Lehren aus den Berufsverboten für die Gegenwart1

Georg Fülberth, wie ich Zeitgenosse und – partiell – Betroffener der Berufsverbote, hat einen Beitrag im Januarheft von KONKRET in dem Stil geschrieben, den wir von ihm kennen, und der – zumindest mich – stets amüsiert, nach dem Motto Viel Feind, viel Ehr‘ oder: wie der Drache Berufsverbot zuerst gefesselt, dann besiegt worden ist. Zuerst möchte ich einige Ausschnitte aus Fülberths Artikel zitieren [Geglücktes Wagnis. 40 Jahre Radikalenerlaß = KONKRET 1/2011, S. 39], dann mittels einer kurzen Bibliographie über die Literatur zu den Berufsverboten informieren, unvermeidlich mit kleinen, subjektiven Hervorhebungen, und drittens möchte ich eine kurze Meinungsdifferenz zu Fülberth formulieren.

I. Fülberth : 40 Jahre Radikalenerlaß

Man hätte von Anfang an genauer hin­hören sollen. »Wir wollen mehr De­mokratie wagen«: So sprach Bundes­kanzler Brandt in seiner ersten Regierungs­erklärung 1969. Was könnte er wohl gemeint haben? Die Demokratie stand schon seit 1949 im Grundgesetz, aber es war nicht so viel daraus geworden, wie dem Wortlaut nach möglich ge­wesen wäre. Sie wurde unter anderem durch das politische Strafrecht eingeschränkt, Ar­beitsgerichte hatten den politischen Streik für illegal erklärt, die Kommunistische Partei war verboten. Wenn jetzt solche Hindernisse beisei­tegeräumt werden sollten: schön. Aber warum nannte Brandt dies ein Wagnis? Darum: Er sprach als Obrigkeit, die Demokratie dosiert verabreichen wollte – nicht die ganze sollte es sein, sondern eben nur »mehr«. Ihre Grenzen wurden gleich mitgeliefert.[…]
Aber die Union verlangte [nach dem symbolmächtigen Auftritt der RAF;ML] mehr: Der Öf­fentliche Dienst werde von Verfassungsfeinden belagert, die müßten draußen bleiben. Gemeint waren junge Leute, die von der Apo politisiert worden waren und nun Leh­rerinnen und Lehrer werden wollten. (Das war damals der akademische Durchschnittsberuf wie vorher Jurist und heute BWL.) Nach konservativem Verständnis gehörten Akademiker zur Elite, und 1968 waren Teile von ihr desertiert. Diese Betrachtung war etwas oberflächlich, denn sie verkannte einen Tiefenprozeß: das An­wachsen der Intelligenz zur Massenschicht. Hier wurde die SPD aufmerksam: Nach Godesberg hatte sie sich dieses Potential allmählich erschlossen, und sie wollte es nicht verlieren. Die 1968 gegründete DKP war einige Zeit attrak­tiv für die Unipopulation geworden. Wenn bei der SPD etwas funktioniert, dann ist es der Re­flex gegen linke Organisationskonkurrenz. […]
Auch in Bayern und etlichen CDU-Ländern ließ man Linke nicht in den Staatsdienst, aber dort gab es nicht so viele verdächtige Bewerber(innen), und außerdem war es dort halt das Übliche, während in den sozialdemokratisch regierten Regionen noch ein symbolpolitischer Knalleffekt hinzukam.[…]
Zurück in die Ära Brandt. Nunmehr wurde die »Regelanfrage« eingeführt. Wer in den Staatsdienst wollte, wurde vorher vom Verfas­sungsschutz gescreent. Insgesamt geschah das 1,4 Millionen Mal; 1.250 Bewerber wurden abge­lehnt, 136 Personen entlassen. Schwerpunkt wa­ren die Schulen, aber es gab auch Berufsverbote bei Bahn und Post, bei letzterer sogar beson­ders heftige: Briefsortierer und -zusteller, die schon längst Beamte auf der untersten Stufe wa­ren, wurden wegen DKP-Mitgliedschaft entfernt.
Die beiden Annahmen, auf denen die Ra­dikalenverfolgung beruhte, erwiesen sich als falsch. Erstens: Wegen ihrer Fixierung auf die UdSSR und die DDR konnte die DKP die Intel­lektuellen auf Dauer nicht halten. Zweitens: Spätestens nach der Installierung neuer Mittel­streckenraketen in Europa 1983 war die Sowjet­union gar nicht mehr so bedrohlich, wie es lange ausgesehen hatte.
Seit Beginn der Lehrerarbeitslosigkeit in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre erwies es sich auch gar nicht mehr als nötig, daß sich die Einstellungsbehörden mit politischen Ableh­nungsgründen blamierten: Wurde jemand nicht genommen, lag es eben einfach am Über­angebot von Bewerbungen. Um 1980 herum wurde zunächst in den sozialdemokratisch re­gierten, dann in allen anderen Ländern (zuletzt 1991 in Bayern) die Regelanfrage wieder abge­schafft, »Bedarfsanfragen« aber bleiben weiter­hin möglich.[…]
Schon der späte Willy Brandt soll irgend­wann gemurmelt haben, die Sache mit dem sogenannten Radikalenerlaß sei wohl ein Fehler gewesen. Er irrte. Die Maßnahme hatte durch­aus eine beabsichtigte Wirkung. Nach 1972 rie­ten so manche besorgten Eltern ihren radikalen Kindern, sie sollten es doch lieber mit Umwelt­schutz versuchen. Vorsicht zog bei den jungen Leuten ein. Die SPD hatte allerdings nichts davon: Zwar war nicht die DKP die Generalver­tretung der Massenschicht der Intelligenz ge­worden, dafür wurden es die Grünen. Mit ihrer Anpassungspädagogik gehört die Entschließung von 1972 ebenso wie die Vorgän­geredikte durchaus zu den konstituierenden Dokumenten der deutschen Staatsräson.

II. Ausgewählte Bibliographie: Berufsverbote

1976 (Elementartext): = Herausgeber: Horst Bethge, Richard Bünemann, Hinrich Enderlein, Ingrid Kurz, Erich Roßmann, Theo Schiller, Helmut Stein, Gerhard Stuby (Hrsg.): Die Zerstörung der Demokratie durch Berufsverbote. Köln: Pahl-Rugenstein 1976.
Aus dem Arbeitsausschuss der Initiative ‚Weg mit den Berufsverboten‘: Bethge, Kurz, Roßmann, (DFU), Stuby. Außerdem: Bünemann (SPD), Enderlein, Schiller (FDP), Stein (DKP).
Artikel: Bethge: Ausmaß und Umfang der Berufverbote in der BRD, 44-53.
daß die politische Aktivität von 800 000 Bundesbürgern bis zu 13 Jahren rückwärts geprüft wurde [Verfassungsschutz]; 46
es werden also insgesamt 1056 Berufsverbotsfälle für den Zeitraum 1.1. 1973 bis 30.6. 1975 zugegeben; 49

Ergebnis der politischen Justiz war, daß allein in den Jahren 1951 bis 1961 von der Polizei und Staatsanwaltschaft über 500 000 Ermittlungsverfahren gegen Bürger der Linken eingeleitet wurden, Zehntausende von Strafverfahren wurden durchgeführt. Fast immer gab es im Durchschnitt zu jener Zeit 100 bis 200 politische Gefangene in der BRD. (Helmut Stein); 204
Fall Horst Holzer II, Marburg Gutachter u.a. Roland Bathes, Stuart Hill, Robert Minder, Jost Hermand.. Fall Holzer Tl. 1 Bremen/Oldenburg = Russell-Trb 1 (s.u.) S. 144 ff (durch Thomas Blanke) – Holzer, lt. Verwaltungsgericht Bremen. „Gilt für den Marxismus, das Proletariat zur Aktivität aufzurufen, um die den historischen Gesetz entsprechende Entwicklung zu beschleunigen, das heißt der Menschheit eher den Endzustand des Kommunismus zu bringen. [Wer Aufruf? Partei!] Diese Partei, die ‚Vorhut der Arbeiterklasse‘, hat darüber hinaus die Aufgabe, durch Taktik und Strategie alles zu tun, um Schwankungen der ‚kleinbürgerlichen Demokraten‘ auszunutzen, die feindlichen Kräfte der Bourgeoisie in Verwirrung zu bringen und zu schwächen, um so die Zeit für die sozialistische Revolution reif zu machen. Daher ist Marxismus-Leninismus nicht lediglich Erkenntnistheorie, sonder er will auch Anleitung zum Handeln sein“ (Zeitschrift für Beamtenrecht 1973, 415) = Brückner 1977, S. 17
Zusammenhang Berufsverbote und Ausbau des staatlichen Repressionsapparates nach der Lorenz-Entführung/RAF: Von den Erlassen „über die Entfernung demokratischer und sozialistischer Kräfte aus dem öffentlichen Dienst bis zu dem Gesetzespaket zu inneren Sicherheit, das von einer Veränderung der Strafprozeßordnung (Verteidigerüberwachung) bis zur Verschärfung des Demonstrationsrechts und zur neu eingeführten Zensur politischer Schriften reicht. Damit soll zwar einerseits eine kleine Gruppe von politisch Aktiven, insbesondere Sozialisten, ausgeschaltet werden, darüber hinaus soll aber der ganzen Bevölkerung eine Lehre erteilt werden. […) Ohne diesen Zusammenhang zu sehen, kann das Berufsverbot nicht erklärt werden, das heiß aber insbesondere auch: kann auch der Kampf nicht richtig geführt werden.“ 216/7(. = Utz Maas: Widerspruch in der Berufsverbotspraxis, S. 214-220.
Bericht über Reaktionen aus dem Ausland ; 221
UNO-Anfrage ; 251
Dok. 7 Erklärung Konstanzer Professoren: Die Unterzeichner sehen eine solche Gefahr der Aushöhlung demokratischer Grundrechte in der auf die sog. Radikalenerlasse gegründeten Ausforschungs-, Beurteilungs- und Ablehnungspraxis. Die unmittelbare Folge ist ein erheblicher Einschüchterungseffekt in den Berufsfeldern des öffentlichen Dienstes. [Philosophie als Beispiel: Janich;Kambartel;Mittelstraß;Wellmer; angeschlossen Freiburg, Heidelberg, Tübingen, Stgt: Abel;Bloch;Fahrenbach;Henrich;Picht;Schulz;Theunissen;Tugendhat); 270/271
Bundespräsident (ab 1979) Prof. Dr. jur. [1938] Carstens [CDU, vordem NSdAP] am 15. Nov. 1974 im Bundestag: DKP-Mitgliedschaft, außer: „wenn durch Zwang, Zustand Bewußlosigkeit“ (Gehirnwäsche?), „minderer geistiger Fähigkeit“ (Debilität?): „Aber sonst spricht in der Tat eine erdrückende Vermutung dafür, daß er ein Feind unserer verfassungsmäßigen Ordnung ist. Darum herumzureden, meine Damen und Herren, ist, wie ich meine, nicht nur eine intellektuelle Unredlichkeit, sondern viel schlimmer. Das bedeutet nämlich eine Verwischung der klaren Grenzlinie zwischen den freiheitlich-demokratischen Parteien in unserem Land und den Parteien, die die freiheitliche Ordnung zerstören wollen. Darum hilft auch nicht all das juristische Beiwerk, das diejenigen die so argumentieren, hier vorzutragen pflegen. [Es gibt immer juristische Grenzfälle…] Aber wenn die untere Hälfte des Unterschenkels eines Menschen quer zu der oberen Hälfte des Unterschenkels dieses Menschen steht, kann jedes Kind auf der Straße erkennen, daß sich der Mann das Bein gebrochen hat, und ich meine, so klar ist die Sache, wenn es sich um die Frage handelt, ob die DKP eine verfassungsfeindliche Partei oder Organisation ist.“ (325/6)

Helmut Ridder: Berufsverbot? nein, Demokratieverbot. 57-66
Ungeheuerlichkeit dieses unter Inanspruchnahme eines von subalternen Gehirnen kleiner und mittelmäßiger systemüberdauernder Fouchés bedienten gesinnungs- und ausforschungspolizeilichen Apparates bewerkstelligten Verfassungsbruchs…; 58
‚Verfassungsfeindlichkeit‘ ist ein rüder Vor- oder besser Anwurf, der in Ermangelung von Argumenten in der politischen Auseinandersetzung Verwendung findet…. Rechtliche Relevanz kann dem Anwurf nicht zukommen, da es ja gerade zum Inhalt der – dem sonstigen Recht übergeordneten – Verfassung gehört, daß jegliches mit legalen Mitteln erfolgendes Agitieren selbst gegen Verfassungsnormen statthaft ist. … Denn keine Verfassung kann den Anspruch auf demokratische Qualität erheben, die sich anheischig machen würde, den Rückgriff auf den demokratischen pouvoir constituant zu verbieten….; 60
Was aber tatsächlich der unter dem Namen ‚Verfassungsschutz‘ tätig werdende Apparat betreibt, ist wiederum Staatsschutz, also Schutz des der Herrschaft des Rechts entzogenen Überschusses an ‚Staat‘, wobei das geschützte Heiligtum Staat…; 64


1975: Ridder II = Monumentum Germaniae Juridicum. (konkret 25.Sept 1975 & 30.Okt. 1975) erneut in: Helmut Ridder: Gesammelte Schriften (Hg.: Deiseroth/Derleder/Koch/Steinmeier) Baden-Baden Nomos, S. 655-675
Betrieb und Erzeugnisse der obersten Justizdestille [=BVerfG] des bundesdeutschen Zeitgeists weisen, wie wir sehen, zwei charakteristische Symptome auf: Erstens die sich als Wirklichkeitserfassung vorkommende und gerierende seherisch-erfinderische Schau von Unwirklichkeiten, und zweitens ein Rechtsverständnis, dem vorhandene oder politisch herbeigewünschte Wirklichkeiten sozialer Macht in massiver Ballung zu ‚Recht‘ werden, das über dem geltenden Recht steht. So werden politische Konflikte uferlos ‚verrechtlicht‘ und dem demokratischen politischen Prozeß die ohnehin dünne Luft abgelassen; 657
So erhält zB die DKP, …, den in der wirklich geltenden Rechtsordnung nicht vorkommenden und doch mit (negativen) Rechtsfolgen ausgestatteten Status einer ’noch(!) nicht verbotenen Partei‘. … So wird gegen alles geltende Recht legales Gebrauchtmachen von demokratischen Grundrechten mit unerwünschtem Inhalt unter der Kennmarke ‚verfassungsfeindlich‘ als ‚an sich‘ rechtswidrig betrachtet, aber in den Grenzen der Opportunität ‚toleriert‘. Politisch unliebsam =’verfassungsfeindlich‘ ist auf jeden Falles alles, was nach politikwissenschaftlicher Begriffsbildung, die aber gerade nach der Verfassung keine rechtliche sein darf, als ‚Fundamentalopposition‘ bezeichnet werden kann …: 659
Es ist deswegen auch nur konsequent, wenn die Beseitigung der grundrechtlichen Freiheiten sich nicht auf den öffentlichen Dienst beschränkt und die ‚Staatsfeinde‘ zunehmend auf allen Feldern des öffentlichen, ja sogar des privaten Lebens rechtlos gelegt, grundrechtliche Freiheiten also generell nur noch als Lohn für Wohlverhalten vergönnungsweise relevant werden. … Daß in der Gewerkschaft das Messer gegen ‚Staatsfeinde‘ gewetzt wird… zeugt ergreifend von der unter solchen Umständen verständlichen Angst vor Verspätungen bei der eigenen Beerdigung. 674
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1977: Jens A. Brückner: Das Handbuch der Berufsverbote. Rechtsfibel zur Berufsverbotspraxis. Berlin: Nicolaische Verlagsbuchhandlung 1977.
Berufsverbot und Repression – eine deutsche Tradition
Wie verhalte ich mich bei Anhörungen und Einstellungsgesprächen?
46- 82
Dokumente:
Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 22.Mai 1975 (NJW 1975, S. 161ff.) = 183ff.
Abweichende Meinung des Richters Dr, Rupp; 206ff.
Lenhardt-Urteil = Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 6. Febr. 1975; 6.2.1975
Urteil Bundesarbeitsgerichts 31. März 1976 (DKP-Urteil)
Urteile: Einstellung Arbeitsgericht Berin 10.4.75 (234);
Verfassungsschutzberichte:
DKP/SEW ; 253
Maoisten (KBW;KPD;KPD/ML;KAPD;KB); 262
Literaturverzeichnis, 268- 275
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1978: 3. Internationales Russell-Tribunal. Zur Situation der Menschenrechte in der Bundesrepublik Deutschland Band 1. Berlin: Rotbuch Verlag 1978
Die dritte Schwierigkeit wurde von der DKP geschaffen. [Die zweite von den Gewerkschaften] Die Berufsverbote und ihre vorgelagerten Maßnahmen können bekanntlich jedermann treffen. Die Expansion der Fälle aufgrund der lächerlichsten Anlässe im Verlaufe der letzten Jahre straft alle verharmlosenden Aussagen Lüge, es sei mit den Berufsverboten ‚besser‘ geworden‘ Engagierte Linke, aufmüpfige Studiker, linke Mitglieder der SPD, selbstverständlich Mitglieder aller K-Gruppen und anderer linken Gruppierungen. Wer zählt die Anlässe, nennt die Namen. Dennoch ist es eine unbestreitbare Tatsache, daß die Mehrheit aller Mitglieder aller Berufsverbote – man schätzt ca. 60% – gegen Mitglieder oder angeblich überführte Sympathisanten ausgesprochen worden sind.
[Gegenmeinung: „Patrick Moreau ermittelte allein bei der DKP, die anders als diverse K-Gruppen viel weniger von den Berufsverbotsfolgen betroffen war, etwa 1.500 Mitglieder ihres „harten Kerns“, die unter den Radikalenerlass fielen. = Patrick Moreau, Der westdeutsche Kommunismus in der Krise, in:
Uwe Backes/Eckhard Jesse (Hg.), Jahrbuch Extremismus und Demokratie, Bonn 1990, S. 176. Zit. Nach: Thomas Klein: Politisches Strafrecht in der BRD = www.telegraph.ostbuero.de/115/Klein.html]
…wurde von der DKP selbst all ihren Mitgliedern nahegelegt, sich nicht am Russell-Tribunal zu beteiligen. Die Gegnerschaft der DKP gegen das Tribunal ging sogar noch weiter. Sie hat Mitgliedern, die sich am Russell-Tribunal beteiligten wollten, mit dem Ausschluß bedroht. Wolf-Dieter Narr; 19/20
Ausgeschlossen wurde z.B. Jutta Kolkenbrock-Netz (Bochum), =Aussage 65-71.
Jürgen Seifert: Geschichtliche Aspekte der Berufsverbote in Deutschland. S.58-64
Ulrich K. Preuß: Strategien staatsbürgerlicher Diskriminierungen, S. 78-93

1978: 3. Internationales Russell-Tribunal. Zur Situation der Menschenrechte in der Bundesrepublik Deutschland Band 2. Berlin: Rotbuch Verlag 1978 Sitzungen: 29.3.1978 bis 2.4. 1978
Zahlen: Mai 1978: SPIEGEL 1,3 Mill Überprüfungen mit ca. 15.000 Erkenntnissen und knapp 1000 Berufsverboten
DIE ZEIT 1 Mill. Überprüf., 20.000 Erkenntnisse und 2000 Berufsverbote. Russell-Trb: Mitte von Spiegel und Zeit; 23
Ende 1976 tätig in Bundes-Landes-Kommunaldienst ca. 2000 Linksextremisten, Nicht-KPP = 621; 50
8. Widersprüchliche Situation: Die Gewerkschaften erleiden und verstärken das Berufsverbot – durch Gewerkschaftssauschlüsse; 71
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1979: Klaus Farin, Hans Jürgen Zwingmann (Hrsg.): Modell Deutschland? Berufsverbote. Geleitwort von Günter Wallraff. 2. neubearbeitete und erw. Auflage Ettlingen: Doko-Verlag 1979
Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums vom 7. April 1933; 18
19. Sept. 1950 Säuberung öff. Dienst von KPD =Adenauer-Erlaß) = gemeinsames Ministerialblatt Nr.12 20.9.1950 /unter 10. VVN/ ; 148
Grundsätze zur Frage der verfassungsfeindlichen Kräfte im öffentliche Dienst. 28. Januar 1972 Beschluß der Ministerpräsidentenkonferenz. =Ministerialblatt für das Land NRW 1972, S. 342
Ausdrückliche Zustimmung des Bundeskanzlers Willy Brandt.
Bis zum Ende gab es kein durch die Parlamente ratifiziertes Gesetz: „Am 20. September 1973 verkündeten der (damalige) Bundeskanzler Brandt und sämtliche Ministerpräsidenten noch übereinstimmend, ein neues Gesetz [sprich: überhaupt erst ein Gesetz, keine Verordnung im Typus: Maßnahmestaat (Fraenkel)] schaffen zu wollen.“ (Zerstörung, S.18) & Dok. in Zerstörung (312/3-320)
Bundesverwaltungsgericht 6.2.1975 (mit den üblichen Teil NSDAP-Mitgliedern, Zerstörung 19/20)
Bundesverfassungsgericht 22.5.1975 = Entscheidungen VerfG 39. Band Tübingen 1975, S. 334-391 (und 5.10.77 = 46.Bd. 1978, S. 43-55)
Zwei Urteile Dez. 1978 Güde (KBW)= Suspendierung/ Deckert (NPD) = ohne Bedenken Staatsdienst; 151 (Gäbe es heute Berufsverbote, wäre es umgekehrt)
Weitere Fälle KPD (ua Jens Scheer, Uni Bremen) 152ff
Neue Grundsätze zur Prüfung von Verfassungstreue 1.4.1979; 34ff
Interviews mit Betroffenen
Interview mit Helmut Gollwitzer ; 155
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1979: Hans Koschnick (Hrsg.): Der Abschied von Extremistenbeschluss. Mit Beiträgen von H.K., Erick Küchenhoff, Hans-Jürgen Schimke, Martin Kriele, Ernst-Wolfgang Böckenförde und einer Dokumentation. Bonn: Verlag Neue Gesellschaft 1979
Dokumente u.a.:
Auß.ord. Parteitag SPD 10. 12. 1978: Grundsätze zur Feststellung der Verfassungstreue im öffentlichen Dienst“ und Kabinettsbeschluß 17. Januar 1979; 22
3,62 Mio Beschäftigte Ende 1977 = 2.739 Links-Rechtsextr. = 0,08%
In letzten 6 Jahren einer von zweitausend Staatsbürger keine Einstellung, Ablehnungsquote unangemessen hoch ; 11
Wahlen DKP 0,4 % Bayern 0,3 % /KBW 0,1% NPD 0,6 % ; 12
Kaum Entlassungen NPD „auf einem Auge blind“; 14
Weitere Dokumente: u.a. EKD, SPD, FDP, BVerG. usw.

Ernst-Wolfgang Böckenförde: Verhaltensgewähr oder Gesinnungstreue. S. 76-80 (= FAZ 8.12.1978)
Die Grenzen zulässiger Freiheitsbetätigungen werden durch (die Volksvertretung beschlossene) Gesetze, also gesetzliche Verbote, vollziehbar umschrieben, und ein Verhalten, das sich an diese Gebote und Verbote hält, sich damit im gesetzlichen Rahmen bewegt, gibt keinen Anlaß zu Zweifeln an der Gesetzestreue, darf auch kein Anknüpfungspunkt rechtlicher Nachteile sein. (Montesquieu: Die Freiheit ist das Recht, alles tun zu dürfen, was die Gesetze erlauben.]
Die Wirklichkeit in der Bundesrepublik sieht freilich anders aus. Damit jemand loyaler, vertrauenswürdiger Bürger ist, genügt nicht mehr, daß er sich im Rahmen der Gesetze verhält, sondern er muß darüber hinaus von seiner gesetzlichen (und grundrechtlichen) Freiheit auch den richtigen Gebrauch machen; er darf nicht falschen (wenngleich nicht verbotenen) Organisationen angehöre, nicht falsch (wenngleich nicht gesetzwidrigen) Aufrufe und Flugblätter unterschreiben, nicht an falschen (wenngleich legalen) Demonstrationen teilnehmen, nicht falsche Reden halten und so weiter. Was aber falscher und was richtiger Freiheitsgebrauch ist, ergibt sich nicht aus greifbaren, weil gesetzlich ausgeformten Kriterien, sondern hängt von den Auffassungen und Einschätzungen (vornehmlich der Behörden und Verfassungsschutzberichten in Bund und Ländern) über die ‚Verfassungsfeindlichkeit‘ ab – ein Begriff, den das Grundgesetz nicht kennt und der unbestimmt genug ist, um vieles abzudecken; 77
Nicht zulässig ist es allerdings, in diesem Rahmen die Mitgliedschaft in Vereinigungen und Parteien, die die Behörden zwar als verfassungsfeindlich ansehen, deren Verfassungswidrigkeit jedoch nicht durch ein Verbot festgestellt, unter Sonderrecht zu halten…. [Nicht-Verbot = obrigkeitliche Legitimitätskonzession] Das führt zu Seitenwegen und Ersatzlösungen. Zu diesen gehört es, daß für die Frage, ob ein Bewerber für den öffentlichen Dienst die Verläßlichkeit bietet, in seinem Handeln für Verfassung und Gesetze einzutreten, mehr und mehr die Gesinnung und die Einstellung in den Vordergrund rückt. [Statt realem Verhalten als Ausschließungsgrund] eine Ersatzlösung, indem man sich der Gesinnung der Bewerber versichert, die Forderung nach ‚Bereitschaft zur Identifizierung‘ mit diesem Staat (so im Radikalenbeschluß des Bundesverfassungsgerichts) erhebt. Die geforderte Verfassungstreue wird aus verhaltensbezogenen zu einem gesinnungsmäßig-identifikatorischen Begriff, der auf Gesinnung und Bekenntnis, eben die Bereitschaft zur Identifikation abstellt. Verhalten wird nur noch Anknüpfungspunkt, Indikator, um verfassungsfreundliche oder -feindliche Gesinnung herauszufinden, auf die es entscheidend ankommt; 79
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1978: Bernhard Blanke: Demokratische Verfassung und ‚Verfassungsfeinde‘. Die Spaltung der Demokratie. Zur Regelung des Zugangs zum öffentlichen Dienst in der Bundesrepublik seit 1972. Uni Hannover Seminar für Wissenschaft von der Politik. Hannover: SOAK Verlag 1978
Ein politischer Beschluß von Konferenzen, die keine Verfassungsorgane sind: Innenminister- und Ministerpräsidentenkonferenz. Erst durch die Umsetzung dieses Beschlusses in Erlasse der Länderminister erhielt er eine rechtliche Form, die von Verwaltungsvorschriften ;7
Entscheidend sind bei den Verfahren ja nie die sogenannten Tatsachen, sondern die Zweifel, die daraus gezogen werden. Demzufolge hat sich der Verfassungsschutz bemüht, die Kriterien der Verfassungsfeindlichkeit zu verfestigen. Jeder weiß, wie vordefiniert und vorprogrammiert diese weitergeleiteten Tatsachen, auch Erkenntnisse genannt, durch die Verfassungsschutzämter bereits sind. … Die faktische Definitionsmacht über das unscharfe Kriterium ‚Verfassungsfeindlichkeit‘ hat sich der Verfassungsschutz in den letzten Jahren ganz speziell für die Einstellungsüberprüfung systematisch erworben – nicht zuletzt durch die von der SPD entwickelten und praktizierten Verfahrensrichtlinien, die ja die Routineanfrage erst kodifiziert haben. ; 9
Zu Gerhard Stuby [als Repräsentanten juristisch halbgebildeter Gutmenschen gemäß Ridder; ML]) Er will diese eindeutig auf Allgemeinheit angelegten Normen des GG [Art 3 Abs. 3 & Art. 33, Abs. 2 und 3] selbst inhaltlich einengen. Nach seiner Interpretation des Grundgesetzes als einer antifaschistischen Verfassung, die eine Rückwärtssperre gegen den Faschismus und eine Offenheit nach Vorwärts für den Sozialismus enthalte, ist es für ihn kein Problem, als Faschisten ‚erkannte‘ Personen aus dem öffentlichen Dienst auszuschließen oder faschistische Parteien zu verbieten…. Ich möchte die Legitimität einer solchen Argumentation nicht bestreiten. Aber ich halte sie für verfassungsrechtlich falsch, für politologisch blind und politisch gefährlich. … Strukturell gleichen sich die Argumentationslinien von Stuby und den Befürwortern des Erlasses.; 13
Das Konzept einer ’streitbaren‘ oder ‚militanten‘ Demokratie -gleich ob es von rechts oder von links her formuliert wird – stellt immer einen demokratiewidrigen Eingriff in die Freiheit des demokratischen politischen Prozesses dar. Staatsschutz durch den Staat bedeutet Grundrechtsbeschränkung.; 14
Es geht, wird gesagt, um den Schutz der Verfassung; unter der Hand wird diese gleichgesetzt mit der bestehenden Staatsordnung; diese ist wiederum inkorporiert in denjenigen, die gerade die Regierungsverantwortung tragen; diese, die etablierten Parteien, werden aber – und das ist ein entscheidender Kniff – nicht als Träger ganz bestimmter politischer Programme oder gar bestimmter gesellschaftlicher Interessen verpflichtet gesehen, sondern schlicht als verfassungstragende Parteien. In dieser Wesenheit sind sie die Verfassung, der man treu sein muß. (Ridder: Heiligtum); 25
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1985: IMSF= Autorengruppe IMSF (Institut für marxistische Studien und Forschungen, Informationsbericht 42): Berufsverbote. Neue Entwicklungen – Kritik – Erfahrungen des Widerstands. Frankfurt am Main 1985.
III. Die Haltung der DGB-Gewerkschaften und der Parteien
Dokumentation: Gesetz gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozaildemokratie vom 22. Okt. 1878; 73
Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums von 1933; 74
Adenauer-Erlaß 1950 ; 78
Grundsätze verfassunsgfeindlichen Kräfte im öff Dienst 1972; 90
Aktionsspeigel gegen Berufsverbote Sept-Dez 1984; 90
Gerhard Schröder SPD übernimmt Verteidigung von Dagmar Lembeck (DKP)
Erfolge 1985, 34ff. – auch internationaler Protest, EU-Gerichte ,ILO etc.36ff. und 64ff.
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1987: Klaus Dammann/Erwin Siemantel (Hrsg.): Berufsverbote und Menschenrechte in der Bundesrepublik. Köln-Pahl-Rugenstein 1987
Schwergewicht: ILO; DGB
Bericht des gemäß Artikel 26 der Verfassung der Internationalen Arbeitsorganisation eingesetzten Ausschusses zur Prüfung der Einhaltung des Übereinkommens (Nr.111) über die Diskriminierung (Beschäftigung und Beruf), 1958, durch die Bundesrepublik Deutschland S. 75-376.
Horst Bethge/Hannes Holländer: Das bisherige Ausmaß der Berufsverbotspolitik und ihre neueren Tendenzen. S. 24-30
Ergänzt durch das ILO-Material, muß man von 3,5 Millionen politischen Überprüfungen, 35 000 Mitteilungen des Verfassungsschutzes an die Einstellungsbehörden, daß ‚Erkenntnisse‘ vorliegen, 1250 Ablehnungen von Bewerbern, 256 Entlassungen aus dem Dienst und 2100 Disziplinarverfahren ausgehen. Hinzu kommen noch einige tausend Anhörungen. Die meisten der rd. 10 000 Berufsverbote und Berufsverbotsmaßnahmen wurden allerdings nach Protesten wieder zurückgenommen; tatsächlich Bestand hatten ca. 1000. ; 25
Abschaffung Regelanfragen in SPD-Bundesländer seit 1979; 26
Anfrage der SPD/Grünen an die CDU/FDP Bundesregierung 30. Januar 1986. Es wurde dadurch bekannt, daß selbst sie [die CDU/FDP Bundesreg.] den Ministerpräsidentenbeschluß von 1972 für überholt hält und die Abschaffung der Regelanfrage beibehält, obwohl die CDU dies 1979 noch vehement bekämpft hatte. ; 27
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1988: Gerhard Stuby: Die Empfehlungen des ILO-Untersuchungsausschusses zur Praxis der Berufsverbote. Oldenburger Universitätsreden Nr 14. Universität Oldenburg 1988
Die Berufsverbotspraxis ist, von Anfang an (ex tunc) als rechtswidrig einzustufen, 23 (Auch Stuby und Valentin Klotz in: Bethge, Berufsverbote). Allerdings suggeriert Stuby durchgehend, die Sachverständigen -Empfehlungen seien ein Urteil.
Dazu: Als juristischer Rückblick:

1995: Peter Voegeli: Völkerrecht und ‚Berufsverbote‘ in der Bundesrepublik Deutschland 1976-1992. Die Kontrollverfahren der Internationalen Arbeitsorganisation in Theorie und Praxis. Berlin: Duncker & Humblot 1995.
Ilo wie andere internationale Institutionen (Europäische Gerichtshof, UNO) haben große Wirkungen gehabt, weil sie die Selbstbeschreibung der BRD, Demokratie Nr. 1 in der Welt zu sein, empfindlich in Frage stellten. ; 135ff.
Auf Bundestagsebene waren es nur einzelne Abgeordnete aus der SPD, die sich gegen die ‚Berufsverbote‘ engagierten, beispielsweise Horst Peter, Peter Paterna und Peter Conradi. (aus taktischen wahlpolitischen Gründen); 141
1987 („Spaltung der Sozialpartner“): Wie schon während des Untersuchungsverfahrens (ILO) unterstützten die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), der Deutsche Beamtenbund (DBB) und die Deutsche Angestellten Gewerkschaft (DAG) die (Berufsverbote) Praxis der Bundesregierung, während sie der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB), die Erziehung Gewerkschaft und Wissenschaft (GEW) und die Deutsche Postgewerkschaft (DPG) kritisierten. ; 140
Am 3. Dezember 1991 hob Bayern als letztes Bundesland den Radikalenerlaß formell auf. ; 133
Einschlafen der Initiative ‚Weg mit den Berufsverboten‘ nach Auflösung der DDR. Horst Bethge (Brief 17.5.1992 an Voegeli: „Die Aktivitäten haben abgenommen, weil inzwischen nur noch in Bayern, Baden-Württemberg und beim Bund Berufsverbote vorkommen…. Da sich die DFU Mitte 1990 faktisch aufgelöste hat und ihr Büro aufgab, wurde die Arbeit voll ehrenamtlich geleistet. Zweitens traten aktuelle politische Tagesfragen für alle Komitee-Mitglieder in den Vordergrund und absorbierten Arbeitskräfte.“ (zit. S. 151)
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1988: Joist Grolle: Berufsverbote – und kein Ende? Oldenburger Universitätsreden N.15 Universität Oldenburg 1988.
Grolle (SPD): Niedersächsischer Minister für Wissenschaft und Kunst 1974-1976; Senator für Schule und Berufsbildung der Freien und Hansestadt Hamburg 1978-87.
am 28. Januar 1987 beschloß Hamburg, drei aus der Berufsverbote nochverbliebene sog. ‚Altfälle‘ durch Verbeamtung zu einer einvernehmlichen Lösung zu führen. [die 3 letzten von ehemals 50 Fällen] ;5 (Andere Lösung: Begnadigung durch den Bundespräsidenten von Weizsäcker, u.a. im Fall Bastian = Voegeli 132)
Der erste Initiative in Richtung auf ein verschärftes Vorgehen gegen die sog. Extremisten im öffentlichen Dienst ging von dem sozialliberalen Hamburger Senat aus – 23.November 1971 ; 10
Barzel radikalisiert am 18. Januar : alle DKPler ohne Verfahren automatisch ausschließen
Herbert Wehner am 21. Januar 1972: „Ich sehe keinen Sinn darin, die freiheitliche Grundordnung durch den ersten Schritt zu ihrer Beseitigung schützen zu wollen… Wer nur noch die Alternative zwischen Unfreiheit und kontingentierter Halbfreiheit oder Dreiviertelfreiheit zu bieten hat, der hat in Wahrheit schon verloren.“; 11
alle Aktivitäten, die im Rahmen der außerparlamentarischen Opposition der 60er Jahre entfaltet worden sind, soweit irgend erreichbar mit akribischer Sorgfalt in die Verfassungsschutzakten eingespeichert worden sind. (Gleiches gilt für Anti-AKW, Anti-Kriegsbewegung). Alle diese Regungen befinden sich in den Verfassungsschutzakten registriert, karteimäßig ausgemünzt in den 100 000en personenbezogenen Daten, eine Tatsache, die in meinen Augen eher verfassungsbedrohenden als verfassungsschützenden Charakter hat. ; 14/15
Der mit Hilfe von Verfassungsschutzkartei und Regelanfrage geführte Gespensterkrieg gegen Verfassungsfeinde, deren Gefährlichkeit noch niemand wirklich begegnet ist, wird erst ein Ende finden, wenn wir jenseits administrativer Überprüfungsverfahren wieder zu dem Normalmaß an Toleranz zurückfinden, ohne das keine demokratische Gesellschaft auf Dauer auskommt; 19
[die bewährte Antifaschistin Dorothee Sölle: „Der christliche Glaube tritt für einen Himmel ein, der allen alles schenkt. Er kann sich Intoleranz leisten. Wenn man den Himmel liebt, wird es immer unmöglicher, die Hölle zu tolerieren.“]; 17
Schlußzitat Rosa Luxemburg:
„Ohne allgemeine Wahlen, [nicht Räte, da diese nach Hegel unter die Kategorie der Besonderheit fallen]
ungehemmte Presse- und Versammlungsfreiheit, [für alle Bürgerinnen – ungehemmt, bedeutet logisch: keine Parteiverbote von rechten (populistische, neofaschistischen) Parteien oder Zensur von derartigen Druckerzeugnissen]
freien Meinungskampf, [statt Konsensverpflichtung]
erstirbt das Leben in jeder öffentlichen Institution, [modernes Sterben der Öffentlichkeit ist der überparteiliche, scheinbar unpolitische Fetisch wie bei der Gauckwahl]
wird zum Scheinleben, [modern: Postdemokratie]
in der die Bürokratie allein das tätige Element bleibt.“ [Bürokratien wie der Verfassungsschutz oder Stasi bzw. ähnlich atavistische Gebilde]
Zitiert nach Grolle (21); vgl. auch Jörn Schütrumpf (Hrsg.): Rosa Luxemburg oder: Der Preis der Freiheit Berlin: Dietz 2006, S.97 (aus: RL WERKE 4).

III. Ergänzung

Zwischen den Grundgesetz von 1949, das jahrzehntelang den Deutschen eher unwichtig war – viel mehr wurde die Währungsreform von 1948 – die DM – zivilreligiöses Heiligtum der BRD – und Brandts Regierungserklärung lag die 68er Studentenbewegung. Diese hatte natürlich nicht die Bedeutung, von denen die Beteiligten bis heute gerne reden2, aber sie verschob die Hegemonie im Sinne Gramscis, darauf reagiert Brandts „Mehr Demokratie wagen“, um die 10.000de Überbleibsel der antiautoritären Bewegung für die SPD zu rekrutieren. Die Berufsverbote als Reflex gegen linke Organisationskonkurrenz stabilisierten einen neuen Normalismus (Link), einen sozialdemokratischen, der 2012 sich weitgehend durch CDU/Grüne/FDP hindurch als neue Mitte durchgesetzt hat. Nach Gramsci lautet die Formel: Hegemonie gepanzert mit Zwang, lies: SPD-Normalismus = Einparteienstaat3 + Berufsverbote.
Es ist naiv von den Gesinnungen der Akteure auf den Gehalt von Institutionen zu schließen – lautet die Hauptthese der politischen Theorie von Spinoza. Institutionen sind materielle Vorwegnahmen demokratischer Bewegungsformen, die in der Folge eine spezifische Anpassungspädagogik hervorbringen. Nicht-demokratische Individuen, wie die Mehrzahl der Deutschen nach 45 werden in sie eingepaßt, bis sie so funktionieren, als ob sie demokratisch seien, gleich wie die private Gesinnung des je Einzelnen sein mag. Der Lernprozeß von Institutionen benötigt Krisen wie die 68er Revolte und dialektisch als partielles Gegenmoment Unterdrückungsweisen wie die Berufsverbote. Der erfolgreiche Kampf gegen die Berufsverbote verstärkt dann den demokratische Substanz der bürgerlichen Staatsinstitutionen. Die Dokumentation zeigt, fast unbeabsichtigt, wie politisch strategisch und taktisch eine erfolgreiche demokratische Intervention aussehen muß, die sukzessive den juristische Repressionsapparat entmächtigt und sprachlos macht. Charakteristisch ist dafür der bewußt in einer großen Tageszeitung wirkungsmächtig plazierte Einspruch gegen die Berufsverbote durch einen Vertreter des absoluten juristischen Establishments, durch den Professor des Ö.R. Böckenförde, einem späteren Verfassungsrichter (1983-96), in dessen Zeit kein Senat mehr ein Urteil wie das juristisch halbseidene (nach Ridder) von 1975 hätte sich erlauben können. These: Der ideolgische Staatsapparat Recht gewinnt in dieser Zeit an demokratischer Substanz. Gleichzeitig gilt auf der Seite der von den Institutionen kleingearbeiteten Linken parallel: Die Selbstaussage der Berufsverbotsfälle, sie seien im Unterschied zu den Staatsgewalten demokratisch, verselbständigt sich doppelt: Kommunisten, denen vordem noch die Marxsche Kritik an bloßer Formaldemokratie (Pariser Kommune) bewußt war, lassen sich selbst von dem für die meisten erfolgreichen Ausgang ihres Kampfes gegen die Berufsverbote überzeugen, sie hätten dadurch Demokratie gestiftet. Anderseits konstituieren sich die ideologischen Staatsapparate (Althusser)3 neu, indem sie in der Nach-Kohl- Ära eine unendliche Reihe von Themen auf den Markt werfen, wo die „Zivilgesellschaft“ sich einüben kann: Umweltschutz, Geschlechtergleichheit, Entwicklungshilfe. Konsenspflichtige Politikfelder, wo wie in religiösen Glaubenssystemen, keine zwei Meinungen denkbar sind, strukturverwandt mit dem Einparteienstaat der Konsensdemokratie eine Konsensopposition: Anti-Fa (NPD-Verbot), AKW, Menschenrechte. Die linke Opposition gegen den Staat in diesen freigegebenen Spielfeldern erzeugt kein Berufsverbot mehr – das akademische Proletariat ist sowieso prekarisiert, jenseits einer brauchbaren Berufsperspektive – sondern Bundesverdienstkreuze. (In Dresden: Mit Ministerpräsident Zillich (CDU) Kerze an Kerze die radikale Antifa!)
Manfred Lauermann, Februar 2012


1 40 Jahre Ministerpräsidentenbeschluß 28. Januar 1972. In der Historischen Kommission beim Bundesvorstand der Partei DIE LINKE wird das Thema am 25. Februar 2012 nach einer Vordiskussion Ende 2011 erneut diskutiert werden. Verf. ist Mitglied der Historischen Kommission.
2 Manfred Lauermann: 40 Jahre 1968. Ein Literaturbericht. In. Berliner Debatte Initial 20 (2009). S. 111-149. auch elektronisch: http://www.zeithistorische-forschungen.de/zol/Portals/_zf/documents/pdf/Lauermann_Literaturbericht_1968.pdf
3 1977 wurden die Konturen sichtbar. Wolf-Dieter Narr (Hrsg.): Auf dem Weg zum Einparteienstaat. Opladen: Westdeutscher Verlag 1977. Der sozialdemokratische Normalismus arrangiert sich als konstitutionelle Oligarchie (Peter von Oertzen) mit den konkurrierenden Parteien im Wahlritual: „daß das Interesse weitere Bevölkerungskreise an den Wahlen zwar sehr wach, aber doch punktuell und provisorisch ist und nach dem Wahlakt und dessen direkten Folgen auf ein sehr niedriges Niveau zurückfällt; eine spezifische Form gesellschaftlicher Entfremdung, die im Endergebnis in eine durchgängige Entpolitisierung führt.“ Johannes Agnoli, in ebd. S. 226. [Gramscis Formel = Gefängnishefte, H.6. § 88, S. 783]

Ein Kommentar

  1. „Georg Fülberth, … partiell Betroffener der Berufsverbote.“
    Mit 33 einen Lehrstuhl zu erhalten, als „Berufsverbot“ zu bezeichnen, hat einen gewissen Glamour.
    Es soll ja Regime geben und gegeben haben, bei denen die Betroffenen froh gewesen wären, derart „partiell betroffen“ gewesen zu sein.

    „Seit Beginn der Lehrerarbeitslosigkeit in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre…“
    Ist das so ? Ich wäre bereit, fünf Euro darauf zu wetten, daß 1978 noch einmal nachgeladen wurde. „Akademikerarbeitslosigkeit“ schien mir angesichts der geburtenstarken Jahre eher ab Mitte der 80iger relevant geworden zu sein. … und angesichts der Tatsache, daß für die Displinierung von „Generation Fülberth“ die Verschuldung hochgefahren und die Investitionshaushalte gepündert worden waren.

    Eine Frage zum Verständnis: Sind die neuen Themen wirklich erst in der Nach-Kohl-Ära auf den Markt geworfen worden ? Standen die Integrations- und Kaufan… äh… Karriereangebote für gescheiterte K-Grüppler und KBW-ler nicht schon Anfang der 80iger zu Verfügung ?

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