Wenige Wochen vor dem Parteitag in Hamburg, auf dem Die Linke ihr Programm und die Kandidatenliste für die kommende Europawahl festzurren will, stehen die Zeichen zwischen den Flügeln der Partei auf Sturm. War es zuerst der vorliegende Programmentwurf des Vorstandes und vor allem dessen, auf Betreiben der Partei- und Fraktionsvize Wagenknecht umformulierte, Präambel, der von den Reformkräften zusammen mit Fraktionschef Gysi heftig kritisiert wurde, soll nun auch das bereits abgestimmte Kandidatentableau zugunsten moderater Kräfte entscheidend verändert werden. Die Planungen des Reformflügels scheinen in beiden Streitpunkten mittlerweile weit fortgeschritten und dürften für heftige Turbulenzen auf dem Parteitag sorgen.

Wie der „Tagesspiegel“ bereits am Montag berichten konnte, soll die umstrittene Präambel komplett durch einen neuen Text ersetzt werden. Der neue Text, der federführend von der Europaabgeordneten und designierten Spitzenkandidatin Gabi Zimmer und dem Parteivorstandsmitglied Dominic Heilig erarbeitet worden sein soll, möchte ein positives Bild der Möglichkeiten der europäischen Integration aufzeigen und verlangt die EU zu einer „wirklichen Solidargemeinschaft“ zu entwickeln. Ein Zurück in die Enge der Nationalstaaten wird als „eine grosse Gefahr“ abgelehnt. „Die Alternative ist nicht der Rückzug aus der Union, sondern der Kampf um ihre Veränderung.“, heisst es in dem Entwurf weiter, der mit einem Zitat des langjährigen Parteichefs und Europapolitiker Bisky beginnt.

Dieser Antrag, der noch im Laufe der Woche offiziell vorgestellt werden soll, hat dem Vernehmen nach auch die Unterstützung von Fraktionschef Gysi. Zudem sollen ihn bereits zahlreiche führende Funktionäre der Partei in Ost und West als Unterzeichner mittragen. Für den radikalen Flügel um Wagenknecht dürfte die Luft damit relativ dünn werden. Schon nach der öffentlich geäusserten Kritik der Parteivorsitzenden vor wenigen Tagen zeigte Wagenknecht Kompromissbereitschaft in Bezug auf deutliche Veränderungen an der von ihr gewünschten Präambel des Programmes. Der vorliegende alternative Programmentwurf der Bundestagsabgeordneten Dehm und Gehrcke dürfte mittlerweile fast chancenlos sein, da sich die Diskussion nur noch um Änderungen des vom Parteivorstands eingebrachten offiziellen Entwurfes dreht.

Aktuell berichtet nun „Die Welt“ unter Berufung auf Parteikreise, dass auch das im Parteivorstand und Bundesausschuss abgestimmte Kandidatentableau zur Disposition gestellt werden soll. Fraktionschef Gysi und die Vorsitzenden der ostdeutschen Landesverbände hätten sich demnach Anfang Januar in einer Beratung auf eine neue Liste verständigt. Gabi Zimmer wäre danach weiterhin auf dem Spitzenplatz. Auf Platz zwei soll dann Thomas Händel gewählt werden. Händel, der die WASG mitgegründet hat und bereits Europaabgeordneter ist, unterlag im Bundesausschuss seinem Mitbewerber Tobias Pflüger, der dem radikalen Lager um Wagenknecht zugerechnet wird.

Auch die weiteren Listenplätze, die noch im Bundesausschuss und damit für die offizielle Wahlempfehlung an den Parteitag von eher radikalen Genossen besetzt werden konnten, sollen demnach durch reformorientierte Kandidaten gewonnen werden. Für den auf Platz sechs gesetzten Fabio De Masi, der bei Wagenknecht in ihrem Berliner Büro arbeitet, soll demnach Dominic Heilig ins Europaparlament einziehen. Auf Platz sieben wünscht man sich die ostdeutsche Reformerin Martina Michels statt der aus Nordrhein-Westfalen stammenden Sabine Wills, die allerdings beide bereits im Europaparlament sitzen. Auf Platz acht soll statt des hessischen Genossen Ali Al Dailami dann Martin Schirdewan, Mitarbeiter des ostdeutschen Bundestagsabgeordneten Roland Claus, gewählt werden.

Beide Vorhaben, die Ersetzung der Präambel und die Umorientierung der Kandidatenliste, scheinen für die vorwiegend aus Ostdeutschland stammenden Reformer durchaus erfolgreich umsetzbar. Hat man doch auf dem Parteitag erstmals ein getreues Abbild der geografischen Verteilung der Mitgliedschaft und damit eine strukturelle Mehrheit der ostdeutschen Landesverbände. Lediglich im Bundesvorstand und im Bundesausschuss ist das Verhältnis zwischen westdeutschen Radikalen und ostdeutschen Reformern noch halbwegs ausgeglichen. Dies dürfte sich im Bundesvorstand aber spätestens nach dessen Neuwahl im Sommer des Jahres ändern. Doch nicht nur als innerparteiliches Zeichen der neugeglaubten Kraft des Reformlagers sind beide Vorstösse zu werten.

Der Reformflügel sendet damit auch ein eindeutiges Zeichen an die SPD, dass Die Linke die Botschaft wohl verstanden hat und man darum bemüht ist, einen wirkliche Option auf Rot-Rot-Grüne Regierungskoalitionen in den Ländern und besonders nach 2017 im Bund zu eröffnen. Gabriels lautstarke Kampfansage in Richtung einer europafeindlichen Linken unter dem Einfluss von Radikalen und unter der Führung von Wagenknecht, dürfte den Kampfeswillen der Reformlinken um die Macht in ihrer Partei durchaus befördert haben. Der Hamburger Parteitag ist die erste Bewährungsprobe für diese neue Strategie.
(mb)

2 Kommentare

  1. Womit der „Reformflügel“ die gerade an dieser Stelle gern erteilten Ratschläge annimmt und endlich seinerseits in die Offensive geht.

    Andererseits scheint die von Potemkinautoren beklagte Strategie des Abwartens, bis man automatisch die Mehrheit hat, doch aufzugehen.

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