Konnte man noch vor wenigen Tagen recht fundiert prophezeien, dass die Partei Die Linke nach dem schlechten Abschneiden bei der letzten Bundestagswahl, dem vollzogenen Bruch mit dem Flügel um Sahra Wagenknecht und dem bis zu Parteiaustritten vollzogenen Streit um den Umgang mit Israel, mit der jetzt stattfindenden vorgezogenen Wahl endgültig von der bundespolitischen Bühne abtreten wird, hat sich der Wind wohlmöglich gedreht. In den meisten Umfragen werden die weichgespülten Wahlkämpfer rund um ihre viral gehende Spitzenkandidatin Heidi Reichinnek und den sympathischen Jeansträger Jan von Aken mit 5 bis 6% wieder im Bundestag gesehen.
Erstaunlicherweise sogar noch vor der in den letzten Landtagswahl so erfolgreichen Abspaltung BSW, denen die Wahlforscher nur noch um die 4% Zustimmung zuschreiben. Unglücklich für eine Parteivorsitzende und ihre noch im Aufbau befindliche Partei, hat sie doch selbst in den letzten Tagen geäussert, dass sich der Erfolg des Projektes am Einzug in den Bundestag wird messen lassen müssen. Wobei anzumerken ist, dass die zweistelligen Erfolge bei den letzten Landtagswahlen und die Mitregierung in zwei ostdeutschen Bundesländern bereits einen veritablen Erfolg darstellen, dem Respekt zu zollen ist.
Woran liegt es aber nun, dass Die Linke so plötzlich aus ihrem sanften Dahindämmern erwacht zu sein scheint? Die „Mission Silberlocke“ kann es nun nicht sein, die zu diesem elektoralen Zwischenspurt führt, da die drei angegrauten Herren eher wenig bis gar nicht in der öffentlichen Wahrnehmung vorkommen. Auch das Wahlprogramm mit der so satzreichen wie auswechselbaren Überschrift „Alle wollen regieren. Wir wollen verändern. Reichtum teilen. Preise senken. Füreinander.“ und die daraus abgeleiteten Plakate werden sicher nicht über Nacht das Wahlvolk von der Sinnhaftigkeit der Politik dieser Linken überzeugt haben.
Sollte man tippen, was zu diesem erstaunlichen Umschwung in der Wählergunst geführt hat, dann ist es wahrscheinlich die mittlerweile millionenfach in den Sozialen Netzwerken verteilte Rede der Spitzenkandidatin Reichinnek im Bundestag im Rahmen der von der CDU initiierten Abstimmungen der letzten Woche. Dieser sogenannte Dammbruch im Umgang mit der AfD hat nicht nur im Nachgang zu – mittlerweile wieder abgeflauten – Demonstrationen geführt, sondern Reichinnek schon während des Geschehens zu einer wütenden Gegenrede animiert. Mit mittlerweile über 6 Millionen Aufrufen hat Reichinek damit gezeigt, wie stimmungs- und politikbeeinflussend die Sozialen Netzwerke in den letzten Jahren geworden sind.
Abseits davon – und von ihrer ohnehin gelungenen Onlinepräsenz – ist der Inhalt dieser Rede nicht nur authentisch, sondern drückt auch das aus, was viele Wähler, deren Herz links schlägt (aber zwischenzeitlich heimatlos war) angesichts der aktuellen Entwicklungen empfinden. Die politische Lage mit dem sich abzeichnenden Rechtsruck der Politik in Deutschland lässt es wünschenswert erscheinen, dass es der Linken gelingen mag diesen elektoralen Schub auch über die Ziellinie zu tragen. Eine sichtbare linke Opposition dürfte dem neuen Bundestag gut tun.
Welche politischen Alternativen diese Linke dann parlamentarisch zu formulieren vermag, bleibt abzuwarten. Denn es dürfte mehr als ein Tiktok-Gewitter brauchen, um das Abdriften der spätkapitalistischen Republik nach rechts einzuhegen. Zumal eine Fraktion der Linken – und möglicherweise auch des BSW – die Regierungsbildung verkomplizieren wird. Wenn dann eine CDU mit den kriegslüsternen Grünen und der flügellahmen SPD koaliert oder gar die neolibaren Schuldengrenzwächter der FDP wieder in der Regierung beteiligt werden (müssen), dürfte dies aller Voraussicht nach eher Wasser auf die Mühlen der AfD sein. Und ob eine solch zusammengeschusterte Regierung nicht versuchen wird die Zumutungen der Forderungen der AfD unter dem Deckmantel einer „Brandmauer der Mitte“ selber umzusetzen, bleibt abzuwarten. Zu befürchten ist es.
(mb)