Feminismus, fuck yeah! Das ist der neue feministische Kampfschrei; zumindest wenn es nach der Onlinefeministin Anne Wizorek geht. Diese ist durch den Twitter-Hashtag aufschrei landesweit bekannt geworden. Zu einem Hashtag gebündelt, diskutierten und berichteten darin Frauen über Sexismen und sexuelle Diskriminierung von Frauen. Über ihre eigene Motivation, ihre Vorbilder und feministischen Positionen berichtet Wizorek nun in ihrem neuen Buch (ganz recht, sie bedient damit auch die analoge Öffentlichkeit) Weil ein #aufschrei nicht reicht. Für einen Feminismus von heute. Ihr gedrucktes Werk ist provokativ, manchmal auch subversiv, aber immer ehrlich, vermittelt aber kaum Neues.
Weil ein #aufschrei nicht reicht ist in zwei sehr unterschiedliche Teile untergliedert. Im ersten Teil Don´t call it a comeback! Eine feministische Agenda für jetzt beleuchtet sie typische Themen des deutschen Feminismus, von Frauenquote über sexuelle Gewalt bis hin zu den Rechten sexueller Minderheiten, sprich, Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transmenschen, Queermenschen und Intersexuelle. Gerade zu klassisch hackt sie feministische Positionen dazu ab, leider ohne besondere qualitative Tiefe.
Klar und aufrichtig bezieht sie Position, etwa für die Frauenquote oder auch die Pille danach (im Sinne sexueller Autonomie), und wettert dabei auch eifrig gegen konservative oder religiöse Ansichten, die ihre Art von Feminismus einschränken wollen. Vieles, was sie schreibt, ist damit sicherlich richtig, auch wenn sie an seltensten Stellen ihre eigene Argumentation unterminiert, beispielsweise, wenn sie das Ressentiment auszuräumen versucht, dass Feministinnen hässlich seien und zu wenig Sex hätten, nämlich an ihrem eigenen Beispiel oder sexologischen Statistiken, um dann festzustellen, dass eine solche Rechtfertigung eigentlich nicht nötig sei, da es de facto um etwas anderes gehe, als die Ästhetik von Feministen oder ihren Ismen. Ansonsten ist ihr Vorgehen sehr stringent, aber muss an der Vielzahl der Themen und Beispiele scheitern, bleibt immer auf einer pauschalen Ebene und kann diesbezüglich höchstens als Einführung fungieren. Ein schwieriger Punkt an dem Werk ist auch, dass Wizorek das theoretische Fundament fehlt, wie sie selbst stolz erklärt. So orientiert sie sich etwa nicht an großen feministischen Theoretikern, wie Simone de Beauvoir, Luce Irigaray oder Judith Butler, sondern an popkulturellen Vorbildern und Beispielen, die vor allem in den digital-sozialen Netzwerken ablaufen; dabei wäre eine gute Mixtur aus beiden, sicherlich sehr heilsam gewesen. Vor allem sind manche ihrer Vorbilder, wie die Sängerin Beyonce Knowles, mit ihrer (vermeintlich feministischen und autonomen) Darstellung von Sexismen nicht unbedingt das beste Exempel.
Sexismus ohne Kalorien
Der zweite Teil des Buches, Wir sind viele. Ein Rekrutierungsversuch differiert dafür stark vom ersten Part, denn hier berichtet sie, quasi autobiographisch, über ihre eigenen digitalen Aktionen gegen Sexismus, sexuelle Gewalt gegen Frauen etc. Auch wenn das Ganze nun etwas propagandistisch anmutet – etwa beinhaltet dieser Teil auch ein Kapitel darüber, wie weiße Männer ihre Privilegien zugunsten des Feminismus einsetzen können -, so erhält man doch hier einen Tatenbericht aus nächster Nähe, etwa über die Entstehung von #aufschrei, seinem Erfolg, oder man bekommt auch Informationen zu seinem US-amerikanischen Pendant, #yesallwomen, der nach einem misogynen Amoklauf entstand.
Am aufsehenerregendsten an dem Werk ist jedoch der Stil: Auch wenn sie versucht, sachlich zu argumentieren, baut sie doch immer sarkastische (bis gehässige Kommentare) ein, benutzt unnötige Anglismen und schreibt ganz im Sinne des digitalen Alltagssprech. Das ist natürlich absolut kongruent mit ihrer digitalen Agenda und ist auch einmal gedruckt ganz erfrischend zu lesen, wenn es, wie in diesem Fall, zum Kontext passt. Manchmal verpackt sie ihre Thesen auch mit einer gehörigen Portion Humor, was das Lesen versüßt und den Feminismus schmackhafter macht, wie etwa dieses Zitat: Das überflüssige Gendern „beschert uns seit einiger Zeit so sinnfreie Produkte wie nach BBQ schmeckende Männerchips und süßlich-pikante Chips für den ,Mädelsabend´. Hmmm, ich stehe ja auf Sexismus light, der hat gleich viel weniger Kalorien!“
Ergo ist Wizoreks Weil ein #aufschrei nicht reicht eine ganz unterhaltsame Einführung in die Praxis des (primär digitalen) deutschen Feminismus unserer Zeit. Das Buch ist angenehm zu lesen, und sicherlich auch eine gute Anleitung für feministische Diskussionen oder Online-Aktionen, auch wenn das Fundament etwas fehlt. Etwas bedenklich ist, das liegt wohl an der fehlenden politischen Theorie von Wizorek, ihr Umherlavieren zwischen liberalen und linken Positionen. Etwa ist sie für eine Gleichberechtigung von Frauen und Männern in Vorstandspositionen, wettert auch gegen das Wirtschaftspatriarchat, aber kommt zu keiner dezidierten Kritik des Neoliberalismus per se, die sich mit dem zeitgenössischen Feminismus en passant vereinigen ließe. Hier mangelt es noch etwas an radikaler Stringenz.
Wizorek, Anne: Weil ein #aufschrei nicht reicht. Für einen Feminismus von heute, Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2014. Englishce Broschur, 333 Seiten, 14,99 Euro. Weitere Informationen gibt es unter: http://www.fischerverlage.de/buch/weil_ein_aufschrei_nicht_reicht/9783104030494
Philip J. Dingeldey