Replik auf Manuel Böhms reformpolitischen Aufruf oder: Isch habe gar keine Reformer

Letzte Woche hat Manuel Böhm einen Text veröffentlicht, in dem er sich für eine Erneuerung des reformpolitischen Gedanken in der Partei aussprach. Mehr widerständiger Realismus statt revolutionären Hilfsempirismus war wohl die Botschaft. So sehr einem eine solche Botschaft gefallen oder missfallen kann, so sehr mag die regierungswillige Brusthälfte der Partei derlei Appelle mit Sympathie vernehmen. Allein fehlt der Glaube, dass diese Dichotomie linker Sehnsüchte das eigentliche Problem der Partei darstellt.

Schon lange tobt ein bedingungsloser Machtkampf in der LINKEN. Die Basis – der große Lümmel – darf davon freilich nichts erfahren. Denn erstens wird dieser Lümmel ohnehin nicht gefragt, wenn es um wichtige Sachen geht und zweitens geht die Führung der Partei das einfache Mitglied ohnehin nichts an. So ist das geneigte Parteimitglied schon auf die böse bürgerliche Presse (bbp) angewiesen, wenn es etwas über die Machtkämpfe der roten Indianerhäuptlinge erfahren will. Es war u.a. der Tagesspiegel der von erheblichen Differenzen in der Bundestagsfraktion während der Wahlgänge zum Bellevue-Popanz berichtete und damit innerparteilich prompt Fragen aufwarf. Nein, nicht etwa was dieser Streit für die weitere Entwicklung der Partei bedeuten könnte, sondern wer angeblich vertrauliche Informationen an die Presse weitergegeben hat. So bleibt es dabei, dass in dieser Partei nur der wirklich gut informiert ist, der selber zur Führungsebene gehört oder das Glück hat einen der Abgeordneten der Fraktion persönlich zu kennen. Freilich auch die, die über facebook bestätigt bekommen, dass die Presse richtig informiert war (warum sollte frau sonst solche Informationsweitergaben verurteilen anstatt sie zu dementieren oder wurde da etwa über Bande gespielt?).

Dies vorausgeschickt, kann über Böhms Aufruf, der reformpolitischen Sache auch im Westen neuen Schwung zu verpassen, nur resümiert werden, dass es sich der Autor an dieser Stelle zu leicht macht. Denn es mangelt in der Partei seit Jahren nicht an reformpolitischen Zwischenrufen, sondern an mutigen (jungen) Genossinnen und Genossen, die solchen Weckrufen organisationspolitische Taten folgen lassen und die diese reformpolitische Weiterentwicklung auch als innerparteiliches „Mehr Demokratie wagen“ verstehen würden.

Was wir dagegen dieser Tage erleben ist die Wiederholung einer politischen Sklerose, die eine ähnlich lähmende Wirkung auf die Lebendigkeit der innerparteilichen Debatte hat, wie die Dominanz des Zentralkomitees auf die Erneuerung der SED in den achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts. Der Vergleich hinkt durchaus nicht. Es waren jeweils systempraktische Wendepunkte an denen eine junge, lebendige Politkultur versagt hatte (darauf spielt Böhm ja zu Recht an). Und dieser historische Wendepunkt ist nun auch im bürgerlichen Kapitalismus erreicht, da er, über nur vermeintliche haushalts- und steuerpolitische Mittel, zur Demontage seiner eigenen Leitbilder ansetzt. Diese Kannibalisierung der bürgerlichen Moderne durch das spätkapitalistische Bürgertum ist ein einmaliger historischer Vorgang, der in weiten Teilen der Partei aber lediglich auch weiterhin eine fatal wirkungslahme Genügsamkeit mit dem 10 Prozent-Protest-Revier eintreten lässt.

Dabei wäre jetzt der Zeitpunkt günstig die Paten dieser Lähmungsstarre, Gysi und Lafontaine, in die politische Rente zu entlassen. Warum wäre dies nötig? Waren solche Personen dereinst Garanten für die Entwicklung zur wahlstabilen Protestpartei, sind sie nun – auch aufgrund ihrer patriarchalen Charakterstrukturen und durch den selbsterfüllenenden Erfolgswahn im Protest-Ghetto – zum größten Hemmschuh der Weiterentwicklung der Partei hin zur linken Kompetenzpartei geworden. Daher war Gaucks Kandidatur auch keine teuflische Erfindung von Gabriel & Co. zur Spaltung der LINKEN. Sie war notwendiges Signal der SPD an Gysi und Lafontaine, dass die Zeit ihrer Abdankung gekommen ist, wenn denn ein neues gesellschaftliches .Mehr soziale Demokratie wagen. mit der Linken auf Bundesebene funktionieren soll. Und dieses Signal sollte zu allererst in der Linken ernst genommen werden, gerade weil es zwischen Lafontaine und Gysi eine unheilige Allianz auf dem Feldherrenhügel namens Personenkult gibt.

In diesem Zusammenhang nun (gut drei Jahre vor den nächsten Bundestagswahl) über die Neuorientierung und Erneuerung der Partei nachzudenken, kommt den Mitgliedern aber nicht in den Sinn. Die unterhalten sich lieber ernsthaft über den ödesten Programmentwurf der letzten Jahre und Hinterfragen nicht, ob dieser Entwurf überhaupt ansatzweise zu einer modernen Handlungsanleitung zur Schaffung und Rückgewinnung sozialer Hegemonie innerhalb der nächsten fünf bis zehn Jahre wirklich taugt (eher nicht). Bereits der Rostocker Parteitag war ein Fanal für eine Partei, die sich nicht traut ihre Konflikte offen auszusprechen, obwohl die Zeit dafür reif ist. Denn kaum einer der Wähler würde sich aktuell wirklich für einen innerparteilichen Streit interessieren, da die Hauptmotivation dieser Wähler derzeit (noch) die Korrektivwirkung in Richtung SPD ist. Diese Wirkung kann zur Not auch eine sachlich streitende Partei behalten. Offensichtlich ist dem Protestwähler nämlich auch egal, was die Partei derzeit an Personal zu bieten hat. Nur so ist zu erklären, dass sich die LINKE einen .Kasperle-Vorsitzenden. leistet, in dem völlig transparent die Hand des Puppenspielers Lafontaine durchschimmert und die Hülle drum herum damit nicht besonders (ernst)zunehmend wirkt. In diesem Sinne stehen Lafontaine und Gysi für ein weiter wie bisher. Ein „Weiter so“ ohne Entwicklungszukunft.

Dies ist aber nur die eine Seite der Medaille. Bedeutender ist die Frage, wer sich in die Erneuerung der Partei von Genossinnen und Genossen führen lassen will, die lieber mit ihren mitpriveligierten Juso-MdB-Kumpels beim Edelitaliener schmausen und brausen, als die knallharte Debatte um die Weiterentwicklung der Partei zu führen. Die vermeintlich jungen Wilden in der Partei sind lahme hemdsärmlige Höflinge der Alt-Granden und schaden damit dem reformpolitischen Projekt. Nicht nur, weil ihre .bunten Aufrufe. der dünnen inhaltlichen Behäbigkeit von Teilzeit-Theoretikern entsprechen, sondern weil sie selber mehr die Mentalität von Erbprinzen und Erbprinzessinnen ausstrahlen, als die von (zumindest) Palastrevolutionären. Daher wird ein solcher Aufstand gegen die „beleidigten alten Männer“ von den Kortes, den Wawzyniaks, den Kippings et tutti canti nicht kommen. Sie sind selber politische Geschöpfe von der Altherrengarde Gnaden und warten monarchistisch geduldig auf die Abdankung der alten Herren. Sie sind keine Revolutionäre, sondern Kinder der dominanten Apparatschicks, auf deren paternales Pfeifen sie immer noch geduldig mit dem Schwanz wedeln werden. Ihre Zeit kommt nicht durch eine Parteirevolte, sondern durch Abdankung ihrer Gönner. Und daher ist die pseudowiderständige Formel „Mit Arsch in der Hose in den Bundestag“ reiner hilfshedonistischer Gedankenkitsch einer kleinen Gruppe selbsternannter bunter Linker, die innerparteilich aber genauso gut den Krenzschen-FDJ-Gedächtnisordern verliehen bekommen könnten. Die damit korrespondierende halluzogenkonkrete vermeintliche eigene Regierungsfähigkeit, bei Feststellung der Regierungsuntauglichkeit aller anderen Strömungen in der Partei, ist in Wirklichkeit ein offensichtlicher Hilferuf an ihre SPD-Freunde, die von ihnen verhassten Traditionsströmungen von Außen in die Zange zu nehmen. Fürs eigene Gegenmodell fehlt die Kraft, die Puste und die Lust. Also wird es wohl nichts damit, innerparteilich Mehrheiten dafür zu gewinnen, um sich von der Protestpartei in die Partei zu wandeln, die Mitte-Links nun endlich auch in der Bundesrepublik gesellschafts- und wahlfähig machen könnte. Wenn bereits die innerparteilichen Hausaufgaben nicht beherrscht werden, warum sollte man einer solchen Truppe zutrauen in einer solchen Mitte-Links Regierung den Kampf gegen kapitalgefütterte Lobbyinteressen in der bundesrepublikanischen Gesellschaft zu führen.

So bleibt am Ende – mit Verlaub – auch Böhms Text an der Oberfläche der innerparteilichen Etikette hängen. Ein weiterer Text, der es den Kortes & Co. erlaubt selber sauber zu bleiben bei der Auseinandersetzung um die Erneuerung der Partei und dafür andere zu verheizen, wenn es doch eigentlich darum gehen sollte jenseits eigener fehlender Courage statt mit Gesäßtaschen in den Bundestag .Mit Hirn im Kopf. in den Parteivorstand zu ziehen und dort die anzugehen, die die Partei für reine Privatprojekte verheizen (Gysi gegen Gauck und damit gegen seine eigene Vergangenheit als realsozialistische Eliteprofiteur, Lafontaine gegen die SPD und damit seinem Scheitern als bedeutenden Politiker). Eins ist klar: Mitte-Links wird es in der Bundesrepublik nur mit einem Generations- und Mentalitätswechsel an der „echten“ Führungsspitze der LINKEN geben. Wer sich um diesen Umstand herummogelt, mag das Gesäß in der Markenjeans haben, aber eben ein kein Herz am „linken“ Fleck.

Folglich: Das Kleinbürgertum gebiert immer nur das Kleinbürgertum. Und wer auf politische Erwerbsarbeit angewiesen ist, weil er sonst nichts hat, dem sollte auch hier und da etwas Verständnis entgegengebracht werden. Komisch wird diese Truppe aber, wenn sie sich selber zum hippen und trendigen Super-Juso Stil aufschwingt. Bis hin zur flotten Formel R2G für Rot-Rot-Grün, ganz so als ginge es nicht um die Veränderung einer Gesellschaft, sondern um die Markeinführung einer neuen Polit-Brause. Und mal ehrlich: Wer mag für etliche der Traditionsströmungen nicht auch etwas Sympathie aufbringen, wenn diese sich von dieser linken Boy-girlie-group nicht in die Erneuerung der Partei führen lassen wollen?
(jpsb)