch der Zorn über das Unrecht / macht die Stimme heiser.“ (Gedichte, S. 725) Wir lernen, wenn wir mit Nachsicht an die zum Heldentum gezwungenen Linken denken, nicht mehr zu hassen, sondern leise zu sprechen und Ziele zu stellen, die nicht in weiter Ferne liegen und in religiösen Vorstellungswelten verharren. Doch habe ich nicht gerade eben meine Stimme erhoben beim Biermann, den ich immer mit einem erheblich nützlicheren Kombinatsleiter der alten DDR verwechsle? Nun, a) der Mensch ist nicht konsequent, was Brechts Hauptthese für die Gattung und ihre Individuen ist, und b) hat der Verseverdreher in meinem Gebiet dilettantisch herumgetrampelt, mit dem schamlos unwissenden Aufsatz in dem Bekenntnis- und Glaubensband: Warum ich Marxist bin. Er brachte meine einigermaßen seit 1965 durchdachte Ablehnung der Gleichung rot=braun fast zu Fall, weil dieser unbelesene Prolet die Totalitarismustheorie angriff, und es sonst meine Faustformel ist, was derartige Trottel ablehnen, kann mit anderen Vorzeichen versehen, nur richtig sein.(35)

Es geht mir um was Grundsätzlicheres – wobei ein kläffender Biermann störte: nicht um Polemik, sondern um den Umgang mit Menschen und der Umgang mit sich selbst, die Selbstsorge. Aus der Kommunismusforschung will ich zwei Beobachtungen in diesem Zusammenhang aussuchen: 1. der Gestaltwandel der Revolutionäre nach der Revolution und 2. die Unabweisbarkeit von Zweifeln, die einzig durch eine politische Religion aufgehoben werden können: ein Rausch, der arge Kopfschmerzen hinterlässt. Eine politisch-theologisch verursachte Dauermigräne – vermutet Steffen Dietzsch.(36)

Nicht zufällig mit Blick auf Brecht An die Nachgeborenen schreibt Priestland: „Lenins ‚Partei neuen Typus’ beruhte auf der Erfahrung mit der konspi­rativen Politik in Russland und dem Bürgerkrieg. Sie entwickelte eine eigen­artige Mischung aus quasi-religiöser und militärischer Kultur und wurde zu einer fast sektenähnlichen Organisation, die ihre Mitglieder bekehren und zu Adepten der wahren sozialistischen Sache machen wollte. Und nachdem sie ihre Macht gefestigt hatte, richtete sie unter Stalin ihr Augenmerk auf eine andere ‚heroische’ Aufgabe: die Industrialisierung des Landes. Sie verstand sich selbst als Entwicklungsmaschine, welche die Bauern und andere ‚rück­ständige’ Gruppen vorwärts in die Modernität führen wollte. Dieses Verspre­chen dynamischer, aber disziplinierter Tatkraft war es, das die Eliten in vielen Entwicklungs- und Kolonialländern faszinierte. […]Tatsächlich waren Kommunisten ihrer Sache häufig dann am sichersten, wenn sie Teil einer revolutionären Bewegung gegen Autokratie und Imperialismus waren, insbesondere unter Kriegsbedingungen. Sich an die Regierungs-Situation anzupassen fiel ihnen weniger leicht. In der Anfangszeit ihrer Herrschaft strebten kommunistische Parteien im Allgemeinen eine radikale Gestaltung an, um die Gesellschaft in den Kommunismus zu katapultieren, häufig mit kriegsähnlichen Methoden. ‚Der Krieg … der Krieg’, vertraute Che Guevara dem Dichter Pablo Neruda an. ‚Wir sind immer gegen den Krieg, aber wenn wir einmal Krieg geführt haben, können wir nicht mehr ohne Krieg leben. Wir wollen alle Augenblicke zu ihm zurückkehren’.“ (37)

Die andere Beobachtung teilt Brown mit, der die Memoiren des begabtesten marxistischen Ökonomens Ungarns, Kornai, in seine Argument einbaut: „Dennoch kam der erste Anstoß zu einer Neuausrichtung oft nicht von Regimegegnern, sondern von Personen, die in gewissem Sinn »in der Ideologie beheimatet« waren. Kornai nimmt Bezug auf eine Zeit, in der er noch »zur Hälfte oder zu drei Vierteln Kommunist war«, und erklärt: ‚Ein Mensch, der sich in einer ähnlichen geistigen Verfassung wie ich zu jener Zeit befindet und Zweifel hegt, wird nicht von The­sen beeinflusst, die den bis dahin von ihm verfochtenen Vorstellun­gen kategorisch widersprechen, nein, er wendet sich nicht jenen Autoren zu, die die kommunistische Partei von außen attackieren.’ […] Viele Reformer in den Reihen der Einheitsparteien brachen schrittweise mit der kommunistischen Orthodoxie. Zunächst wurden sie sich der Grausamkeit des Stalinismus bewusst, auch wenn sie weiterhin glaubten, dass die kommunis­tische Partei ein Machtmonopol haben sollte und dass sich alles zum Guten wenden würde, sofern man zu den Grundsätzen des Leninis­mus zurückkehrte. Doch viele dieser Personen erreichten im Lauf der Zeit einen Punkt, an dem sie, wie Kornai erklärt, ‚begriffen, dass das reale System, das sich in der Sowjetunion und den übrigen kommu­nistischen Staaten entwickelt hatte, nicht nur Stalins, sondern auch Lenins und sogar einigen von Marx‘ grundlegenden Vorstellungen entsprach’.“ (38)
Ich gelange zu zwei Schlussfolgerungen: Wir haben es hier mit weiteren soziologischen Gesetzen zu tun, von den uns einige vertraut sind.(39)

Unsere 2 Beobachtungen haben folgende Konsequenzen:

1) Es wäre sinnlos, in einer Revolution, die zudem arg aufwendig ist, – J. Burckhardt: So viel Lärm und dann das Ergebnis – die Dinge radikal zu wenden, also den Kapitalismus zu überwinden, weil der menschliche Makel danach ein Personal bevorzugen würde, was sowohl zur politischen Herrschaft wie zur rationalen Verwaltung der Sachen ungeeignet ist, jedenfalls für eine demokratische-sozialistische Gesellschaft. [Und die VR China nachzuahmen, sind wir doch eher außer Stande] Daher ist in der Tat für unsere westliche Zivilisation das Ende der politischen Geschichte erreicht: die Unhintergehbarkeit des Pluralismus, des politischen Codes von Regierung und Opposition und der symbolischen Politiken von Wahlen, ferner die Erfahrung, dass selbst mit zweidrittel Mehrheiten nicht Verhältnisse gegen das Interesse der multitudo verändert werden sollten noch könnten. Wir verbeugen uns vor dem kämpferischen Demokraten – und Weimarer Sozialisten Ernst Fraenkel: Pluralistische Demokratie, gleich ob mit Elementen der direkten Demokratie angereichert oder nicht, ist die Lösungs- und Bewegungsform für die soziale Frage, als aktive Demokratie!(40)

2.) Weil uns Marx nicht vor Lenin oder Stalin retten kann, – es rettet uns kein höheres Wesen – muss eine moderne Partei ohne jeden Wahrheitswillen leben, wie der amerikanische Philosoph Rorty definiert: Demokratie ist im politischen Feld ausschlaggebend, nicht die (wissenschaftliche oder philosophische) Wahrheit. Mehrheit statt Wahrheit! In einer Partei DIE LINKE kann Mitglied sein, wer nicht eine Zeile von Marx und Engels kennen will, es darf auch nicht zur Nachhilfe verdonnert werden, in ihr müssen Politiken formulierbar sein, die ohne diese Altväter – Luxemburg zählt dazu, sie wollte wie Lenin die treue Wiederholerin in der Dogmatik unserer Klassiker sein – gedacht werden müssen. Die LINKE braucht keinerlei (antifaschistische) Helden mehr, sie braucht genauso keine heroische Ideenentwürfe („Kapitalismus muss weg“). Jan Korte erinnert sich im ND ( 6.8. 2011) an seine ihn bestimmende Lektüre von Walter Jankas Essay: Schwierigkeiten mit der Wahrheit, und er zitiert daraus: “ Um neu zu beginnen, muss das Alte überwunden werden. Was nicht von selbst stürzt, muss man abtragen. Aber mit dem Abtragen allein ist es nicht getan. Man muss auch wissen, worin das Neue besteht, wie es besser zu machen ist“. Zum Neuen gehört, dass wir uns glücklicherweise nicht wie Janka als Kämpfer in einem Bürgerkrieg wie in Spanien 1937 bewähren brauchen (41), nicht wie Semprún im Untergrund illegal ein faschistisches Regime überwinden müssen: Dieses gehört zu der Vergangenheit, die tatsächlich vergangen ist. Janka, der in seinem Essay über sich in der dritten Person schreibt, um jede Heldenpose zu verhindern, reflektiert in der Passage vor der hier zitierten. “ „Die endlose Einsamkeit zwang Janka, darüber nachzuden­ken, ob er seiner Partei noch folgen kann, die ihn zu einem so unwürdigen Leben verurteilte. […]Nie zuvor, auch in der Nazizeit nicht, war er so verbittert wie in dieser elen­den Zelle, in der er täglich vierundzwanzig Stunden über seine Vergangenheit und Zukunft nachdenken mußte. Er wollte und konnte nicht begreifen, warum sie ihn so behan­delten. Er hätte es auch dann nicht begriffen, wenn er schuldig gewesen wäre. Tausend Fragen drängten sich ihm auf. Das ganze Gebäude seiner so fest gefugten Gedanken­welt brach in sich zusammen. Er stand vor einem wüsten Trümmerhaufen. Wie nach einem verlorenen Krieg. Auf­geben oder neu beginnen“.(42)

Wiederholen und unterstreichen wir: Er hätte es auch nicht begriffen, wenn er schuldig gewesen wäre. Das ist der entscheidende Punkt! Wegen einer anderen Meinung jemand einzusperren, ist der eigentliche Skandal und es ist ein Pyrrhussieg der DKP & VVN, den Bundestag zu einem guten Gewissen verholfen haben, noch so absurde politische Meinungen zu verbieten und es ist erwartbar, wenn nicht schon bei CSU/CDU oder bei Stasibewältigungsbeamten wie Hubertus Knabe oder Birthler und Nachfolge, dauerndes Begehren, bestimmte Meinungen über die DDR-Geschichte gleichfalls juristisch zu belangen.(43) Kommen wir zu unserem Hauptgedanken zurück: der demokratische Sozialismus ist das Projekt von uns normalen Menschen, welches keine Helden wie Semprún oder Janka benötigt, keine Avantgarde, keinen Lenin/Trotzkischen ‚Demokratischen Zentralismus‘. Hören wir Ziffel, – einen bekennenden Nichthelden, weil mit Glück im Exil, nicht im KZ(44) – in Brechts Flüchtlingsgesprächen:
…. „jeden Tag wird eine neue Tugend erfunden. Damit man zu einem Sack Mehl kommt, braucht man eine Energie, mit der man früher den Boden einer ganzen Provinz hätte urbar machen können. Damit man herausbringt, ob man schon heut fliehen muß oder erst morgen fliehen darf, ist eine Intelligenz nötig, mit der man noch vor ein paar Jahrzehnten hätte ein unsterbliches Werk schaffen können. Eine homerische Tapferkeit wird gefordert, damit man auf die Straße gehen kann, die Selbstentsagung von einem Buddha, damit man über­haupt geduldet wird. Nur wenn man die Mensch­lichkeit von einem Franz von Assisi aufbringt, kann man sich von einem Mord zurückhalten. Die Welt wird ein Aufenthaltsort für Heroen, wo sollen wir da hin? Eine Zeit lang hats ausgesehn, als ob die Welt bewohnbar werden könnt, ein Aufatmen ist durch die Menschen gegangen. Das Leben ist leichter geworden. Der Webstuhl, die Dampfmaschine, das Auto, das Flugzeug, die Chirurgie, die Elektrizität, das Radio, das Pyramidon kam und der Mensch konnte fauler, feiger, wehleidiger, genußsüchtiger, kurz glücklicher sein. Die ganze Maschinerie diente dazu, daß jeder alles tun können sollte. Man rech­nete mit ganz gewöhnlichen Leuten in Mittelgröße. Was ist aus dieser hoffnungsvollen Entwicklung ge­worden? Die Welt ist schon wieder voll von den wahnwitzigsten Forderungen und Zumutungen. Wir brauchen eine Welt, in der man mit einem Minimum an Intelligenz, Mut, Vaterlandsliebe, Ehrgefühl, Ge­rechtigkeitssinn usw. auskommt und was haben wir? Ich sage Ihnen, ich habe es satt, tugendhaft zu sein… .“(45)
Der fiktive Arbeiter Kalle, schlägt dem Intellektuellen Ziffel vor, diesen Zustand doch Sozialismus zu nennen (161). Wie spannend wäre es jetzt den realen Sozialismus daraufhin abzuklopfen, was er alles an Brechtscher Antizipation nicht negiert hat – doch ein ander Mal. Jetzt möchte ich die Texte in Alles auf den Prüfstand“ nach ihren Antworten auf das gescheiterte Experiment befragen. „Nur belehrt von der Wirklichkeit, können wir / Die Wirklichkeit ändern“ (Maßnahme); aber dagegen: „Die Zuschauer bei Katastrophen erwarten ja zu Unrecht, dass die Betroffenen daraus lernen werden.“(46) Gegen eine bis heute gern gesehene Aschenbuttel-Illusion, „die guten ins Töpfchen, die schlechten ins Kröpfchen“ ist eine klare Logik nicht zu unterschätzen: „ Die Verabsolutierung einer Seite zerhack­stückelt das Ganze, die gesellschaftliche Lebensqualität, Die ‚guten Seiten’ der DDR waren ohne ihre ‚schlechten’ nicht zu haben. Zum sicheren Arbeitsplatz gehörte die der Sicherheit zugängliche Kaderakte, das Wohnungsbauprogramm gab die Altstädte dem Verfall preis, liebevolle Krippetanten organisierten diszi­plinierendes ‚Topfen’. Selbst die penibelste Auswertung von Dokumenten und Berichten der Zeitzeugen bringt nicht mehr zustande als eine Geschichte, wie sie gewesen sein soll.

‚Verklärung’ der DDR ist ursächlich die Reaktion auf verlorene Bodenhaf­tung. Die Einforderung sozialer Sicherheiten mittels des Verweises auf frühere ‚Errungenschaften’ trägt nicht weit. Was organischer Bestandteil einer ande­ren Gesellschaft war, kann nicht entnommen und ins Bestehende transplantiert werden. Die bürgerliche Gesellschaft reklamiert, Hort der Freiheit, Demokratie, Menschenrechte und Chancengleichheit zu sein. Nehmen wir sie beim Wort“ (Marxhausen, 1.11.2008, 136)

Achtzehn Jahre zuvor bringt Thomas, der Sohn von Jürgen Kuczynski, den Ausgangspunkt in der vertrauten Diktion seines Vaters in die Debatte: „Die Niederlage des Realsozialismus in Osteuropa war die historisch notwendige Vorbedingung für den Aufschwung der sozialistischen Bewegung in Westeuropa“ (90;27). In der frühen Erklärung zum Mauerbau vom 13. August 2001 ist der Parteivorstand der PDS erfreulich eindeutig. „Der Sozialismus, für den wir eintreten, gründet sich auf den Werten von Freiheit, Gleichheit und Solidarität. … Wir sind eine sozialistische Partei, die sich zu Demokratie und Pluralismus bekennt.“ (125) Ganz anders die KPF-Ikone Wagenknecht: „Das gesellschaftliche Eigentum wurde in kapitalistisches rückverwandelt; die sozialistische Macht wurde durch eine bürgerliche – die Macht der Banken und Großkonzerne -ersetzt. Das heißt, die in der DDR erreichten sozialistischen Veränderungen wurden zurückgenommen. Genau dafür steht der Begriff Gegenrevolution.“(107)(47)

Mit dieser wunderschönen Phrase, Rückverwandlung der sozialistischen Eigentumsverhältnisse als Konterrevolution, wird ganz nebenbei über die Arbeiterinnen geurteilt, sie hätten sich faktisch konterrevolutionär verhalten, zumindest manipulieren lassen, denn es gibt empirisch kaum massenhaften Widerstand gegen die Treuhand-Privatisierungen, sondern es wird vor allem die Frage umgangen, warum der Kapitalismus der BRD das der DDR gegenüber effektivere ökonomische System war. Dabei war die Antwort Hundertemal in der DDR in Lehrbüchern wie Wissenschaftlicher Kommunismus oder Politische Ökonomie des Sozialismus gegeben worden mittels eines kanonischen Zitats. Für Lenin war die „Arbeitsproduktivität in letzter Instanz das allerwichtigste, das ausschlaggebende für den Sieg der neuen Gesellschaftsordnung. […] Der Kapitalismus kann endgültig besiegt werden und wird dadurch endgültig besiegt werden, dass der Sozialismus eine neue, weit höhere Arbeitsproduktivität schafft“ (Die große Initiative (1919).(48) Nie war Lenin dem Zentrum der Marxschen Theorie, dem ‚Kapital‘ , näher als mit dieser Feststellung! Verständlicherweise tastend versuchen im Prüfstand-Band verschiedene Autoren sich die ökonomische Überlegenheit des Kapitalismus und die Unterlegenheit des Sozialismus zu erklären.
* „Ein völlig vereinfachtes Kapitalismusbild, welches die Potenzen des modernen Kapitalismus nicht wahrnahm“ (Schumann, 22)
* Ein Marxismus-Leninismus, der keinerlei wissenschaftliche Substanz mehr herausbrachte, „unfähig, diese Gesellschaft wirklich geistig anzuleiten…Zuletzt war er so brav geworden, daß ihn keiner mehr ernst nahm“ (Mocek 68/9)
* Der Machtapparat greift “ zu Methoden, gegen die die Arbeiterbewegung während des ganzen Kapitalismus zu Felde gezogen ist“ (Klenner 97)
* Selbst der positivste Beitrag zur DDR im Buch, der von Christa Luft, räumt ein: “ Das ökonomische Wachstum war gegenüber vorangegangenen Zeiträumen abgeschwächt, die Akkumulation rückläufig. Die Auslandsverschuldung schwoll an, ein immer größer werdendes Inlandsprodukt musste für die Devisenerwirtschaftung aufgewendet werden, um den Schuldendienst zu leisten“ (Luft 142/3)
* Und Michael Brie sieht daher eine neue Perspektive, die nicht zur zentralsozialistischen Bürokratie zurückkehren will in: „Mehr Demokratie und nicht weniger, nicht Zerschlagung des Unternehmertums, sondern mehr ökologische und soziale macht sind einzufordern.“ (104)

Beide nehmen darin Gedanken von Fritz Behrens(49) auf, die sich unter dem Schlagwort „Wirtschaftsdemokratie“ in epischer Breite im Programmentwurf nunmehr besichtigen lassen. Die frommen Wünsche über die modern (modisch?) jetzt lieber Vergesellschaftung genannte Verstaatlichung wage ich nicht anzuzweifeln; wie man im Kapitalismus es fertig bringt, nicht nach dem Profitkalkül der „engen (?)Profitinteressen“ (1020) privater Unternehmen durch die öffentliche Hand zu wirtschaften? Was unterscheidet die von den hypertrophen Betriebswirtschaftsfunktionären der produzierenden Nation, wie sie Ruben beschrieben hatte? In den Dutzenden von Absätzen über dieses Thema, die über den Entwurf verstreut sind, mag ich was übersehen haben, doch das ist vielleicht der Schlüsselsatz: „Wirtschaftliche Entwicklung darf nicht nur dem Markt und den Unternehmen überlassen, sondern muss in ihren Grundrichtungen demokratisch gesteuert werden. (1179) Neben Steuerung der Wirtschaft durch die Politik soll die Politik gleichzeitig von den Beschäftigten, die „realen Einfluss auf die betrieblichen Entscheidungen“ bekommen sollen (1086) gesteuert werden. Ich möchte zu der Utopie doppelten Kontingenz-Steuerung und einer hyperkomplexe Zweitcodierung als Soziologe schweigen – die Leserin wird dankbar aufatmen, von invisibilisierter hypocrisy verschont zu bleiben! – und allein die freche These hinwerfen: Alle im Programm genannten, gewünschten Formen von Wirtschaftdemokratie und die, die im Finanzbereich und in der Energiewirtschaft (1094) staatliche Verfügungsmacht ausmachen, unterstellen, wenn die politische Kontrolle überhaupt Sinn machen soll, eine Einparteiendemokratie oder mindestens 50% Mehrheiten im Mehrparteiensystem, weil sonst alle politischen Kontroll- und Steuerungsinstrumente nicht funktionieren: Die je gebildeten Gremien (politische Romantiker in der Partei wie mir bekannte in der Historischen Kommission sagen heimlich errötend: Räte) müssen nach den Regeln eines demokratischen Pluralismus je nach Wahlergebnis zusammengesetzt werden: RWE oder E-On oder Deutsche Bank wären so gesteuert durch CDU/CSU/SPD (Asmussen wäre als Vorsitzender eines Gesamtvolkswirtschaftsrats der Superkandidat!), weiter durch 12 oder sagen wir optimistisch 18 % LINKE, doch ebensoviel Prozente hätten die Neo-Liberalen, fein aufgeteilt zwischen den Grünen und der Rest-FDP – die ihr jeweiliges Wirtschaftklientel bedienen.

Daher reichen mir, bis die LINKE in Baden-Württemberg und in Rheinland-Pfalz signifikant mehr als 3% haben werden, fürs erste ein paar wenige Forderungen, für die der Entwurf aber keinen Raum hat, sie näher zu behandeln; weder ihre gesellschaftliche Klassenkampfdynamik noch ihre Politiken, weder Strategien (Gramscis Hegemonie) noch Taktiken (originellere Formen von Protest).
Es reicht der Commonsense, die Lage der Unterklasse und der unteren Mittelschichten ist mies, sie muss und kann verändert werden. Mit ihnen, also mit den dynamischeren Teilen der multitudo gemeinsam und unter Diskussion und oft: Annahme ihrer Vorschläge. Mit Mitleid Empfindenden aus den anderen bürgerliche Schichten: Leo Kofler nannte diese Bündnisoption trefflich progressive Elite.

Um mich zu wiederholen: All das braucht nicht eine Lektüre von Marx bis all den klugen Köpfen, die ihre Spuren im Entwurf zum Parteiprogramm hinter lassen haben, weder Wissen noch Halbwissen. Obwohl nach Adorno ja wohl Halbbildung Signum des Zeitalters ist. Ich werde jetzt bestimmt bewusst mißverstanden: es ist mir klar, dass die meisten Mitglieder wenigstens halbgebildet aus marxistischen Denktraditionen kommen und darauf stolz sind. Von mir aus! Es kann ja nicht schaden und ich bin mit Michael Benjamin einer Meinung: „Wir müssen miteinander in der Partei leben können. Ich wiederhole, was ich auf dem Parteitag gesagt habe: Es muß in der PDS möglich sein, über Trotzki, Stalin, Mao und andere sachlich, ohne Schaum vor dem Munde, ohne vorherige Entschuldigungen und allemal ohne die Befürchtung, parteiliche Mißbilligun­gen verpaßt zu bekommen, mit der gleichen Unbefangenheit zu diskutieren wie über Lassalle, Kautsky und Bernstein, Friedrich Ebert d. A., Philipp Scheidemann oder Gustav Noske“ (94).

Vielleicht noch wichtiger als die Öffnung der Diskussion vergangner Ideenschlachten und das Erstaunen, wie theoretisch überlegen Eduard Bernstein war, wie sehr Ebert und Scheidemann als Demokraten den sektiererischen Räte-Phantasten überlegen waren, ist das Nachdenken über einen zentralen Gedanken aus Michael Schumanns Rede: Wir brechen unwiderruflich mit dem Stalinismus als System! : „Dabei wurden oft Zitate der Klassiker missbraucht, auch beliebig ausgetauscht, um die gerade gängige Politik der Füh­rung zu rechtfertigen. Einschätzungen und Äußerungen Lenins zu bestimmten konkret-historischen Situationen wurden aus dem Zusammenhang gerissen und dogmatisch auf andere Situationen übertragen. Mithin gehört auch die Verlogen­heit zum Wesen des Stalinismus. Stalinismus bedeutete Demoralisierung und Entartung des geistigen Lebens sowie Zerstörung menschlicher Werte. […] Aus dieser Position resultiert die Erkenntnis der Notwendigkeit und Möglich­keit, und diese Erkenntnis ist sehr aktuell, sozialistische Politik als Lebensform des denkbar breitesten Bündnisses aller Kräfte des Volkes zu entwickeln, nieman­den auszugrenzen und immer den demokratischen Konsens und Kompromiss zur Verwirklichung der Interessen und Ansprüche der Menschen anzustreben. Dieses Bündnis, das die sachliche Auseinandersetzung stets einschließt, wurde oft nicht offen und ehrlich gesucht und durch Arroganz und Monopolisierung zerstört“. (17)

Für die Sammlung der Texte können wir Gesine Lötzsch dankbar sein, auch, weil sie die unterschiedlichen Flügel der Partei fair behandelt. Wer sonst hätte André Brie erneut publiziert? …“daß antifaschistische Positionen in vielen Fällen formal blieben oder ebenfalls eine Form der Verdrängung eigener Verantwortung waren“ (57). Noch mutiger ist der Wiederabdruck von Dietmar Kellers Vortrag in der Enquête-Kommission am 22. Januar 1993.: Die Machhierarchie der SED (76-85). Ob die gegenwärtige Partei mit der alten SED gar keine Ähnlichkeiten mehr hat, kann ich als jemand, der diese nur vom Rand aus, als parteiloser Kandidat für die Kommunalwahlen in Hannover im September – wahrnimmt, nicht beurteilen. Doch lese ich verwirrt & ratlos Kortes Philippika, welcher sich ja in der gegenwärtigen Lage der Partei DIE LINKE auskennt. „Bruch mit dem Stalinismus als System, das bedeutete für mich den Bruch mit einem dogmatisch-autoritären Sozialismus, mit dem Denken in simplen Freund-Feind-Kategorien, mit dem – meistens lauthals – verkündeten Anspruch, im Besitz der absoluten Wahrheit zu sein. Es bedeutet auch den Bruch mit dem verheerenden Aufspüren von innerparteilichen Abweichlern, mit dem Glauben, von Feinden umzingelt zu sein, sich von der Gesellschaft abzukapseln und zu verbalradikalisieren und letztlich den Bruch mit einem Denken, welches Kritik nicht als Wert an sich begreift“. (ND 6.8.11)- Vielleicht ist also Kellers Beitrag nicht veraltet, der ‚persönliche Lernprozesse‘ nachvollziehbar macht und eine Anregung dafür ist, „sich gründlicher mit dem Woher der PDS als einer der beiden Quellparteien der LINKEN zu befassen.“ (Lötzsch, S.9).

Der Schluss der Serie erscheint Ende September, entweder als Teil IV oder separat unter dem Titel „Was ist Kommunismus nach dem Kommunismus“: Wege zu einer radikalen Demokratie.


(23) Franziska Augstein: Von Treue und Verrat. Jorge Semprún und sein Jahrhundert. München 2008, S. 145. Von ihr leider übersehen wurde: Richard Faber: Erinnern und Darstellen des Unauslöschlichen. Über Jorge Semprúns KZ-Literatur. Berlin 1995.
(24) Die Welt der Politik „ ist wie geschaffen für die Oberflächlichen. Man kann heute fast nicht gründlich sein. Wenn das schon in der Opposition so ist, ahne ich, wie der Terminkalender eines Ministers aussieht. Man ist gejagt von einem Termin zum nächsten. Wenn man sich diesem Alltag unterordnet, bleibt kaum Raum für eigenständige Gedanken. Am Ende kommt genau die Art Politik dabei heraus, die wir heute haben: nichts Neues, nichts Kreatives, nur noch Verwalten und Auf-Zeit-Spielen. […] Wenn man wie ein Hamster im Rad läuft, sieht man irgendwann tatsächlich keine Alternativen mehr. […] Es ging nur darum, irgendwo dabei zu sein, und überhaupt nicht mehr darum, eigene Gedanken zu fassen. Ich habe dann die Notbremse gezogen und meine Termine deutlich reduziert. Nur so habe ich es geschafft, trotz Mandat ein neues Buch zu schreiben.“ Interview Wagenknecht DIE ZEIT, 25.07.11. Ob sich wirklich gelohnt hat, für dieses Buch, Freiheit statt Kapitalismus Zeit zu gewinnen, bezweifelt nachhaltig die lange Rezension von Harry Nick in Z 187 (erscheint September 2011).
(25) Kurt Tucholsky 1928: „Die deutschen Kommunisten sehen vielfach die gute Hilfe nicht, die ihnen von den Intellektuellen dargebracht werden kann, und sie haben eine seltsame Auswahl getroffen: sie sind durchsetzt mit schlechten, verkrachten, viertrangigen Intellektuellen, und die sind es, die gegen den Geistigen und das Geistige in der Partei wettern …“, zitiert nach: Thomas Marxhausen: „Er hat Vorschläge gemacht“ – Was ist daraus geworden? Zum 110. Geburtstag von Bertolt Brecht. Berlin Helle Panke [Phil Gespräche 11], 2008, S. 18. Nach dem Freitod von Marxhausen (2010) wurde mir die erschreckende Präsenz seiner Brechtbetrachtung schlagartig bewusst – Marxhausens intellektuelles Testament.
(26) Semprún Vorwort in: Fernando Claudin: Die Krise der Kommunistischen Bewegung. Band 1. Berlin 1977. S. 11
(27) The past is never dead. It’s not even past. – Wer den Kontext beachten möchte – da ich mich bei William Faulkner recht gut auskenne, schaue nach in seinem Roman, Requiem für eine Nonne. Darmstadt 1958, S. 93. (Die Nonne ist eine „Niggerhure“ – und es geht um Vergangenheit, die oft tot ist, zuweilen aber eben: nicht.)
(28) Augstein, ebd. S. 287
(29) Jorge Semprún: Federico Sánchez. Fkf./M, Berlin, Wien 1981 [zuerst 1978] Sánchez ist sein Kampfname im spanischen Untergrund [ – ich bin sehr glücklich, ausgerechnet dieses Buch mit Semprúns Autographen zu besitzen!] Danach zwingt ein verdrängter Name. Sich an die zeit vor seiner ersten illegalen Reise nach Spanien, vor seiner Wahl ins ZK zu erinnern. Der Name ist Josef Frank, der bei der Buchenwald- Befreiung im Lagerkomitee. Er wurde von seiner sozialistischen Staatsmacht 1952 im Slansky-Prozeß zum Tode verurteilt und hingerichtet. (Zum Pseudoprozeß Faber , a.a.O., S., 111.). Semprún zwingt sich zur Erinnerung: „In Franks Fall verpestete die furchtbare Wahrheit sei­ner Unschuld mit ihrem schwarzen Gestank die ganze moralische Umwelt deines ideologischen Hokuspo­kus. Denn diese Wahrheit kam aus dir, aus deinen Er­fahrungen, deinem Innersten. [151 Josef Frank, dein Genosse aus Buchenwald. Auf den ersten Blick war er kühl und zurückhaltend, stellte sich aber als ein Mann voller Zärtlichkeit, Lebensfreude und gelassener, toleranter Standfestigkeit heraus, sobald man wie du die Schranke durchbrach, mit der er sein Inneres be­schützte. An diesem Herbsttag also wußtest du, daß Frank unschuldig war, erkanntest du, daß sowohl die Anklage gegen ihn als auch sein eigenes Geständnis falsch waren. In einer Art ekligen Schwindelgefühl ahntest du, welche Folgen Franks Unschuld haben würde. Wie ein Tropfen Säure würde sie an allem fres­sen, was du gesichert glaubtest. Auch wenn du ein stalinisierter Intellektueller warst, lebtest du doch nicht völlig abgeriegelt im ideologischen Universum des da­maligen Kommunismus. Du kanntest das Werk eini­ger Abweichler. Hattest etwa Boris Souvarine’s Stalin-Biographie gelesen, ein hervorragendes Buch, das heute wieder neu erschienen ist, aber schon in seiner ersten Auflage in der Bibliothek deines Vaters stand. […In den] Analysen konnte manches wahr sein, immer von dir geschoben und dein Urteil in Erwartung besserer Zeiten vertagt. einer pseudo-hegelschen Dialektik: die angenommene Totalität der orthodoxen Wahrheit wog schwerer als diese Lügen­splitter oder partiellen Fehlleistungen. In Franks Fall allerdings nützte dir diese Verstandesakrobatik nichts. In Franks Fall verpestete die furchtbare Wahrheit sei­ner Unschuld mit ihrem schwarzen Gestank die ganze moralische Umwelt deines ideologischen Hokuspo­kus. Denn diese Wahrheit kam aus dir, aus deinen Er­fahrungen, deinem Innersten. […] in Buchenwald warst du und teiltest dort das Lagerle­ben mit Josef Frank. Nichts und niemand konnte dich überzeugen, daß Frank Gestapoagent war. Trotzdem sagtest du nichts. Du schleudertest niemandem Franks Unschuld, die falsche Anklage entgegen. Hättest du es getan, wärst du mit Sicherheit aus der Partei ausge­schlossen worden. Und da entschiedst du, in der Partei zu bleiben. Du wolltest lieber mit der Lüge der fal­schen Anklage gegen Frank in der Partei als mit der Wahrheit seiner Unschuld außerhalb der Partei leben.“ 150/1. 1963 wurde Frank, stellvertretender Parteisekretär bei seiner Ermordung. von der Partei – und Staatsführung der CSSR rehabilitiert.
(30) Gedenkstätte Buchenwald (Hrsg.): Konzentrationslager Buchenwald 1937-1945. Göttingen 1999, S. 147.
(31) Eine andere Formulierung wurde akzeptiert, Punkt 6: „Die Mauer hatte Bonner und Westberliner Politikern die dreigeteilte Lage Deutschlands vor Augen geführt. In den Folgejahren akzeptierten Teile der westdeutschen Eliten – auch im eigenen Interesse – die Möglichkeit einer sich im Idealfall reformierenden, zumindest doch im Großen und Ganzen prosperierenden DDR. Sowohl für die politische Klasse der Adenauer-Zeit als auch für die veröffentlichte Meinung bedeutete der Mauerbau die sichtbare Bestätigung ihrer antikommunistischen Propaganda. Was anderes hatte man von der DDR gar nicht erwartet, weshalb der Bundeskanzler erst nach erheblicher Verzögerung Westberlin pro forma einen Kondolenzbesuch abstattete. Auch von der kleinen bürgerlichen Opposition und von Teilen der Gewerkschaftsbewegung wurde der Mauerbau zwar nicht begrüßt, aber akzeptiert. Endlich konnte realistisch über die Zukunft der Bundesrepublik diskutiert werden, und die mythische Formel „Deutschland, dreigeteilt niemals“ sukzessive kritisiert und mit der Entspannungspolitik obsolet gemacht werden“.( http://www.die-linke.de/partei/weiterestrukturen/berufenegremien/historischekommission/erklaerungenundstellungnahmen/zum50jahrestagdesbausderberlinermauer/) – Meine These der allmählichen wie nachhaltigen Zerbröckelung, Zerbröselung der Mauer vor dem 9. November verdanke ich Peter Bender: Zweimal Deutschland. Eine ungeteilte Nachkriegsgeschichte 1945-1990. Stuttgart 2009, bes.. 220ff. . Bollinger, der die Erklärung strukturiert hat, hat sich ausführlich zu Wort gemeldet: Stefan Bollinger: Der Sieg, der eine Niederlage war – 50. Jahrestag des Baus der Berliner Mauer [Reihe Standpunkte. H. 23/]. Rosa-Luxemburg-Stiftung Berlin 2011. –Trotzdem: die geschichtswissenschaftliche Verarbeitung stößt an die Grenze ihres narrativen Selbstverständnisses – sie ist zu alltagssprachlich. Zudem hat die (gesamt)-deutsche Historikerzunft keine Befähigung mehr, und schon keinen intellektuellen Mut mehr im Sinne Leopold Rankes Geschichte denken zu können. Ranke als unbegriffenes Vorbild für marxistische Geschichtsschreibung, siehe: Manfred Lauermann: Ein melancholischer Marxist: der Historiker Walter Markov. In: Der Universaltheoretiker Walter Markov. (Beiträge des achten Walter-Markov-Kolloquiums) Leipzig; Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen 2011, S. 107-122.
Wie man über den Gegenstand analytisch, quasi im Geiste Rankes – urteilen kann, ist von dem Soziologen Luhmann zu lernen. „Nicht nur gemeinsamer Glaube, sondern auch gemeinsame Indifferenz oder gemeinsame Ausweglo­sigkeit können dazu führen, daß die Macht eines politischen Systems sich in der Form von legitimen, fraglos akzeptierten Entscheidungen ausmünzen läßt. Man braucht diesen erweiterten Legitimitätsbegriff zum Bei­spiel, um jenen seltenen Fall eines unbeabsichtigten Experi­mentes analysieren zu können, das die Deutsche Demokrati­sche Republik in dieser Frage unternommen hat. Solange ihre Grenzen nach Westen hin offen waren und jeder, der blieb, freiwillig blieb, konnte sie die Legitimität ihrer Entscheidun­gen in der Tat nur auf eine persönlich zurechenbare Gesin­nung stützen. Es gab die Möglichkeit auszuweichen in einem Umfange, der das normale ius emigrandi weit überschritt. Der einzelne war dadurch gleichsam vorläufiger Staatsbür­ger auf Widerruf und nahm das politische Regime, sofern er es nicht in seinen Prinzipien bejahte, doch jedenfalls durch eine persönlich zurechenbare Entscheidung in Kauf. Gerade diese Abhängigkeit von persönlicher Motivation, Gesinnung eingeschlossen, ergab keine ausreichende Basis der Legitima­tion. Die für große Verwaltungssysteme erforderliche Ent­scheidungssicherheit kann nicht allein auf Gesinnung oder auf andere persönliche Motive welcher Art immer gestützt werden, weil die sozialen Mechanismen der Habitualisierung und Verselbstverständlichung nicht Platz greifen, wo ein Verhalten als freiwillig, als persönlich bedingt und damit als variabel erlebt wird. Der 13. August 1961 hat eine ande­re Situation geschaffen und in seinen faktischen Folgen das Legitimitätsbewußtsein in Richtung auf ein unpersönlich­fragloses Akzeptieren gewandelt. Seitdem braucht niemand ein »normales« Verhalten zum Staat vor sich oder vor ande­ren als persönlichen Entschluß zu rechtfertigen. Auch von denen, die den Prinzipien des politischen Regimes innerlich Konsens verweigern, wird die Geltung der Entscheidungen nicht bestritten und als Geltung, also nicht nur freiwillig anerkannt. Es entsteht eine Staatsgesinnung, die kein ideo­logisches Bekenntnis voraussetzt. Daß solche Bekenntnisse verlangt und veranstaltet werden und daß auch das zum Ak­zeptieren von Entscheidungen gehören kann, ist eine ande­re Sache. Die einmalige Chance, einen Staat auf persönliche Gesinnung zu gründen, ist am 13. August 1961 aufgegeben worden“. Niklas Luhmann: Politische Soziologie. Berlin 2011, S. 104/5 (hrvh. ML)
(32) Jürgen Hofmann und Lothar Bisky in dem Buch, das Lafontaine als Vorlage für seine Höhenflüge nahm (Tl. I), was er gerade nicht rezensierte; Gesine Lötzsch (Hrsg.): Alles auf den Prüfstand! Texte zur DDR-Geschichte im ‚Neuen Deutschland‘. Berlin 2011 (Verl. ND).: S. 127, Hofmann & S. 73, Bisky.
(33) Brecht, Gedichte (wie Anm.21 ), S. 528/9
(34) Semprúns Buchenwaldrede: http://mittenwald.blogsport.eu/2010/04/15/jorge-semprun-rede-in-buchenwald/
(35) Fritz J. Raddatz: Warum ich Marxist bin. München 1978; nach seinen ihm als Fetische herumgeschwenkten Todesziffern, 6 Millionen Juden – Hitler / 20 Millionen Sowjetbürger: Stalin (12.08.: Der Historiker Biermann hat sogar nachgelernt; neben den 6 Millionen erwähnt er jetzt „eine halbe Million „Zigeuner“, dafür ist Stalin bei 80 Mill. gelandet und stellt selbst Mao weit in den Schatten); früher allerdings, vor seinem rasanten Lernen, Biermann in O-Ton: „Aber was sagen schon diese Zahlen? Nein! Faschismus war und ist eine bürgerliche Diktatur zur Verteidigung der kapitalistischen Produktionsweise gegen das Volk. Der Stalinismus aber ist und war eine sozialistische Revolution… (S. 279).“ Was nun, stimmt das, ist der heutige Biermann ein Vollidiot; stimmt es nicht, dann der damalige!
(36) Steffen Dietzsch: Von den Gründen der DDR und ihres Zusammenbruchs = (http://www.kondiaf.de/ags/politik/arbeitspapier/Zusammenbruch_der_DDR.pdf Die Überlagerung des gesellschaftlichen Denkens durch eine religiöse Folien ist, wie Dietzsch selbstredend weiß, ein universelleres Verhängnis. Großartig ist die Polemik gegen bundesdeutsche Mentalitäten von Rudolf Burger: Re-Theologisierung der Politik? Springe 2005.
(37) Priestland, (wie Anm. 4), S681 . Eine dichte Beschreibung eines Sympathisanten des Vietnamesischen Befreiungskampfes gegen die amerikanische Intervention bestätigt diese allgemeine These geradezu unheimlich;. Vgl. Georg W.Alsheimer:Reise nach Vietnam. Fkf./M 1980
(38) Brown, (wie Anm.4) , S.792/3. János Kornais Buch heißt: By Force of Thought: irregular Memoirs of an Intellectual Journey, Cambridge. Mass 2006.
(39) Etwa: Die unbeabsichtigten Folgen von sozialem Handeln (Merton), ein bevorzugter Gegenstand von Engels in den gedankenreichen sog. Altersbriefen; die Zirkulation der Eliten (Pareto) – jede revolutionäre Bewegung endet in einer neuen Elitekonstellation. Ägypten, Tunesien haben für den Soziologen den Sinn, sich empirisch zu vergewissern, wie und wann aus den Volksaufständen sich eine neue Elitenherrschaft entwickelt; die Oligarchie des Parteiwesens (Michels) – obwohl schon 1911 am Fall der SPD und der Gewerkschaften gewonnen), gilt das Gesetz für alle Organisationen, seien sie Parteien und Bewegungen, für die Grünen ist der Beweis erbracht, dass eine Partei, die partiell soziologisches Wissen hatte (Rotation!), dem Gesetz erliegen muss. Diese und weitere Gesetze sind leserfreundlich – ich bin als Autor unbeteiligt – in einem neuen Reader zusammen gestellt: Sighard Neckel (Hrsg.): Sternstunden der Soziologie. Fkf./M. New York 2010
(40) Ernst Fraenkel: Deutschland und die westliche Demokratien. Stuttgart 1968 und Richard Löwenthal: Sozialismus und aktive Demokratie. Frankfurt am Main 1974. Fraenkel hat bekanntlich eines der mit Abstand besten Analysen des Faschismus geschrieben (Doppelstaat), seine grundgelehrten Aufsätze zu Klassenjustiz (in den 30ern) und zu den Novemberräten, – beides kritisiert er schärfstens, haben Geschichte in der Politikwissenschaften gemacht. Zu Löwenthal (und anderen), deren Kommunismuskritik wir heute nach 1989 mit ganz anderen Augen lesen können, siehe eine neueres Buch des produktivsten Mitglieds der Historiker LKommission: Mario Keßler: Kommunismuskritik im westlichen Nachkriegsdeutschland. Borkenau, Löwenthal, Flechtheim. Berlin 2011 (Teilabdruck auch bei Helle Panke)
(41) Aus seine Weise bewährt hat sich ebenfalls Erich Mielke, der auf Janka traf als in Moskau geschulter Kader der „Sektion zur Bekämpfung verdächtiger Elemente“ (Walter Janka: Spuren eines Lebens Berlin 1991, S. 93). Es gibt Kommunisten, da wäre wahres Heldentum gewesen, nicht in Spanien zu aufzutauchen! Jankas Abrechnungen mit Parteigenossen ist authentisch, ehrlich und geschieht mit guten Gründen: Doch müssen wir Nachgeborenen nicht seine Urteile in seiner Biographie blind übernehmen: ich bewerte die Person und Rolle Wolfgang Harichs (vgl. 387ff.) ganz anders – um exemplarisch einen Namen zu nennen.
(42) Walter Janka: Schwierigkeiten mit der Wahrheit. Reinbek bei Hamburg 1989, S. 110/11.
(43) Ich rede vom Paragraphen 130, Abs. 3 STGB . Mit Helmut Ridder, der in solchen Fällen die Linke seiner Zeit wegen ihrer juristischen Illusionen und ihres Naturrechtsgespensterglaubens heftig attackiert hat, denke ich bei meiner Ablehnung in guter Gesellschaft zu sein.
(44) Weder zynisch noch ironisch! Ich denke über einen meiner wissenschaftlichen Lehrer, über den Physiker (Professor für Geschichte der Naturwissenschaften; Staatssekretär für Hochschulwesen, wo er seine schützende Hand nach dessen Parteiausschluss wegen Trotzkismus über Walter Markov hält), über Gerhard Harig immer wieder nach: Nach Haft 1933 in die Sowjetunion geflüchtet und bei der Akademie der Wissenschaften angestellt, wird er mit einem Irrsinnsauftrag, der vollständig sinnlos ist, zum antifaschistischen Kämpfen Arbeit ins Deutsche Reich geschickt, mit dem Ergebnis, fast sofortige Verhaftung und: Buchenwald Oktober 1938 bis 11. April 1945. Siehe Gerhard Harig: Physik und Renaissance. [Ostwalds Klassiker der exakten Wissenschaften Nr. 260], Leipzig 1984 (Einführung Wußing).
(45) Bertolt Brecht: Flüchtlingsgespräche. Berlin und Fkf./M. 1961, S. 158/9
(46) Zit. nach Marxhausen 2008, S. 43.
(47) Ja, da würde Harry Nick (vgl. Fn. 24) staunen! Ob sie vom harschen Einwand Karl Schirdewans gelernt hat? „Die Haltung Sahra Wagenknechts zur Sozialdemokratie, zu liberalen demokratischen Kräften ist eine politische Torheit, sie zeugt von Unfähigkeit, nach der Wende umzudenken. Sie ist eine klassische ultralinke Engstirnigkeit.“ (109). Vielleicht hilft uns der Dichter weiter, der ihr umgekehrt wegen zu wenig ultralinker Haltung seine Besuchserlaubnis entzogen hat; „Sie hat nicht wirklich in der DDR gelebt. Hätte sie das, dann wäre sie auch nur eine Revisionistin geworden – sie hat eben jeden Tag fünfzehn Stunden gelesen.“ Und dann zur Triebkompensation, nach soviel sublimierter Lebensführung: „Sie will immer ins Fernsehen“ (Aug. 2001). In: André Müller sen.: Gespräche mit Peter Hacks. Berlin 2008, S. 359/360 & S. 418.
(48) LW 29, S. 416, zit. Marxhausen, a.a.O.: S. 28. Ruben interpretiert im Prinzip diesen einen Leninschen Satz in einem seiner radikalen theoretischen Selbstkritiken der Wendezeit. Die kommunistische Partei „hat die ökonomische Potenz der Person beseitigt und über die Verwirklichung des Staatseigentums an den gegenständlichen Arbeitsmitteln die Individuen in Funktionäre der produzierenden Nation verwandelt. Diese hat dadurch aufgehört, eine wirklich Volkswirtschaft zu sein,… und ist zu einer hypertrophen Betriebwirtschaft geworden.“ Folgt: „Sozialismus als verständige und vernünftige Ordnung der Gesellschaft kann nur unter institutioneller Sicherung der Produktivkraftentwicklung eine akzeptable Realität haben. Da der Markt das soziale Medium positiver Selektion wertbevorteilter Produktivkräfte ist, kann eine künftige Sozialismustheorie keine Negation des Marktes, keine Denunziation des Handels (MlL: Heuschrecken u.ä. Tiere, Spekulanten des raffenden Kapitals) implizieren.“ Peter Ruben: Der Herbst ’89 und die Perspektiven der Sozialismustheorie. in: Zentralinstitut für Philosophie (Hrsg.): Alternativen denken. Berlin 1001, S. 9 & 11. Notabene. Ruben als gewählter letzter Leiter dieses Instituts, welches ihn gut zehn Jahre vorher einer negativer Selektion unterworfen hatte (Parteiausschluß) spricht innerhalb einer von ihm akzeptierten Ehrung zum 70. Geburtstag von Joachim Höppner, der seinerzeit einer seiner Hauptdenunzianten war. Man kann also aus Santayanas Sprichwort auch ganz andere Konsequenzen ziehen als die analcharakterologisch fixierten, um mit Reich zu sprechen, auf Lebenszeit jammernden Bürgerrechtlerinnen. Wenn schon Santayanas „condemned to repeat it“ warum nicht zur Abwechslung eine andere Lebensweisheit von ihm? “Das Gedächtnis des Menschen ist das Vermögen, den bedürfnissen der Gegenwart entsprechend die Vergangenheit unzudeuten…”
(49) Luft ausführlich in ihrem Beitrag bei der Tagung zum 100. Geburtstag von Behrens 2009, die ähnlich wie Steinitz argumentiert. Meine Skepsis habe ich da in verschiedenen Redebeiträgen deutlich gemacht, in meinem Tagungsbeitrag konzentriere ich mich auf die verhängnisvolle Aufgabe (Negation) von ökonomischen Wissen in der Linken seit 1968, siehe: Manfred Lauermann: Behrens, Marx und die bundesdeutsche 68-er Bewegung. In: Günter Krause, Dieter Janke (Hrsg.): ‚Man kann nicht Marxist sein, ohne Utopist zu sein…’ Texte von und über Fritz Behrens. Hamburg 2010, S. 87-98. (Luft, S. 99ff.; Steinitz, S. 110 ff.)

13 Kommentare

  1. Danke für den Hinweis. Sehr nett. Ich wusste gar nicht, dass Herr Gräbe seine Rolle in der Weltphilosophie so bescheiden einordnet.
    Ansonsten weiß ich ja nicht, mit wem ich hier kommuniziere. Unter IGR gibt es im Internet die „Interessengemeinschaft Rollhokey“, ein „Institut für geschichtliche Rechtswissenschaft“ bzw. einen „Industrie- und Gebäudereinigungsservice“. Aber das alles kann es ja nicht sein. Nun, denn. Dann eben in eine Black Box gesprochen.

  2. Sehr geehrter Herr Dr. Crome,
    ich bedanke mich für die vorzügliche Demonstration linker Ignoranz und Intoleranz einem Vertrauensdozenten Ihrer Stiftung gegenüber. Genau das ist der Kern meiner Message an Lauermann: Warum in die (historische) Ferne schweifen …

  3. „Es geht, so Dobusch, um den „Versuch, den linken Reformdiskurs mit Hilfe von paradoxen Interventionen zumindest ein wenig zu irritieren und so neue Räume für linke Reformpolitik zu eröffnen beziehungsweise zu erschließen.“ Nicht mehr. Aber auch nicht weniger.“
    (Crome 2011, Linksreformismus Aus: Das Blaettchen, 14. Jahrgang | Nummer 4 | 21. Februar 2011)

    Sehr geehrter Intellektueller Crome,
    da Sie offenkundig etwas in der (G’statten) ostdeutschen Internetwelt etwas (gleichsam Paradoxes) übersehen haben, möchte ich Ihnen das noch nachreichen, um Sie darüber befinden zu lassen, wie paradox diese Intervention Ihnen angesichts der notwendigen (intellektuellen) Begradigung von Schieflagen erscheint: http://goo.gl/A5twq ?

    Ihr anderer Intellektueller
    IGR

  4. Crome: „Frei nach Brecht, ich habe meine Meinung nicht, weil ich in der Rosa-Luxemburg-Stiftung angestellt bin, sondern ich bin dort angestellt, weil ich meine Meinung habe, sprich als selbst-denkender Intellektueller schon zuvor bekannt war. Mit Berliner Debatte Initial habe ich seit 1990 aktiv zu tun, WeltTrends 1993 mit gegründet, schreibe in Das Blättchen, zuweilen auch in der Leipziger Kultursoziologie, in junge Welt und Neues Deutschland. Ich kann mich nicht erinnern, von Herrn Gräbe bisher etwas Interessantes gelesen zu haben. Aber das kann sich ja noch ändern.“

    Lieber Tui,
    was glauben Sie, was „hier draußen“ los ist?
    Nur, weil Sie einen Marktplatz gefunden haben, bedeutet das noch nicht, daß sie wirklich handeln können. Halten wir fest: Machen kann jeder überall alles – auch gründen! Das war dereinst anders, wenigstens heute gelten die Beschränkungen Ihres Marktes außerhalb nicht – so viel sei Dank. Und das sie hier mit spitzem Degen den Sekretär des Präsidenten geben, scheint mir angesichts der Sachlage – eines vollkommen fundierten Streits nämlich – völlig überrepräsentiert. Sie verlassen damit die Bahn des Trabanten. Zudem steht keineswegs zweifelsfrei fest, dass, was in langer Kurve die Bahn des größeren Planeten kreuzt , auch mehr als ein Asteorid ist!

    Sie müssten sich geradezu darüber wundern, das Interessante noch nicht gelesen zu haben. Doch das gehört nicht zum Portfolio, gell? Und deswegen werden Sie wahrscheinlich Tausende von interessanten Dingen gar nicht zu lesen bekommen. Da Sie Wissenschaftler sind, wird Ihnen klar sein, dass die Menge des Interessanten größer ist, als die des Lesbaren.

    Zur Sache so viel: Das Innenleben der ausserparlamentarischen Institution (nicht APO), über die Sie hier sprechen, ist mir bestens bekannt und ich kann aus der Kürze des Dabeigewesen – Seins nur feststellen, dass ein längeres Da-Bleiben nur schädlich für jene Sinne ist, die frei zu sein wünschen.

    What ever, Herr Sekretär, Ihr Mobbingversuch ist unbegründet
    Ihr IGR

  5. Frei nach Brecht, ich habe meine Meinung nicht, weil ich in der Rosa-Luxemburg-Stiftung angestellt bin, sondern ich bin dort angestellt, weil ich meine Meinung habe, sprich als selbst-denkender Intellektueller schon zuvor bekannt war. Mit Berliner Debatte Initial habe ich seit 1990 aktiv zu tun, WeltTrends 1993 mit gegründet, schreibe in Das Blättchen, zuweilen auch in der Leipziger Kultursoziologie, in junge Welt und Neues Deutschland. Ich kann mich nicht erinnern, von Herrn Gräbe bisher etwas Interessantes gelesen zu haben. Aber das kann sich ja noch ändern.

  6. Lieber Manfred
    „Ob Lauermann sich in der PDS an einer solchen Debatte beteiligt hätte, müsste er selbst beantworten.“ Nun, ich kann für mich in Anspruch nehmen, es getan zu haben (Google nach „AG Diskurs Leipzig“ bringt es schnell ans Licht), auch den Herrn Crome seinerzeit mit dem Thema „Wie geht Fortschritt?“ behelligt zu haben – der Hund (ich) bellte, die Karawane zog weiter. Insofern ist es schon spannend, seine Diskursfreude gerade an diesem Ort und zu diesem Thema zu beobachten.

    Dennoch, lieber Manfred, kann auch ich nicht viel mit deiner sicher treffenden Analyse (oder eher Recherche, Synopse?) anfangen. Einem namhaften Linken aus der Marburger Schule, der das vielleicht sogar in Volterra erwähnte (nein, eher nicht), hielt ich dessen polemischer Titulierung „Stalinist Hermann Rappe“ entgegen, dass das für mich eine Verkennung und Verharmlosung des Stalinismus sei. Stalinismus sei für mich „die Anwendung anderenorts üblicher (machiavellischer) Machttechniken zur Ausgrenzung und graduellen Vernichtung, in denen die Menschenwürde mit Füßen getreten wird, unter Linken“. Anti-Stalinismus ist in einem solchen Verständnis also eine ethische und keine historische Kategorie – aus dem einfachen Grund heraus, weil es für die Virulenz neostalinistischer Attitüden in der Linken und insbesondere der Linkspartei offensichtlich _strukturelle_ Gründe gibt. Hermann Rappe ist für mich kein Linker, folglich _kann_ ihn der Vorwurf „Stalinist“ gar nicht treffen, wenn er machiavellistisch-machttaktisch agiert. Was ist aber, wenn in der Neolinken Linkspartei nach 2008 (die ja aufgefüllt wurde mit dem Gewerkschaftsadel West und politisch unerfahrenen jungen Leuten Ost, die sich dennoch ebenfalls erstaunlich gut mit den „wirklich linken Dingern“ auskennen) die Wirkung dieses ethischen „Schumannismus“ nachlässt? Wenn im Clinch um die Futtertöpfe auf einmal (? – nein, so plötzlich nicht) alle Barbarei wieder zugelassen ist? Wenn man also auch in dieser Frage (wieder) in der Barbarei dieser Gesellschaft angekommen ist?

    Lieber Manfred, ich habe darauf keine _Antworten_, allein eine persönliche Konsequenz gezogen. Aber die _Frage_ (eben nach den _objektiven_, also _strukturellen_ Mechanismen der „herrschenden Ideologie der unterdrückten Klasse“ in diesem Punkt) sollte doch eine Rolle spielen, und das kommt mit bei dir zu kurz. Denn auch hier gilt das Brechtwort „Der Schoß ist fruchtbar noch …“ (worüber wir uns allerdings wohl einig sind).

  7. Der RLS Angestellte Erhard Crome schrieb: „Partei kann höchstens zur Kenntnis nehmen, was Wissenschaftler erarbeitet haben, und dann entsprechende Beschlüsse fassen. Wissenschaft hat am Ende etwas mit Wahrheit zu tun, Partei mit Politik. Der Rest des Meinens – dies zweitens – ist nur Bestätigung für die derzeit gängige Praxis, sich zu äußern, ohne sich mit der Sache befasst zu haben.“ Verzichten die dort beschäftigten dienstbaren Geister auf die „Vermittlung“ ihrer Ideen in die praktische Politik?

    Aber auch Manfred Lauermanns Argumerntation lässt mich etwas hilflos zurück.

    „Daher reichen mir, bis die LINKE in Baden-Württemberg und in Rheinland-Pfalz signifikant mehr als 3% haben werden, fürs erste ein paar wenige Forderungen, für die der Entwurf aber keinen Raum hat, sie näher zu behandeln; weder ihre gesellschaftliche Klassenkampfdynamik noch ihre Politiken, weder Strategien (Gramscis Hegemonie) noch Taktiken (originellere Formen von Protest).
    Es reicht der Commonsense, die Lage der Unterklasse und der unteren Mittelschichten ist mies, sie muss und kann verändert werden. Mit ihnen, also mit den dynamischeren Teilen der multitudo gemeinsam und unter Diskussion und oft: Annahme ihrer Vorschläge. Mit Mitleid Empfindenden aus den anderen bürgerliche Schichten: Leo Kofler nannte diese Bündnisoption trefflich progressive Elite.“

    Ob Linke oder DIE LINKE, freilich muss und könnte aus der „Bewegung“ gelernt werden, aber ist linke Politik bei so wenig Fähigkeit und Bereitschaft die historischen und sozialwissenschaftlichen Diskurse bei der linken Politikbildung zu beachten tatsächlich möglich? Rosalux ist ebenfalls parteipolitisch umkämpft, so bekommt das Gebot der Parteiunabhängigkeit der Stiftung eine Lesart für Bequeme, nämkich sich herauszuhalten aus den innerparteilichen Auseinandersetzungen.

  8. Nun bin ich, ehrlich gesagt, ein wenig enttäuscht, dass so gar nichts von Ihnen kommt. Ihre Publikationen, insbesondere die in der verblichenen „Utopie kreativ“, fand ich immer sehr interessant, dem meisten, was dort – als Konsequenz des gescheiterten Sozialismus, geschrieben steht, kann ich zustimmen. Gehen sie damit doch mal in eine Diskussion mit einem westdeutschen Ortsverein der Linken. Das dürfte eine spannende Erfahrung für Sie werden.
    Ich bleibe dabei, die Einsichten von Schumann (zum Stalinismus), Ruben (zur historischen Genese des deutschen „Kommunismus“ und zur kommunistischen Frage) sowie Land’s schumpeter’sche Sicht auf Plan- und Marktwirtschaft scheinen mir bedeutsam zu sein, und von gegenwärtigen Strömungen der Linken (v.a. von vielen mit der WASG hereingespülten Gewerkschaftern und ML-Sekten) leider nicht wahrgenommen oder bewußt negiert zu werden. Lafontaine verdreht Schumann doch nicht ohne Grund im ND! Theoretische (Wahrheits-)Diskurse sind doch von politischen Diskursen nicht abgekoppelt, beide sind aufeinander bezogen und gleichermassen umkämpft. So verstehe ich Lauermann.
    „Die Linke existiert und in der Demokratie geht es um Mehrheiten“ – wenn das alles ist, was einem Mitarbeiter der RLS zur Partei einfällt, dann ist die Diskussion wirklich überflüssig.

  9. Sie weichen aus. Es ging nicht darum, ob Sie als Person die Unterschiede zwischen Schumann, Ruben und Land kennen (das wäre eine Prüfungsfrage, Grundkurs Gesellschaftstheorie), sondern ob alle drei als theoretische Berufungsinstanz für ein selbsternanntes parteipolitisches Reformertum taugen. Ansonsten ist der Punkt nicht, ob Ihnen oder mir „die real-existierende Linke „gefällt; es gibt nur die real-existierende oder keine Linke. Jede Gemeinde, der diese nicht passt, kann sich ja eine neue fingieren: je kleiner die Gemeinde, desto klarer die Programmatik. In der Demokratie geht es – frei nach Lauermann und Erhard Eppler – um Mehrheiten, nicht um die Ableitung politischer Positionen aus theoretischen Proklamationen.

  10. Und ich füge hinzu: Ein Blog-Kommentar ist keine wissenschaftliche Abhandlung. Mir sind die Unterschiede zwischen Schumann, Ruben und Land durchaus geläufig.
    Wer mag, kann hier mehr lesen:
    http://www.rosalux.de/fileadmin/rls_uploads/pdfs/sonst_publikationen/Brosch_A4_Micheal-Schumann_web.pdf
    http://www.peter-ruben.de/
    http://www.rainer-land-online.de/
    Zum Verhältnis von Geschichte (Wissenschaft), Partei/Politik und Vergangenheitspolitik wäre gewiss noch mehr zu sagen. Ihre Meinung zu Lauermanns Texten täte mich aber mehr interessieren. Oder anders gefragt: Wie gefällt Ihnen denn die real-existierende Linke? Darum geht es nämlich in diesem Blog.

  11. Eine solche Mitteilung zeigt nur, dass der Mitteilende nicht weiß, wovon er spricht. Erstens ist fraglich, ob die Analyse von Vergangenheit, überhaupt eine Aufgabe ist, die von einer politischen Partei geleistet werden kann, oder ob dies nicht originäre Aufgabe von Wissenschaft ist. Partei kann höchstens zur Kenntnis nehmen, was Wissenschaftler erarbeitet haben, und dann entsprechende Beschlüsse fassen. Wissenschaft hat am Ende etwas mit Wahrheit zu tun, Partei mit Politik. Der Rest des Meinens – dies zweitens – ist nur Bestätigung für die derzeit gängige Praxis, sich zu äußern, ohne sich mit der Sache befasst zu haben. Frei nach Radio Jerewan: Waren Schumann, Ruben und Land SED/PDS-Reformer?“ Antwort: „Im Prinzip ja, aber Schumann war Reformer erst seit dem Herbst 1989, und Ruben und Land sind seit Jahrzehnten nicht mehr in dieser Partei.“ Ob Lauermann sich in der PDS an einer solchen Debatte beteiligt hätte, müsste er selbst beantworten. Dies zur zum Thema „Jahrzehnte zurückgeworfen“. Ein solches „Lob“ hat Manfred Lauermann nicht verdient.

  12. Korrektur:

    Der theoretische und politische Konflikt innerhalb der Linken (FDS contra AKP/SL) wird dabei noch von Verteilungskämpfen (bis auf Messern!) zwischen den politischen Mandatsanwärtern (politische “Entrepreneuere” – was nicht das gleich ist wie Unternehmer – letzterer setzt laut Lehrbuch auf langfristigen Gewinn!) ÜBERLAGERT.

  13. Mir scheint, dieser Text Lauermanns, den man gar nicht genug preisen kann, zeigt vor allem, dass die Vereinigung von West-WASG und Ost-PDS die neue Partei hinsichtlich ihrer Fähigkeit zur Analyse des gescheiterten Sozialismus und zur theoretischen und politischen Innovation um Jahrzehnte zurückgeworfen hat. Keine neue These, sicher, aber die aktuellen Debatten zeigen doch ganz gut, dass sie zutrifft. Die Erkenntnisse von SED/PDS-Reformern wie Schumann, Ruben, auch Rainer Land werden weitgehend ignoriert. Stattdessen zieht man mit der alten Westlinken (und der Jungen Welt) zurück ins „Revolutionsmuseum“ (M. Wendl). Der theoretische und politische Konflikt innerhalb der Linken (FDS contra AKP/SL) wird dabei noch von Verteilungskämpfen (bis auf Messern!) zwischen den politischen Mandatsanwärtern (politische „Entrepreneuere“ – was nicht das gleich ist wie Unternehmer – letzterer setzt laut Lehrbuch auf langfristigen Gewinn!). Der Formwandel parteilicher Rekrutierung im 21 Jhd. ist hier mitzudenken. Vielleicht bringt der abschliessende Text von Lauermann ja auch etwas zur Bestimmung der „Partei“-Form. Ich bin gespannt.

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