Das digitale Panoptikum

Quelle: C.W. Leske Verlag
Quelle: C.W. Leske Verlag

Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International lobt dieses Buch, so wie viele andere Rezensenten auch, als erste umfassende und spannend geschriebene Darstellung des Skandals des US-amerikanischen Geheimdienstes National Security Agency (NSA) und der Whistleblower-Tätigkeiten des Volkshelden Edward Snowden, der am Mittwoch (zusammen mit Guardian-Chefredakteur Alan Rusbridger) den Alternativen Nobelpreis erhalten hat. Die Rede ist vom neuen Buch EDWARD SNOWDEN. Geschichte einer Weltaffäre, geschrieben vom britischen Journalisten Luke Harding.

Dieser ist für so ein Buch regelrecht geschaffen: Er schrieb schon ein Buch über WikiLeaks und arbeitet für den Guardian – das Medieum, das sowohl die Dokumente des Whistleblowers Bradley (inzwischen: Chelsea) Manning als auch Edward Snowdens publizierte. Hardings neues Buch ist nun eine evidente umfassende Darstellung der Snowden-Files – so der englische Titel -; zwar haben schon andere zuvor Bücher über Edward Snowden und PRISM geschrieben, nicht zuletzt der Journalist und Jurist Glenn Greenwald, der zusammen mit Ewen MacAskill und Laura Poitras Snowden in Hong Kong traf und die streng geheimen NSA-Dokumente auswertete sowie publizierte. Jedoch ist etwa Greenwalds Buch Die globale Überwachung eher der subjektiv gefärbte, sehr emotionale Erfahrungsbericht eines Zeitzeugen über das Ende der Privatssphäre.

Das Buch ist ergo auch keine reine Biographie des NSA-Mitarbeiters und Computer-Genies Edward Snowden, der zig tausende Dokumente jenes Geheimdienstes digital mit sich führte, die belegten, dass diese, sowie etwa ihr britisches Pendant, das Government Communications Headquartes (GCHQ), und andere Geheimdienste der fünf großen anglophonen Staaten, weltweit die digitale Kommunikation von normalen Bürgern, Firmen und Politikern abhörten, und all das im Zuge der nationalen Sekurität im sogenannten Global War on Terror. Zwar gibt es durchaus biographische Sequenzen zu Beginn des Buches, die über Snowdens Kindheit, seine Eltern, seine patriotische, ja, fast schon konservative Attitüde und der Jobfindung berichten. Aber hauptsächlich geht es darum, wie Snowden an die Dokumente gelang, was diese wirklich alles beinhalten, und wie die Journalisten und Redaktionen des Guardian, aber auch der New York Times dieses Material auswerteten, publizierten, sich couragiert mit der Regierung anlegten. Immer wieder wird diese chronologische Schilderung unterbrochen durch Kapitel, die über politische und juristische Hintergründe und das quasi grenzenlose Abhören informieren.

Harding versucht dabei eine sachliche Haltung einzunehmen, was ihm als nichtinvolvierten auch leichter gelingt als etwa Greenwald. Natürlich zeigt sich trotzdem eine positive Konnotation von Edward Snowden, der mutig sich gegen seine eigene Regierung stellte, um aus Patriotismus und Liebe zur Verfassung der USA agierte, um die globalen Menschenrechtsverstöße aufzudecken, und dabei auch die persönliche Gefahr dafür in Kauf nahm, seine Freundin verließ und sich nun irgendwo im russischen Exil befindet. Und Harding verfällt geradezu in Lobeshymnen über den Guardian, für den er ja auch arbeitet, und der couragierten Position von Rusbridger gegenüber den Regierungen und einer Organisation, die das Internet beherrschte und die Redaktion zwang, ihre eigenen Computer zu zerstören – ein Akt bei dem viele Linke große Lust in einem Anfall gerechten Zorns bekämen und mit Pflastersteinen auf das Weiße House und Downing Street Nummer 10 werfen möchten.

Der amerikanische Dissident

Das Buch ist ein gutes journalistisches Werk. Stilistisch steigt Harding in jedem der insgesamt übersichtlichen 14 Kapitel szenisch ein, bringt wertvolle Analogien, aber auch atmosphärische Details, die das Buch mit den faktenreichen Schilderungen etwas auflockern. Größtenteils ist seinem Stil eine große journalistische Finesse inhärent. Leider übertreibt er es zuweilen mit der stilistischen Onanie, wenn er etwa ständige Vergleiche mit WikiLeaks und Julian Assange liefert oder vor allem in den letzten Kapiteln – obgleich sehr verständlich – den Text mit allerlei Pathos umschließt oder auch über die stellvertretende Leiterin von Human Rights Watch in Russland, Tanja Lokschina, schreibt: „Während sie Anrufe von Medien aus der ganzen Welt entgegennahm, fütterte sie ihr Baby mit pürierten Möhren.“ Diese sehr befremdliche Beschreibung wirkt einfach deplaziert.

Auch inhaltlich ist das Buch durch und durch journalistisch. Es finden sich viele Zitate und Beschreibungen von Zeitzeugen, und die Informationen werden allgemeinverständlich vermittelt. Leider belegt er dabei nie, woher er seine Informationen hat. Hat er von anderen Büchern etwas übernommen? Woher stammen die Originaltöne, aus anderen Interviews oder Büchern oder hat er diese selbst befragt? Da wurde leider etwas intransparent gearbeitet.

Im Grunde ist Snowden kein typischer Linker, über den dieses Buch berichtet. Er hält jedoch, als überparteilichen Wert, bürgerliche und politische Freiheitsrechte hoch, die im Netz verletzt werden. Und damit wurde er zu einem mutigen Dissidenten eines Staates, der sich mehr und mehr eine imperialistische und neofundamentalistische Attitüde zulegt, der USA, und das nicht nur unter der Buch-Administration, sondern auch der des Friedensnobelpreisträgers Barack Obama, der die Überwachung noch perfektionierte und damit ein digitales Panoptikum kreierte. Auch das wird bei Harding klar. Und politisch ist die Positionierung zu Snowden keinefalls gebunden. Es gab aus allen Lagern Anhänger und Kritiker von ihm – schließlich verstieß er gegen das Gesetz, aber dies zu einem höheren Zweck, dem Allgemeinwohl, indem er Menschenrechtsverstöße aufdeckte, für die sich Obama aber immer noch nicht verantworten, geschweige denn die Überwachung beenden will. Obama hat lediglich Snowden und den Guardian harsch kritisiert und unter Druck gesetzt, und wollte diesen die Schuld an dem Ganzen geben, da sie Obamas eigene Verfehlungen und Verstöße aufdeckten. Trotz einiger Mankos ist daher EDWARD SNOWDEN. Geschichte einer Weltaffäre für alle Linken und Linksliberalen geeignet, die sich mit Big Data und der globalen Überwachung durch NSA und GCHQ befassen.

Luke Harding: EDWARD. Geschichte einer Weltaffäre, übersetzt von Luisa Seeling/ Henning Hoff, Edition WELTKIOSK im C. W. Leske Verlag, London/ Berlin 2014. Englische Broschur, 19,90 Euro, 277 Seiten. Weitere Informationen gibt es unter: http://www.weltkiosk.net/edward-snowden

Philip J. Dingeldey

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