von Philip J. Dingeldey
In Kürze beginnt wieder einmal der größte Zirkus der Welt – nämlich die Fußball-Weltmeisterschaft (WM) – und die Deutschen sind schon ganz aus dem Häuschen. Überall findet man jetzt Fanartikel, über Schmuck, Halsbänder, Fußbälle, Schminke – freilich alles in den deutschen Nationalfarben. Selbst Produkte, die auf den ersten Blick nichts mit Fußball zu tun haben, versuchen mit dem WM-Etikett ihre Umsätze, meist erfolgreich, zu maximieren. Das nennt sich dann Fußballfieber.
Ein Fußballfieber, egal ob es sich dabei nun um eine Regionalliga, Bundesliga, Champions League, Europa- oder Weltmeisterschaft handelt, verdient aber in Wahrheit eine andere Titulierung: Das Aufkommen faschistoider Elemente, die von der Mehrheit der Bevölkerung als legitim aufgefasst werden!
Warum das? Ist nicht in den meisten zivilisierten Staaten der Faschismus zu Recht verpönt!? Natürlich, aber Phänomene, wie Fußball sind deswegen erfolgreiche Massenphänomene, weil es ihnen gelingt, den faschistoiden Part lediglich implizit zu generieren. Es ist in Deutschland etwa zum Glück kaum mehr möglich, klar eine faschistische Gesinnung öffentlich kundzutun; jedoch durch implizite und auf höchst unbewusste Faktoren kann dies sehr wohl geschehen. Das heißt, der etwa am Fußballfieber Erkrankte weiß wahrscheinlich nicht, dass seiner Euphorie, seiner Fanschaft Faschistoides inhärent ist.
Innerhalb des Fußballs gibt es natürlich Elemente, die mehr und die weniger faschistoid sind und der Fußball ist nicht rein faschistisch; er kann auch eine nette und banale Unterhaltung sein respektive eine körperliche Ertüchtigung im Duktus des Mannschaftssports, wie viele andere auch. Dennoch besteht die Konnexion von Fußball und dem Faschistoiden und wächst mit der Bedeutung der Meisterschaft.
Doch woran liegt es? Wie lässt sich diese gewagte These begründen? Zum einen ist es das Totalitäre und zum anderen das Nationalistische, Hyperpatriotische, das Xenophobe, ja, sogar das Rassistische, was dem Fußball seine faschistoiden Züge verleiht. Beide Parts sind natürlich interdependent und sind so nur möglich, indem sie sich auf eine reziproke Manier forcieren.
Zunächst zum nationalistischen Part: Bald laufen sie wieder überall herum: Die Fans mit den Fußballtrikots, der schwarz-rot-goldenen Schminke, dem schwarz-rot-goldenem Schmuck und sogar Hermesflügel für die Schuhe gibt es schon in den Nationalfarben. Wäre gerade keine WM oder EM würden sich viele berechtigt mokieren über die Demonstration von so viel Nationalstolz. Seit der WM 2006, bei der Deutschland sich als ausgezeichneter Gastgeber gebar, ist es scheinbar wieder legitim, zumindest alle zwei Jahre für ein paar Wochen stolz auf seine Nation zu sein und sich mit den Landsleuten zu assoziieren, erstens, in der Nationalität, zweitens in der Fanschaft für unsere Nationalmannschaft der Mediokrität und drittens in der Abneigung gegen die gegnerischen Mannschaften.
Doch genau darin liegt der Punkt. Unter dem Pseudoanlass der Meisterschaft versammeln sich wieder Gruppen und frönen dem Nationalismus, sind stolz auf eine ganze Nation. Nationen sind artifizielle Konstrukte, sie existieren gar nicht wirklich, sind, im Gegensatz zu Staaten, auch nicht mehr nötig. Aber sie berufen sich auf eine natürliche Verbindung der Menschen, die Teil der Nation sind. Schon mit dem Terminus ist damit immer eine Feindschaft zu anderen impliziert. Auch der Stolz auf eine Gruppe, mit der man nicht mehr gemein hat, als einen Pass, einen Aufenthaltsort und die Leidenschaft für Fußball, legitimiert noch keinen obskuren Patriotismus oder Nationalismus.
Dass dieser sehr schnell xenophob wird, zeigt sich darin, wie gegnerische Teams dämonisiert werden. Besonders evident ist dies sogar im Lokalpatriotischen. So ist die Mannschaft Bayern München nicht grundlos von den Fans der anderen Vereine ziemlich verhasst, weshalb der Hohn auch besonders groß ist, wenn diese Mannschaft einmal so blamabel verliert, wie während der Champions League gegen Real Madrid. Ebenfalls sieht man dies aber bei der Xenophobie gegen Spieler, die manche nicht als rassisch rein betrachten. Der brasilianische Fußballer Dani Alves, der in einer spanischen Mannschaft spielt, wurde etwa jüngst mit einer Banane beworfen, als ob er ein Affe oder Untermensch wäre. Alves hob intelligent die Banane auf und aß sie, was auf Twitter einen Hype auslöste.
Sobald ich mich also einer Identität hingebe, die so hochgradig auf Feindschaft zu anderen Gruppen basiert, was sich am deutlichsten bei Hooligans zeigt, muss ich mir auch den Vorwurf der Xenophobie oder des Rassismus gefallen lassen.
Doch noch wichtiger und den Nationalismus forcierend, sind die totalitären Elemente: Der Fußball ist – vor allem zu Zeiten des Fiebers – allumfassend und hegemonial; man kann ihm nicht entkommen. Es ist auf der Ebene des Banalen oder während der Meisterschaft kaum möglich, mit anderen Menschen über etwas anderes, als Fußball zu reden. Es werden Diskussionen und wilde Spekulationen laut, über bestimmte Spieler und darüber, wer den Meisterschaftstitel wirklich erringen könnte. Selbst für gewöhnlich kritische Medien kommen nicht daran vorbei, außerhalb des Sportressorts sich auf den Fußball einzuschießen.
Man kann auch den verschiedenen Waren des Fußballs nicht mehr entkommen, überall springen einem die Fußballfanprodukte entgegen. Rund um das Fußballspiel herum hat sich ein Warenfetisch entwickelt. Der Fetischismus ist ja, wie Hartmut Böhme festgestellt hat, ein religiöser Mechanismus, der hier in die Ökonomie, den Warenkapitalismus translationiert wird, doch innerhalb der Ökonomie nur in seiner eigenen Logik operiert, da nach den Prinzipien Immanenz und Transzendenz agiert wird, was das Verhalten der Gläubigen reguliert, sodass ein obskurer Verkehr und Austausch mit dem Transzendenten generiert wird, und zur Erlösung führen soll. Karl Marx hat dies ja in die Warenanalyse implementiert, wodurch der Fetisch im Kapitalismus nach den Prinzipien zahlen und nichtzahlen operiert.
Dadurch wird im Warenfetisch das Religiöse natürlich nicht vollständig in die Ökonomie übertragen, aber dadurch bedingen sich per se eben beide, im Zuge des gläubigen Warenfetischs, zwecks Warenzirkulation. So hat Marx ja ganz richtig die aufgeklärt-moderne Gesellschaft als implizit religiöse Gesellschaft entlarvt, und Theodor W. Adorno und Max Horckheimer haben darauf aufbauend den universellen Verblendungszusammenhang von Kapitalismus und Kulturindustrie offen gelegt. Zu dieser Kulturindustrie gehört, auf einem sehr banalen Niveau, natürlich auch der Fußball. Der Warenfetisch des Fußballs forciert dabei also noch die Performanz respektive Theatralität der überbordenden Warenkultur. Und durch die Masse an Waren und durch seine Präsenz, ist der Fetischcharakter des Fußballs (auch als Ware) nicht zu negieren.
Das Ganze hat sogar eine extrem kitschige Komponente. Was ist es denn sonst, wenn man sich Nationalfarben ins Gesicht malt, irgendeinen Fußballnippes kauft oder sich fußballspielende Gartenzwerge hält. Kitsch sorgt aber, angelehnt an Adorno, dafür, dass das Ästhetische zu etwas Hässlichem wird und die Kulturindustrie zementiert ergo pseudokünstlerisch soziale Verhältnisse. Denn Kitsch verrät gerade jeden ästhetischen Wahrheitsanspruch, durch seine qualitative Minderwertigkeit; es neutralisiert alles Künstlerische, durch seine biedere Tünche und dient der apolitischen Ablenkung von politischen, sozialen und kulturellen Missständen und Konflikten. Der blanke Sport wird in dem ganzen Brimborium darum herum zu einem sakralökonomischen Instrument, um das Volk ruhig zu stellen. Semireligiös und totalitär wird das Volk mit einer Massenveranstaltung abgelenkt und marschiert brav in Reih und Glied. Sogar die konkreten Missstände um den Fußball herum werden dann mehr oder weniger ignoriert – ob es sich dabei um die Korruption der FIFA, den Missständen in Brasilien, den Steuerbetrug mancher Manager, den überhöhten Gehältern von Spielern und Trainern oder den teils mafiösen Strukturen handelt, die in einigen Vereinen, darunter ein sehr bekannter und großer bayerischer, vermutet werden.
Der wohl gefährlichste totalitäre Part der faschistoiden Elemente im Fußball ist – und dies baut sowohl auf dem Nationalismus als auch dem hegemonialen Fetisch auf – die Massenhaftigkeit des Phänomens. Es reicht nicht mehr, sich mit Familie oder Freunden zu treffen und daheim oder im Garten einfach nur Sport zu gucken; jetzt muss man zum Public Viewing und dort unter Massen gehen, Fremde als identisch mit einem zu betrachten, ein und die selbe Uniform zu tragen (nämlich das Trikot), in Reih und Glied zu jubeln und aufzustehen, sowie zu schreien – je nachdem, wer wann wie ein Tor schießt – und emotional heftige Ausbrüche zu haben, wegen einer Banalität, die einen eigentlich in der Realität nicht einmal peripher tangiert. Oft handelt es sich dabei um eine krankhafte, extreme Verehrung von Fußballführern, die sich von ihrer Gefolgschaft bejubeln lassen. En passant sei erwähnt, dass ja der Terminus Fan nur eine Abkürzung für Fanatiker ist.
Der Massencharakter von Menschen macht natürlich noch keinen Totalitarismus aus. Wenn aber diese sich versammeln und aufhören, sich als Individuum zu betrachten, und als Massenorganismus handeln, ohne dass dies einem bewusst wird, dann gewinnt dies schon stark totalitäre Züge. Außer in den genannten Beispielen springt dies aber vor allem bei zwei Faktoren ins Auge: Erstens, der Zwang zum gemeinsamen Singen der Nationalhymne – auch diese ist mit Unmengen an Worthülsen, Kitsch und Nationalismus gefüllt. Denn die Einigkeit für ein Vaterland zu fordern oder Freiheit und Recht nur für die Nation zu deklarieren, ist ja auch nur eine abgemilderte Version von Deutschland, Deutschland über alles.
Zweitens, bei dem immer gleichen Gebaren im Stadion, dass das des Public Viewing bei weitem übertrifft. Nicht nur, dass sich im Stadion die Fans der gegnerischen Mannschaften manchmal wild und brutal bekämpfen, anstatt einen Sport zu genießen, ist auch die Laolawelle, eine zur Schau gestellte Massenästhetik, in der Individuum nur als Teil des Organismus agiert, anstatt den eigenen Verstand zu verwenden. Der Totalitarismus fordert schließlich eine selbstverschuldete Unmündigkeit, was George Orwell Doppeldenk nannte.
All dies, Nationalismus, gekoppelt mit Feindschaften, einer krankhaften Verehrung für bestimmte Akteure (hier eben Fußballer), der Fetischcharakter des Banalen, der über das Ökonomische und Religiöse die Öffentlichkeit beherrscht, der Grad der Hyperbel und des Extremen in allem Handeln und der Massencharakter des Spektakels, indem man nur noch als Teil des Organismus agieren kann, als Teil einer uniformierten Bande, die statt Fackelzügen eine Laola veranstaltet und Hymnen singt. Fußball könnte ein netter Sport sein und eine zerstreuende, obgleich banale Unterhaltung, der man gerne frönen kann. Doch die Züge, die Meisterschaften in den letzten Jahren einnahmen, generierten Elemente, die es dem Linksintellektuellen, dem Kritiker der Popkultur, dem säkularen Humanisten et cetera schwer machen, noch daran zu partizipieren.
(pjd)
.. das ist einer der Beiträge die „die Welt“ nicht braucht… ein Ausdruck obskuren Gedankengutes…
Was für ein Schwachsinn. Und ich habe das auch noch gelesen. In welcher Welt lebt der Autor? Es muss eine sehr arme und leere sein. Aber vielleicht ist es auch nur Satire?
„Those eigth Teams…. were playing themselves into history. They were taking part in the very first FA Cup matches of all….. but the passions, emotions and frenzies that were set in Motion on that distant viktorian afternoon (11.11. 1871 !!!), remain as strong as ever.“ (Mike Collet, The complete record of the FA-Cup, S.14).
Gerade in England, wo faschistoide Tendenzen erst in den letzten Jahren massiv geworden sind, ist Fußball schon im vorletzten Jahrhundert zum Massensport geworden, mit bis zu 70.000 Zuschauern in den FA-Cupfinals, 1901 erstmals über 100.000, genau 110820.
Also Faschismus und realer Sozialismus haben sicher mehr Gemeinsamkeiten als Faschismus und Fußball. Im Fußball kann jeder aufsteigen, wenn er es denn kann, die beiden totalitären Ideologen geben diese Möglichkeit indes nur vor. Fußball hat durchaus etwas anarchistisches, was den beiden Ideologien völlig abgeht. Wenn zum Beispiel der Underdog den Etablierten in den Pokalwettbewerben das Fürchten lehrt.
Die KP verfluchte in den 20ern das „perfide Albion“, nicht wg. dessen Herrschaft über die Weltmeere, sondern weil der Fußball von dort kam, die Proletarier lieber zum Fußball gingen als in die Parteiversammlungen. Angesichts der Reden der KP-Führer und ihrer Politik ist das Verhalten der kritisierten Proletarier mehr als verständlich.
„. Nationen sind artifizielle Konstrukte, sie existieren gar nicht wirklich, sind, im Gegensatz zu Staaten, auch nicht mehr nötig. “
Ein schwerer Irrtum: Nur weil etwas konstruiert ist, wie die Nation, ist es dadurch nicht weniger real. Staaten sind im Grunde genau so nützliche oder unnütze Fiktionen.
Zum Fußball: Fußball ist keineswegs faschistoid oder faschistisch. So wenig wie Kricket.
Es handelt sich nur um den beliebtesten Sport in Deutschland wie den meisten anderen WM-Teilnehmern. So wie Kricket in Pakistan und Indien. Wo alle beklagten Erscheinungen sich eben an Kricket knüpfen.
Faschistoid ist eben nicht die einzelne Sportart, sondern wenn der Massensport.
Dazu der von Dir erwähnte Orwell:
„At the international level sport is frankly mimic warfare. But the significant thing is not the behaviour of the players but the attitude of the spectators: and, behind the spectators, of the nations who work themselves into furies over these absurd contests, and seriously believe — at any rate for short periods — that running, jumping and kicking a ball are tests of national virtue.
Even a leisurely game like cricket, demanding grace rather than strength, can cause much ill-will, as we saw in the controversy over body-line bowling and over the rough tactics of the Australian team that visited England in 1921.“
http://orwell.ru/library/articles/spirit/english/e_spirit
Lieber Philip,
Fussball ist eine Ware. Sicher. Nur, ich bin ein bekennender „Fussballfan“ und ein „säkulerer Humanist“ (ich zitiere, als Bekenntnis ist mir das etwas pomadig). Was nun? Ich benutze meinen Verstand beim Fussball’konsum‘ zudem nur, um zu entscheiden, ob etwas ‚Abseits‘ oder der Ball ‚drin‘ war. Wenn ‚meine‘ Mannschaft gewinnt freue ich mich, wenn sie verliert ärgere ich mich. Das ist „Banal“. Schlimmer noch, es ist sogar meine Freude am „Banalen“. Da dies auch andere tun, bin ich möglicherweise bereits ein Teil „des Massenorganismus“. Ob ich deswegen „faschistoid“ bin, kannst nur Du entscheiden, da „der „Fanschaft das Faschistoide inhärent“ ist. Also mir selbst nicht bewusst ist. Ergo: Nur Du kannst es entscheiden.
Zu meiner Entlastung kann ich nur sagen, dass ich ungerne Fahnen trage. Beim Fussball nie, aber mir ist schon bei Demonstrationen passiert, dass mir einer eine in die Hand gedrückt hat. Und wo wir schon dabei sind: Selbst auf manchen Parteitagen fragte ich mich, dass ich meinen Verstand nicht besser durch die „Freude am Banalen“ ersetzen sollte – „mit dem ganzen Brimborium drumherum“.
Schwer wiegt gegen mich, dass ich merke, dass ich der „Dämonisierung des Gegner“ gelegentlich unterliege: „Bayern München!“. Aber vielleicht auch nur, weil in diesem Verein der „Warencharakter des Fußballs“ am deutlichsten vorgeführt wird. Und das hätte der Instinkt ja auch fast was Positives.
Schön, Philip, dass Du Adorno gelesen hast, ich schätze ihn auch. Dann haben wir neben der aufmerksamen Betrachtung des Fussballs ja noch was zweites gemeinsam. Und deswegen mein solidarischer Rat: während der WM cool bleiben.