Gewalt und Blut, Geld und Statussymbole, Sex und laute Musik, Drogen und Kriminalität sowie ein verzweifelter Emanzipationsversuch, der einen nur noch mehr ins Unglück stürzt. All das hat der derb-schrille Debütroman Königin und Kojoten von Orfa Alarcón zu bieten. Das Buch ist ein typischer und gelungener Narco-Roman über mexikanische Drogenkartelle, aber mit einigen Schwächen in der deutschen Übersetzung von Angelica Ammar.
Perra brava heißt der Roman im spanisch-mexikanischen Original, was soviel bedeutet, wie wilde Hündin. Dieser Titel passt noch besser zum Buch als das deutsche Pendant. Denn das Motiv der wilden Hündin durchzieht das ganze Werk: etwa mit der Hip-Hop-Musik der Band Cartel de Santa, die es auch in der Realität gibt, die ständig sexistisch und gewaltverherrlichend daher rappt und deren brutaler Anführer MC Babo einen Freund erschoss und auf Kaution, die die Fans aufbrachten, wieder frei gelassen würde – die wichtigsten Protagonisten, darunter auch die Ich-Erzählerin Fernanda und ihr Freund und Gangsterboss Julio verehren Babo natürlich. Das wilde-Hündin-Motiv wird auch anhand des Verhaltens von Fernanda demonstriert: Sie ist die Freundin von Julio, dessen Gruppe sich selbst, in Anlehnung an das Cartel de Santa, die Kojoten nennt. Fernanda, die sich zunehmend im Duktus von Julio und seinen Kojoten verhält, ist dementsprechend eine Hündin, die immer wilder wird (auch im Zuge ihres scheiternden Emanzipationsprozesses), gleichzeitig aber die Prinzessin von Julio und des ganzen Hauses sein will, als einzige Frau. So erklärt sich auch der dennoch gut gewählte deutsche Titel.
Schon der Beginn des Buches zeigt die Fernandas Obsession: Nach einer brutalen Sexszene mit dem blutverschmierten und brutalen Julio, der darin übergeht, dass Fernanda, die passender Weise kein Blut sehen, riechen und schmecken kann, sich übergibt. Daraufhin schildert sie fünf Versionen, wie sie Julio kennenlernte – Julio, der Mann im Zentrum ihren Seins. Nur über ihn definiert sie sich, wird nach und nach zu einem reichen, verzogenen Luxusweibchen, das es liebt, ganz Julio ergeben zu sein und sich auch nicht darum schert, auf welche Weise Julio sein Geld verdient – mit Drogen, Erpressung, Mord etc. Gerade darin zeigt sich ein psychosoziales Element des Romans, der für Linke interessant ist: die Verweigerungshaltung, die die eigene Mitverantwortlichkeit an Verbrechen und Menschenrechtsverstößen, durch die ignorierte, aber real vorhandene Mitwisserschaft negiert. So ein Mensch kann natürlich dann kein Blut sehen, auch wenn seine Nächsten es in Massen strömen lassen!
Als sie sich dem blutigen Geschäft Julios aber nicht mehr entziehen kann, da eine andere Gang sie entführen will, und sie (aber nicht die Gang) von der korrupten Polizei gefasst wird, die wiederum einen abgetrennten Kopf auf dem Rücksitz ihres Autos findet, beginnt ihr Emanzipationsprozess. Während sie sich zuvor ganz Julio ergab und hingab, versucht sie nun ein anderes Gangmitglied zu verführen, kopuliert mit Dozenten, baggert andere Kerle in Nachtclubs an, taucht ein paar Tage unter und nähert sich in allem den Kojoten asymptotisch an – sie bringt sogar das Kind einer Geliebten von Julio um. Das ist der zweite psychologische Aspekt von „Königin und Kojoten“, der für Linke interessant ist: Der Emanzipationsprozessgeht scheitert, endet schließlich in einer blutigen, aber dennoch unerwarteten Katastrophe, da Fernanda gerne die Rolle der unterlegenen und Julio ausgelieferten Freundin hatte, da sie gerne nichtfeministisch und unemanzipiert war, und sie gerade in ihr Unglück stürzt, indem sie sich davon distanziert und er dies akzeptiert. Ergo kann ein solcher Befreiungsschlag nur tragisch enden.
Die Tradition der Narconarrativa
En passant spielt auch der Gedanke des Vatermordes eine Rolle, wird aber leider nur sehr stereotyp abgehandelt: Ihr Vater war selbst ein Krimineller, der seine Frau ermordete, dann abtauchte, und vor dem Fernanda sich nach wie vor fürchtet, bis die Kojoten ihn für sie ausfindig machen. Schon ihre Sozialisation war geprägt von Blut und Gewalt, und so ist es nur konsequent, wenn sie sich, ihrer Obsession folgend, Julio als Partner erwählt hat.
Dieser vollgepackte und äußert sozialkritische Roman ist in kurze, leicht und flüssig lesbare Kapitel unterteilt. Der Stil ist meist derb und brutal, manchmal auch literarisch ungeschliffen; also angemessen zur Handlung – partiell entsteht höchstens die Gefahr der Gewaltverherrlichung, aber insgesamt folgt die Form der Funktion, primär in ihrer aufrüttelnden Haltung, ganz in der Tradition der Narconarrativa. Natürlich stößt so etwas dem westlich-bourgeoisen Establishment übel auf, aber derbe Handlungen erfordern äquivalente derbe Erzählmethoden, wobei Alarcón durchaus heterogen zu schreiben vermag. Leider gab es bei der Übersetzung ein paar Schwierigkeiten, etwa da die spanische Vokabel pedo sich gar nicht adäquat übersetzen lässt, um nur ein Beispiel zu nennen. Ammar wählte „stinken“ – so ist ständig die Rede von „stinken gehen“, „Stinker machen“ etc., was aber eigentlich eine zu blasse und aussagelose Formulierung ist.
Alarcón hat mit Königin und Kojoten ein brutales Werk über mexikanische Drogenkartelle, Blut, alltägliche Gewalt, Ignoranz und gescheiterte Befreiungsprozesse vorgelegt, das vom Stil sehr passend, obgleich gewöhnungsbedürftig ist. Die junge, 1979 geborene Autorin hat sich mit diesem fulminant-furiosen Roman, der implizit doch sehr vielschichtig und sozialkritisch ist, lässt man einmal die – auch im Nachwort – unverhohlene Verherrlichung von Cartel de Santa durch Alarcón außer Acht, sicherlich eine hohe literarische Aufmerksamkeit verdient; das wäre gut die Autorin sie, denn ihr zweiter Roman ist bereits in Arbeit.
Orfa Alarcón: Königin und Kojoten, übersetzt von Angelica Ammar, Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2014. Englische Broschur, 192 Seiten, 14,90 Euro. Weitere Informationen gibt es unter: http://www.wagenbach.de/buecher/titel/934-koenigin-und-kojoten.html
Philip J. Dingeldey